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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1203–1207

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

(1) Bernbeck, Reinhard (2) Eggert, Manfred K. H., u. Ulrich Veit [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

(1) Theorien in der Archäologie.
(2) Theorie in der Archäologie: Zur englischsprachigen Diskussion.

Verlag:

(1) Tübingen-Basel: Francke 1997. 404 S. 8 = Uni-Taschenbücher, 1964. Kart. DM 39,80. ISBN 3-7720-2254-5.
(2) Münster-New York-München-Berlin: Waxmann 1998. 400 S. 8 = Tübinger Archäologische Taschenbücher, 1. Kart. DM 38,-. ISBN 3-89325-594-X.

Rezensent:

Diethelm Conrad

Die beiden hier vorzustellenden Bücher mit ihrem fast identischen Titel gehen zurück auf Lehrveranstaltungen, die von Bernbeck 1992-1994 in Berlin und von Eggert/Veit 1994 in Tübingen durchgeführt wurden. Das erklärt ihr Erscheinen in so kurzem Abstand, ist aber vielleicht doch auch symptomatisch. Denn in beiden Werken kommt das Unbehagen an mangelnder Theoriereflexion (I,15), ja an Theoriefeindlichkeit (II,11) in den archäologischen Disziplinen an deutschen Universitäten zum Ausdruck. Um diesem Mangel abzuhelfen, wurden die genannten Seminare abgehalten.

Durch Aufarbeitung und Veröffentlichung ihrer Inhalte in diesen beiden Büchern sollen die gegenwärtigen Methoden und Theorien archäologischer Arbeit dargestellt und bekannt gemacht werden. Außerdem wird in die wissenschaftliche Diskussion dieser Theorien eingeführt, die in der wissenschaftlichen Literatur der englischsprachigen Länder, vor allem in den USA und in Großbritannien, schon dreißig bis vierzig Jahre lang im Gang ist. Schließlich soll mit diesen Arbeiten die Wiederaufnahme der Theoriediskussion auch in Deutschland angeregt werden. Eine Vollständigkeit in der Darstellung der neuen Ansätze war allerdings nicht zu erreichen. Neben diesen Gemeinsamkeiten weisen aber beide Bücher auch charakteristische Unterschiede auf, z. B. in der Art der Darstellung. Die Arbeit von Bernbeck (I) ist eine Monographie, das von Eggert/Veit herausgegebene Buch (II) ein Sammelwerk mit elf verschiedenen Beiträgen zum Thema. In beiden Büchern ist etwas Unterschiedliches gemeint, wenn generalisierend von Archäologie gesprochen wird. B. bezeichnet damit immer alle archäologischen Fächer (I,11), während Eggert/Veit vornehmlich die Ur- und Frühgeschichte (II,15) im Blick haben.

Das hängt damit zusammen, daß es bei der Verwendung des Begriffs "Archäologie" eine unterschiedliche Bedeutungsbreite in den verschiedenen Wissenschaftskulturen von den USA über England nach Deutschland gibt - aufgrund jeweils anders verlaufener Entwicklungen. Sprechen wir in Deutschland von "Archäologie", dann ist in erster Linie an die die Klassische Antike bearbeitende Klassische Archäologie gedacht, die lange Zeit an der Methodologie der Kunstgeschichte orientiert war und die bis heute enge Beziehungen zur Altphilologie und zur Alten Geschichte unterhält. In England hingegen meint "archaeology" das Bemühen um ein Verständnis der Menschen der Frühzeit, was bei uns das Fach Ur- und Frühgeschichte bearbeitet. Neben den engen Verbindungen zu anderen archäologischen Disziplinen bestehen hier dann nähere Kontakte zur Social Anthropology, zur Geographie und zu zahlreichen angrenzenden Naturwissenschaften. In den USA schließlich ist "archaeology" häufig in einem Department mit anderen Fächern wie physische Anthropologie, Linguistik und Kulturanthropologie fest verbunden.

Gemeinsam ist beiden Büchern noch, daß sie nicht von Klassischen Archäologen verfaßt sind, sondern je von einem Vorderasiatischen Archäologen und von Ur- und Frühgeschichtlern, die durch die für ihre wissenschaftliche Arbeit nötigen ausländischen Kontakte auf die Theoriediskussion gestoßen wurden. Beide Werke vertreten die Überzeugung, daß es keine Wissenschaft gibt, die ohne ein explizit formuliertes Korpus an Theorien und Methoden auskommen kann. Und diese Theorien haben die Aufgabe, die intellektuellen Vorgänge sichtbar zu machen, die bei der archäologischen Arbeit, u. a. der Interpretation, durch Analyse und Synthese der materiellen Objekte der Vergangenheit zum Zug kommen.

