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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

735–737

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fewell, Danna Nolan [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Oxford Handbook of Biblical Narrative.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2016. 656 S. Geb. US$ 150,00. ISBN 978-0-19-996772-8.

Rezensent:

Uta Schmidt

Die Herausgeberin Danna Nolan Fewell hatte 1993 mit »Narrative in the Hebrew Bible« zusammen mit David Gunn einen Klassiker zum Thema verfasst, als die Beschäftigung mit narrativen Texten der Bibel noch weniger ausdifferenziert war. Im vorliegenden Sammelband finden sich nun Ergebnisse und Trends der Entwicklung seitdem.
Das Handbuch ist in vier Abschnitte gegliedert: Part I »Over-tures« versammelt Artikel mit grundsätzlichem Charakter, angeführt von dem der Herausgeberin. Der Titel »The Work of Biblical Narrative« zeigt programmatisch die veränderte Stoßrichtung der Beschäftigung mit narrativen Texten der Bibel seit R. Alters Klassiker »The Art of Biblical Narrative« (1981) von der Analyse der kunstvollen Gestaltung der Texte zu deren Wirkung. Fewell zeichnet in ihrem Beitrag einige Linien nach, entlang derer Forschung an biblischen narrativen Texten aktuell geschieht: 1. der Zusammenhang von Narrativität und Identität, der untrennbar mit Erfahrung, auch körperlicher Erfahrung verbunden ist; 2. die vielfältigen Wechselwirkungen narrativer Texte mit Gemeinschaft und Gesellschaft (sociality of stories), wobei die Auseinandersetzung mit Grenzen und Grenzüberschreitungen eine wichtige Rolle spielt; und 3. unter der Überschrift »Telling Troubles« der Themenkreis von Erzählung und Krisen vor allem im Kontext von Trauma und Vulnerabilität. Die drei thematischen Linien laufen in den ab­schließenden Überlegungen zur intertextuellen und dialogischen Qualität von Erzählungen zusammen, die sich nicht auf einen Ursprung und nicht auf eine einzige Gestalt festlegen lassen, wo­mit die Herausgeberin einen weiten Raum für die über 50 Beiträge des Sammelbandes öffnet:
»In other words, biblical stories are transtemporal, fluid, and socially discursive spaces […] where multiple faces, voices, bodies, identities, experiences are textually incarnate and engaged in lively, sometimes testy, exchanges, and where attending guests are implicated in the pains, trials, and triumphs of the past and beckoned to collude in the text’s ongoing intersubjective work.« (20)
Dem thematischen Auftakt von Fewell folgt eine kritische und erhellende Analyse der Entwicklung der Erzählanalyse biblischer Texte von S. Moore, der deren verschiedene Phasen sowie Unterschiede für Altes und Neues Testament im Kontext der englischsprachigen Forschung entfaltet. Die weiteren Beiträge des ersten Teils verorten narrative biblische Texte im weiteren historisch-literarischen Kontext (Kawashima, ANE; Austin, Greco-Roman Literature; Person Jr., Historiography; Linafelt, Poetry).
In Part II »Biblical Narratives«, dem längsten Abschnitt des Buches, sind Artikel zu den meisten biblischen Büchern in kanonischer Reihenfolge angeordnet. Den Hinteren Propheten und den paulinischen Briefen ist jeweils ein Beitrag gewidmet, den Psalmen aber z. B. nicht. Hier wäre eine theoretische Reflexion der Auswahl interessant gewesen, da sie die Frage berührt, wann ein biblischer Text narrativ ist bzw. narrative Züge aufweist.
