Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

747–749

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hulster, Izaak J. de, Strawn, Brent A., and Ryan P. Bonfiglio[Eds.]

Titel/Untertitel:

Iconographic Exegesis of the Hebrew Bible/Old Testament. An Introduction to Its Method and Practice.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 383 S. m. 303 Abb. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-525-53460-1.

Rezensent:

Hans Ulrich Steymans

Die Herausgeber haben ein Methodenbuch zur ikonographischen Exegese vorgelegt und es Othmar Keel gewidmet. Er hat mit »Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament: Am Beispiel der Psalmen« 1972 den Weg für die Bildwelt des Alten Orients in der Exegese gebahnt. Ein Methodenbuch hat er nicht geschrieben, weil das Herstellen einer Bild-Text-Beziehung, die über das Assoziative hinausgeht, für altorientalische Kunst grundsätzlich schwierig ist. Keel hat sich immer mehr der Bildanalyse zugewandt und das Recht der Bilder eingefordert, in ihrem Eigenwert »gesehen« zu werden.
Die drei Herausgeber sind indirekt mit der Freiburger Schule verbunden, denn Keel war externer Gutachter der Doktorarbeit von Brent A. Strawn und Keels Schüler Christoph Uehlinger bei den Doktorarbeiten von de Hulster und Bonfiglio. Die Dissertationen von Strawn und Bonfiglio sind in der Reihe Orbis Biblicus et Orientalis erschienen. Alle drei berücksichtigen Kunstwissenschaft und Bildhermeneutik und engagieren sich in der »Ancient Near Eastern Iconography and the Bible« Sektion der Society of Biblical Literature. Alle Verfasser der Beiträge des Buchs sind Mitglieder dieser Sektion, darunter Thomas Staubli, Keels Schüler.
Wie soll man in der Bibelexegese mit altorientalischen Bildern umgehen? Die Vorderasiatische Archäologie betreibt wenig Ikonographie, sondern bevorzugt die formale Kunstgeschichte. Beide Zugangsweisen zur Kunst stellen verschiedene Fragen. Ikonographie fragt, wie die Einleitung des Buchs vermerkt (36), welche Information ein Bild zwischen Sender und Empfänger kommu-niziert. Um die Frage, ob der behandelte Gegenstand als Kunst bezeichnet werden kann, geht es der formalen Kunstgeschichte. Aufgrund formaler Eigenschaften lässt sich Original von Fälschung unterscheiden und das Bild historisch und geographisch einordnen. Ihr erster formaler Arbeitsschritt ist die Beschreibung aller Bildelemente mit Worten, um sicherzustellen, dass man alles aufmerksam wahrgenommen hat. Im Buch stoßen die beiden Zu­gangsweisen nur in einem Beitrag Staublis aufeinander, wo er zu einem altbabylonischen Rollsiegel Dominique Collons formale, nachzeichnende Beschreibung zitiert (79) und dann weitere Sie-gel präsentiert, aus denen er ikonographisch eine Konstellation von vier Figuren deduziert, die Menschenopfer durch Tieropfer er­setze n.
In den Beiträgen des Buches will man Bibelexegese betreiben und zieht dazu Bilder heran. Den Vorwurf, die Bilder seien nur Il-lus­tration, unterläuft die Einleitung ausdrücklich: Den Bibeltext durch ein Bild zu illustrieren, sei nicht unplausibel. Im Wesentlichen aber führen die Herausgeber die Beziehungen zwischen altorientalischer Bildwelt und der Bibel auf mentale Konzepte zurück, die sowohl visuell als auch verbal zum Ausdruck kamen. Als Elemente der mentalen Landkarten einer Kultur tragen Bilder hermeneutisch zum Verständnis von Texten, besonders von Metaphern, bei (24).