I. Bernbeck gliedert sein Buch in drei große Abschnitte. Allerdings tauchen die Abschnittsüberschriften nur im Inhaltsverzeichnis und nicht mehr im Text auf. Zuvor beginnt er nach einer allgemeinen Einleitung mit einem kurzen wissenschaftsgeschichtlichen Rückblick, einem Kurzen Abriß der theoretischen Entwicklung bis etwa 1960. Hier bespricht er die Entwicklungen der Klassischen Archäologie, der Ur- und Frühgeschichte, der Ägyptologie und der Vorderasiatischen Archäologie, die er zusammenfaßt mit der Bemerkung, daß die Archäologien in Deutschland ein enormes Faktenwissen ansammeln, daß jedoch die theoretische Auseinandersetzung mit diesem Material stagniert. Hauptgründe sind die traditionellen Kontakte der archäologischen Disziplinen mit philologischen, historischen oder kunsthistorischen Fächern, die oft ähnliche theoretische Mangelerscheinungen haben (33 f.). Da für B. Archäologie alle archäologischen Fächer umfaßt, wäre dann hier auch die Biblische oder Palästinische Archäologie einzuordnen mit den gleichen theoretischen Defiziten.

Der kulturgeschichtliche Ansatz, der auch in den USA die archäologische Arbeit bis in die frühen 60er Jahre prägte, hatte zur Vernachlässigung ganzer Artefakt-Kategorien geführt. Die Kritik daran führte zu neuen Theoriediskussionen und zur Entwicklung der sog. "New Archaeology". Als früheste Äußerung dieses neuen Ansatzes gilt L. R. Binfords Aufsatz: Archaeology as Anthropology, 1962. B. behandelt folgerichtig an der Spitze seines Abschnitts I: Wissenschaftlichkeit als Ziel der Theorie, in Kap. 2: Prinzipien der "New Archaeology", die er ausführlich darstellt. Trotz heftiger und polemischer Diskussionen wurde der neue Ansatz schnell akzeptiert, wohl wegen der Stringenz der Argumentation. Spätere, differenziertere Versionen der "New Archaeology", vor allem dann in England, faßt man heute unter dem Stichwort "Prozessuale Archäologie" zusammen.

Binford ging es bei der New Archaeology nicht nur um eine Verlagerung der inhaltlichen Schwerpunkte, sondern - im Zuge der Verwissenschaftlichung - auch um einen anderen wissenschaftstheoretischen Hintergrund der Archäologie. Entsprechend werden im Kap. 3: Deduktives und induktives Vorgehen als verschiedene wissenschaftliche Argumentationsweisen vorgestellt: das hypothetisch-deduktive Verfahren, die deduktiv-nomologische Erklärung, die progressive Induktion. Der Streit um diese Methoden hat dazu geführt, daß andere akademische Fächer wie Geographie, Soziologie, Ökologie und Kulturanthropologie interdisziplinär viel stärker in die archäologische Modellbildung und Interpretation miteinbezogen werden. In den Kapiteln 4 bis 6 werden dann weitere Methoden beschrieben: die Middle-Range-Theorie oder Theorie der Formationsprozesse, die Untersuchung der Prozesse, die den archäologischen Befund produzieren, die Bedeutung und Problematik von Analogien und Analogieschlüssen, schließlich Systemtheorie und Simulationen, durch die sich das komplexe Zusammenspiel vieler aufeinander einwirkender Faktoren relativ genau konzipieren lässt.