Part III »The Bible and Bodies«: Die Überschrift erfasst den Inhalt des dritten Teils nur im weitesten Sinne: Beginnend mit J. Schipper zum Thema »Körper«, werden verschiedene Diskurse der Gegenwart in ihrer Verbindung zu biblischen Texten vorgestellt. Schipper entfaltet, ausgehend von der Beobachtung, dass menschliches Aussehen in den Texten des Alten Testaments fast nur als Funktion der Erzählung erwähnt wird, die These, dass aus den Erzählungen deshalb nur bedingt Aussagen über »normal/schön« respektive »normal/behindert« abgeleitet werden können. Die Artikel über »Frauen« ( McKinlay) und »Männer/Männlichkeit« (Thurman) legen den Schwerpunkt auf die Rolle der Interpretation und Rezeption für die gender-Konstruktionen in den Texten. Einige Beiträge be­ziehen sich ausdrücklich auf narratologische Analysefragen, um Aspekte oder Figuren, die in der Regel am Rand des Interesses standen, in den Vordergrund zu rücken, z. B. »Kinder« (Elkins; Parker) oder »Tiere« (Stone); R. Maldonado verknüpft zum Thema »Other-ing« Beobachtungen am Esterbuch mit den »politics of passing«, beginnend mit seiner eigenen Verortung als »Mexican-American«. D. R. Mbuwayesango zeigt grundsätzliche Strukturen der Darstellung von »Geschlecht und Sexualität« im Alten Testament auf: »Its construction of sex and sexuality is influenced by imperial and Patriarchal concerns [… but] is a major strategy in plot and character development in biblical narratives, often functioning to build suspense, serve political agendas, and make social statements.« (463) S. Lasine analysiert die Charakterisierung der Figur »Gott«.
Part IV »The Natural, Social, and Conceptual Landscapes of Biblical Story World« vereint Artikel, die verschiedene Theorieansätze mit der Analyse biblischer narrativer Texte verbinden, indem diese jeweils als ›Linse‹ für den Blick auf den Text dienen: »Ort/Verortung« (Habel); »Essen/Brot« (Koosed); »displacement/dislocation« (Halvorson-Taylor); »Imperium« (Jennings; Liew). Darauf folgen Bei­träge zu sozialwissenschaftlicher Kritik (Dietch), sozioökonomischer Betrachtung (Boer) und der Frage nach politischen Debat-ten in den Texten (Brett). Den Abschluss bildet Smith-Christopher »Biblical Lamentations and Singing the Blues«, der mit der Verbindung von Klgl und Blues eine ganz andere Art von Zugang zum Text eröffnet.
Teil V »On Reading« umfasst drei Aufsätze, die sich ausdrücklich mit der Rezeption biblischer narrativer Texte befassen. J. Havea und M. J. Melanchthon entwerfen am Beispiel von Jos 9 cross-cult-ural readings,die die Texte nicht nur deuten, sondern auch durcheinanderbringen (»ruffle«). G. West zeigt an einem Beispiel aus Südafrika die Aneignung biblischer Erzählungen durch indigene Bewohner. G. Phillips behandelt den Zusammenhang von Narrativität und ethischer Verantwortung auf Seiten der Lesenden: »Narrative criticism […] summons readers of the Bible to do something« (594).
Der Überblick über die Fülle der Beiträge zeigt die Stärke des Sammelbandes: Er eröffnet Einblick in eine Vielzahl von Zugängen und Themenschwerpunkten im Zusammenhang mit biblischen narrativen Texten. Die Aufteilung der Artikel in Teil I–V trägt nur bedingt, denn alle beschäftigen sich mit einem oder mehreren biblischen Texten (Teil II), viele berühren wenigstens einen der Diskurse aus Teil III, viele wählen einen speziellen Ausgangspunkt (s. Teil IV), und die Aufmerksamkeit für die Rezeption (vgl. Teil V) kennzeichnet die Mehrheit gegenwärtiger Zugänge zu biblischen narrativen Texten. Gerade in diesen Überschneidungen wird die gegenwärtige Beschäftigung mit biblischen narrativen Texten treffend charakterisiert, als eng an den biblischen Texten, vielseitig, meist theoretisch reflektiert und häufig im Kontext gegenwärtiger Theoriediskurse.
Die Beiträge sind kurz, ca. zehn Seiten plus zwei Seiten Literatur, so dass sie einen guten Einstieg in die verschiedenen Felder bieten. Die über 50 Verfasser und Verfasserinnen sind überwiegend in den USA verortet, wenige in Australien, Kanada, Südafrika und den Niederlanden. Ein vergleichbarer Sammelband über die europäische Forschungslandschaft zu Narrativität in der Bibel wäre wünschenswert, wenn er den Austausch zwischen unterschiedlichen Forschungslandschaften in Europa sowie eine stärkere Auseinandersetzung mit methodologischen Fragen, wie sie zumindest im deutschsprachigen Raum geführt wird, beinhaltete. Das vorliegende Handbuch ist jedoch unbestritten eine Fundgrube an wissenschaftlich aktuellen, thematisch breit gefächerten und anregenden Beiträgen, für die gezielte Suche wie fürs genüssliche Blättern.