Der Bild-Text-Beziehung dienen drei Begriffe: 1. Image-text congruence, 2. Image-text correlation, 3. Image-text contiguity. Die Autoren verwenden congruence im Sinne von Ähnlichkeit (similar-ity, 23). Correlation bedeutet nach dem Macmillan: »a connection or relationship between two or more things that is not caused by chance« (Hervorhebung von mir). Man fragt nach der Art von Interaktion oder dem Grad der Abhängigkeit zwischen Bild und Bibel, der bestehen muss, damit beide Medien ähnliche Themen und Mo­tive enthalten können. Unter contiguity (dt. unmittelbare Nachbarschaft, angrenzende Lage) sucht man nach Einflusslinien und/ oder Mechanismen des Kontakts und der Interaktion. Idealerweise kommen die verglichenen Objekte aus demselben oder einem ähnlichen geographischen, historischen und sozialen Kontext (26). Zu­sätzlich dient der Begriff »Konstellation« dem Herstellen der Bild-Text-Beziehung. Es gibt Konstellationen literarischer Bilder und ikonographischer Motive (24). Ikonographische Konstellationen sind Motivmuster innerhalb einer künstlerischen Komposition, durch die Ideen konventionell ausgedrückt werden (38).
Die Einleitung enthält auch eine ikonographische Beispielexegese von Jes 63,1–6, stellt einige Bildtypen und Grundzüge der Bildanalyse vor, gibt Tipps zum Verwenden von Bildern in Veröffentlichungen. Dann folgen 18 Kapitel mit Fallbeispielen:
1) Kosmische Geographie in Gen 1,1–2,4a; 2) Komparatistik anhand des Imago Dei Konzepts; 3) Der ikonographische Hintergrund der Auslösung von Menschenopfern in Gen 22,1–14; 4) Die Formulierung »mit starker Hand und ausgestrecktem Arm«; 5) Dtn 32 und gemischte Metaphern für Gott; 6) Architektur als Ikonographie in den Königsbüchern; 7) Jes 6 und das Konzept von Seraphen und Cheruben; 8) Das Motiv der Throne in der Unterwelt in Jes 14,9; 9) Jes 56 und anikonische Stelen; 10) Jes 60, Jerusalem und die persische Reichspropaganda; 11) Sach 4,1–14 und Mondikonographie; 12) Die Metapher des Bogenschützen in Sach 9; 13) Löwen in den Psalmen; 14) Flügel Gottes in Ps 63; 15) Ps 81 und die Ikonographie göttlicher Gewalt; 16) Gottesfurcht in ikonographischen Dimensionen; 17) Liebesdichtung und Bibelübersetzung in Hld 7,2–6; 18) Judit 15,12–13 und die Ikonographie der Zweige.
Die Fallbeispiele zeigen, was ikonographische Exegese leistet, sie leiten nicht schrittweise an, sie durchzuführen. Am Ende jedes Kapitels werden Aufgaben gestellt. Die Aufgaben von fünf Kapiteln haben gar nichts mit Bildwerken zu tun. Die Aufgaben der übrigen Kapitel lassen Folgendes zur Ikonographie üben: Ein Denkbild einer kosmischen Geographie zeichnen (60); anhand altorientalischer Bildwerke ein Motiv oder eine Vorstellung komparatistisch analysieren (74); in einem traditionsgeschichtlichen Vergleich Yhwhs ausgestreckten Arm mit Bildtraditionen verbinden (116); in einem Text mit dicht verketteten Metaphern (z. B. Hos 13,4–8) feststellen, ob es sich um gemischte Metaphern oder um Konzeptverschmelzung handelt, sowie nach Abbildungen suchen, die helfen, sich die komplexe Präsentation des metaphorischen Subjekts vorzustellen (133). Weitere Aufgaben beziehen sich auf Miniaturmodelle einer Stadt (146), lassen in Büchern mit perserzeitlicher Kunst nach wiederkehrenden Themen, Bildern und Motiven suchen und dann ähnliche biblische Metaphern aufspüren (240). Der Eindruck entsteht, Bildwerke seien unmittelbar verständlich. Dass altorientalische Bilder der Analyse bedürfen, weil keineswegs immer klar ist, was sie zeigen, wird weder problematisiert noch eingeübt.
Es enttäuscht, dass kaum Quellenwerke für die Bilder genannt werden. Keine Bibliographie bietet nach Kulturräumen gegliedert die kunstgeschichtlich-archäologische Grundlagenliteratur, ob-wohl das Literaturverzeichnis am Ende des Buches solche Werke nennt. Für Mesopotamien mag die Liste in A. Nunn, Der Alte Orient. Geschichte und Archäologie, WBG 2012, 197 ff., als Orientierung dienen.
Ist es Keels Einfluss, dass die Aufgaben der schweizerischen Autoren, Thomas Staubli und Regine Hunziker-Rodewald, das Bild am stärksten gewichten? Man soll im Bild mit Strichen und Pfeilen die visuelle Syntax markieren (101), durch sorgfältige Durchsicht von Beispielsammlungen Abbildungen eines ikonographischen Motivs aufspüren (180) oder eine Bildkollage zu Hab 3, Jes 6 oder Ez 1 erstellen (346).
Lehrreich ist jeder der Beiträge. Das Buch ist zu begrüßen. Es sei ihm breite Rezeption unter Lehrenden und Lernenden der alttestamentlichen Exegese vergönnt.