In Abschnitt II.: Theoretische Grundlagen von archäologischen Methoden stellt B. in den Kapiteln 7 bis 12 nun die neuen Theorieansätze vor. Da der Mensch nicht nur ein kulturelles, sondern auch ein biologisches Wesen ist, spielen Ökologische Ansätze (Kap. 7) eine große Rolle, deren wichtigsten Prinzipien hier behandelt werden. Neben einer kritischen Auseinandersetzung mit den Problemen wird aber auch der Erkenntnisgewinn dieser Ansätze aufgezeigt. Größere Bedeutung gewinnt wohl auch in Zukunft die Regionale Siedlungsanalyse (Kap. 8). Dabei werden für unterschiedlich komplexe Gesellschaften spezifische Analysemethoden vorgestellt: u. a. Die zentralörtliche Theorie, die Rang-Größen-Regel. Von der regionalen Analyse abgesetzt sind dann Ortsinterne Siedlungsanalysen (Kap. 9). Für seßhafte Gesellschaften bespricht der Vf. drei Untersuchungsaspekte: Funktionsanalyse, soziale Beziehungen und Symbolik auf den sozialen Ebenen der Gesamtsiedlung und des Haushalts, die im Idealfall miteinander verbunden werden sollten. Auch hier ist die Weiterentwicklung noch im Gang. Kap. 10 ist Typologien gewidmet. Nach einer Darstellung der Grundlagen werden verschiedene Ziele, Methoden und Verfahren, z. B. Clusterverfahren, besprochen. Weiter geht es mit Stilanalysen (Kap. 11), die ja zu den ältesten in der Archäologie entwickelten Methoden gehören. Neben unterschiedlichen Stildefinitionen gibt es auch verschiedene Ansätze für die Interpretation von Stil. Nach der kunstgeschichtlichen Sichtweise der Klassischen Archäologie werden von Prähistorikern entwickelte, funktional ausgerichtete Ansätze und ihre Methodik erläutert. Bei den Gräberanalysen (Kap. 12) wurden zunächst Methoden entwickelt zur geographischen und chronologischen Abgrenzung kultureller Gruppen, später zur Rekonstruktion von Sozialstrukturen. Neuere Tendenzen in der postprozessualen und marxistischen Archäologie stellen eher Fragen nach der Symbolik und Ideologie von Begräbnissen.

Bei der Formulierung der Theorien der (eher amerikanischen) New Archaeology und der hieraus folgenden (eher britischen) prozessualen Archäologie sind die theoretischen Überlegungen nicht stehen geblieben. Weitere Theorien wurden entwickelt. Dies hat B. in seinem Abschnitt III.: Neuere theoretische Entwicklungen dargestellt. Unter Postprozessualismus (Kap. 13) bespricht er Überlegungen zur strukturalistischen, kontextuellen und poststrukturalistischen Archäologie, einschließlich Fragen der Hermeneutik für den Verstehensprozeß. Postprozessuale Ansätze haben die Debatten über Theorien und den Erkenntnishintergrund der Archäologie stark erweitert und sind aus der archäologischen Forschung nicht mehr wegzudenken. Entwickelt haben sich auch Marxistische Ansätze (Kap.14) nicht-sowjetischer Archäologie, die aber so divergierend sind, daß sie nur schwer zusammenzufassen sind. Zum Schluß werden noch Feministische Ansätze (Kap. 15) dargestellt. Überlegungen zu erkenntnistheoretischen Fragen wie zur sozialen Stellung von Archäologinnen sind in ihrem Ergebnis noch sehr unterschiedlich, ihre Diskussion ist über ein Anfangsstadium eigentlich noch nicht hinausgekommen. Am Schluß des Buches folgen noch ein kurzer Ausblick, eine ausführliche Bibliographie, ein Abbildungs- und Tabellenverzeichnis sowie ein kurzer, aber hilfreicher Index.

Trotz der im Ganzen doch schwierigen Materie ist das Buch so geschrieben, daß man den Argumentationen des Vf.s gut folgen kann, zumal sie auch immer wieder durch Diagramme unterstützt werden. In den Hauptteilen werden die kritische Darstellung der einzelnen Methoden und Theorien oftmals durch hilfreiche Beispiele erläutert und um eine zusammenfassende Kritik ergänzt.

II. Das Buch von Eggert/Veit will die englischsprachige Theoriedebatte darstellen, allerdings mit einem deutlichen Schwerpunkt auf den jüngeren, vornehmlich britischen Entwicklungen. Es ist durch die schon erwähnten Aufsätze gegliedert. Diese sind jeweils auch mit einem eigenen Literaturverzeichnis versehen. Je deutsche und englische Zusammenfassungen (abstracts) finden sich am Ende des Bandes sowie ein Personen- und Sachregister. Den Spezialbeiträgen vorgeschaltet ist ein hilfreicher Essay von U. Veit, Zwischen Tradition und Revolution: Theoretische Ansätze in der britischen Archäologie, der versucht, die Theoriediskussion aus einer größeren forschungsgeschichtlichen Perspektive zu entwickeln, die in den Aufsätzen dann von verschiedenen Seiten weiter beleuchtet wird.

