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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

737–739

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gathercole, Simon

Titel/Untertitel:

The Gospel of Thomas. Introduction and Commentary.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2014. 733 S. = Texts and Editions for New Testament Study, 11. Geb. EUR 213,00. ISBN 978-90-04-19041-2.

Rezensent:

Enno Edzard Popkes

Der an der Faculty of Divinity der Universität Cambridge lehrende Neutestamentler Simon Gathercole hat einen Kommentar zum Thomasevangelium vorlegt, der als ein Grundlagen- und Referenzwerk aller weiteren Diskurse zu diesem Zeugnis des frühen Chris­tentums verstanden werden kann. Der 733 Seiten umfassende Kommentar bietet zunächst eine Einführung in die Geschichte der Erforschung des Thomasevangeliums und in die gegenwärtigen Diskussionsfelder der Forschung, die bereits für sich genommen die Dimensionen einer Monographie aufweisen (3–184). Dabei werden nahezu alle einleitungswissenschaftlichen Fragestellungen in einer klaren Sprache zur Geltung gebracht, die auch für Leserinnen und Leser zugänglich ist, die sich noch nicht in die facetterenreichen Diskussionen zu diesem Werk eingearbeitet haben.
Nachdem zunächst die vorliegenden Textzeugen beschrieben und historisch eingeordnet werden (3–14), wird die grundlegende Frage nach dem Verhältnis der koptischen Übersetzung des Werkes zu den überlieferten griechischen Fragmenten und möglichen griechischen Vorformen debattiert (14–35). Vor dem Hintergrund einer hervorragenden Sichtung der Erwähnungen und Einordnungen des Thomasevangeliums in frühchristlichen bzw. altkirchlichen Zeugnissen (62–90) wird abgewogen, in welcher Sprache das Thomasevangelium urspünglich abgefasst worden sein könnte (91–102). Dies führt konsequent zu der Frage, was die geistesgeschichtlichen Hintergründe des Werkes und seiner Trägerschaft gewesen sind und wie es chronologisch zu verorten ist (103–127). Daraufhin werden gattungs- bzw. formgeschichtliche Diskurse erörtert und bewertet, die sich seit den Anfängen einer wissenschaftlichen Kommentierung des Thomasevangeliums entwickelt haben (128–144).
Anschließend wendet sich G. einem Themenfeld zu, welches in den Forschungsdiskussionen stets eine besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, nämlich der Frage nach einer religionsgeschichtlichen Einordnung dieses Werkes (144–167). Die oftmals kontrovers diskutierte Frage, inwieweit das Thomasevange-lium als ein gnostisches Werk bezeichnet werden kann, wird in einem eigenen Appendix erörtert, wobei bereits die Begriffe »Gnosis« bzw. »gnostisch« selbst gemäß der entsprechenden religionswissenschaftlichen Diskurse nur mit Vorbehalt verwendet werden (168–175). Abgeschlossen werden die einleitungswissenschaftlichen Grundinformationen mit einem weiteren in hohem Maß konfliktträchtigen Themenfeld, nämlich mit einer Erörterung der Frage, welche Bedeutung das Thomasevangelium für das Verständnis und die Interpretation neutestamentlicher Zeugnisse und für die Frage nach dem historischen Jesus haben kann (176–184). Auf eine Erläuterung der Struktur der Kommentierungen (185–188) folgt eine umfangreiche Diskussion aller 114 Logien des Thomasevangeliums (189–618). Abgerundet wird das Werk durch eine sehr umfassende Bibliographie und Indizes zu den verwendeten antiken Zeugnissen bzw. zu Autoren und erörterten Themenfeldern.
Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem großen Wurf von G. fällt im Rahmen einer Rezension schwer. Ein zentrales Verdienst desselben besteht darin, dass die Leserinnen bzw. Leser in Bezug auf die meisten Themenfelder über den Stand der Forschung und über die eigenen Ansichten G.s informiert werden. Konkrete Anfragen bzw. Infragestellungen der einzelnen Ansätze und Kommentierungen können jedoch nur im Zusammenhang themenspezifischer Einzelstudien erfolgen, welche durch diesen Kom­mentar sicherlich wertvolle Impulse erfahren werden.
An diesem Phänomen zeichnet sich jedoch eine Problematik ab, die für viele wissenschaftliche Kommentare zu Zeugnissen des frühen Christentums besteht. Wenn ein solches Werk den Stand der Forschung, eigenständige Einschätzungen und auch dessen Wirkungsgeschichte angemessen wiedergeben soll, so gewinnen derartige Kommentare einen Umfang und ein preisliches Niveau, das für viele Leserinnen und Leser kaum mehr erschwinglich ist (exemplarisch sei für den deutschsprachigen Bereich verwiesen auf die ökumenisch inspirierten Beiträge des Evangelisch-Katholischen Kommentars). So kann denn auch der Kommentar von G. strenggenommen nur für einen Aspekt kritisiert werden, nämlich für seinen Preis. Aus diesem Grund wäre es für viele Studierende und interessierte Leserinnen und Leser wünschenswert, dass der Brill-Verlag in absehbarer Zeit eine kostengünstigere Paperback-Ausgabe anbietet.