Im Mittelpunkt der einzelnen Beiträge stehen entweder bestimmte Theorieprogramme: M. Porr, Die postmoderne Archäologie in Großbritannien; oder einzelne Wissenschaftler, die Wesentliches zur Theoriediskussion beigetragen haben: T. Kerig, Ian Hodder und die britische Archäologie: Ein Profil; N. Müller-Scheeßel, "Archaeology is nothing if it is not critique". Zum Archäologieverständnis von Michael Shanks und Christopher Tilley, denen es beim Verstehen archäologischer Objekte auch um Hermeneutik und Dialektik geht. Einige Arbeiten kombinieren auch beides, indem sie das Werk einer Person als exemplarisch für eine bestimmte Denkrichtung diskutieren: T. L. Kienlin, Die britische Processual Archaeology und die Rolle D. L. Clarkes und C. Renfrews, Herausbildung, Struktur, Einfluß.

Außerdem werden übergreifende Forschungsrichtungen und Aspekte behandelt: C. Kümmel, Marxistische Perspektiven in der gegenwärtigen englischsprachigen Archäologie; sowie strukturgeschichtliche Ansätze: T. Knopf, Annales-Geschichtsschreibung und Archäologie; oder es wird die Reaktion der Prozessualen Archäologie auf die post-prozessuale Herausforderung dargestellt: M. K. H. Eggert: Prozessuale Tradition kontra postmoderne Relativierung: Zur Reaktion auf die Post-Prozessuale Archäologie, der hier auch L. R. Binford, C. Renfrew, B. G. Trigger, K. Kristiansen und J. Bintliff bespricht; schließlich werden auch fach- und wissenschaftsgeschichtliche Fragen erörtert: U. Veit, Forschungsgeschichte und Gegenwart: Zur Struktur und Rolle der wissenschaftsgeschichtlichen Reflexion in der jüngeren englischsprachigen Archäologie. Die Reihe der Beiträge wird abgeschlossen mit einer sehr persönlichen Stellungnahme von M. K. H. Eggert, Theorie in der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie: Erwägungen über und für die Zukunft.

Nachdem die Theoriediskussion zunächst in den USA und dann in England geführt worden ist, besteht jetzt wohl Hoffnung, daß die deutschsprachige Archäologie ihre Abstinenz in dieser Hinsicht aufgibt und ihre entsprechende Isolation beendet. Eggert bekennt, daß er weder ein Anhänger der prozessualen noch der postprozessualen Archäologie ist, da ihn beide Positionen nicht befriedigen. Er betont aber, daß "eine eingehende Kenntnis der darin vertretenen Positionen jedoch eine wesentliche Voraussetzung für eine zukünftige theoriebewußte deutschsprachige Archäologie bildet" (384 f.). Ausgangsbasis aller weitergehenden Überlegungen ist die Beantwortung der Frage nach dem Selbstverständnis der Archäologie. Zu den vordringlichen Aufgaben gehören dann jene, die sich mit der Erkenntnisstruktur der Disziplin befassen.

III. Der Inhalt der hier vorgestellten Bücher zeigt, wie umfangreich und verschiedenartig die zu berücksichtigenden Theorien und Methoden sind. Außerdem hat die Theoriediskussion der letzten vierzig Jahre gezeigt, daß sich kein "Kanon" der Theorien und Methoden herausgebildet hat, sondern daß sie nebeneinander ihr jeweils relatives Recht behaupten, was auf einen Methodenpluralismus für die archäologische Arbeit hinausläuft.

Beide Arbeiten sind nun hervorragend geeignet, sich mit den dafür nötigen und wichtigen vielfältigen Grundlagen vertraut zu machen. Mir scheint, daß das B.sche Buch für den Anfänger geeigneter ist, weil hier die einzelnen Methodenschritte und Theoriefelder detailliert und mit Beispielen und nützlicher Kritik versehen dargestellt werden. Der Sammelband ist aber für den historischen Ablauf und die systematische Einordnung der Diskussion unerläßlich. So ergänzen sich beide Bücher hervorragend und sind gemeinsam ein wichtiges Handbuch für die so nötige Weiterführung der Theoriediskussion auch in Deutschland.

Wie schon gesagt: Es ist symptomatisch, daß beide Bücher vom Ur- und Frühgeschichtlern und einem vorderasiatischen Archäologen verfaßt worden sind. B. hat aber sicher Recht, daß die vorgestellten Methoden und Theorien für alle archäologischen Fächer von Bedeutung sind, also auch für die Biblische oder Palästinische Archäologie. Und deshalb wohl auch die Anzeige dieser Bücher in der ThLZ.