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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1187–1204

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Haustein, Jörg

Titel/Untertitel:

Luthers frühe Kritik an der Heiligenverehrung und ihre Bedeutung für das ökumenische Gespräch

I. Gegenwärtige Positionen und Fragestellungen

Die Verehrung und Anrufung der sogenannten "Heiligen" dürfte der Bereich der Frömmigkeit sein, in dem evangelische Kirche und Katholizismus am weitesten auseinander sind. Um so überraschender ist die Absenz des Themas in den ökumenischen Dialogen. So bemerkte der katholische Fundamentaltheologe Gerhard Ludwig Müller bereits 1984, als die Gespräche über die trennenden Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts lange angelaufen waren: "In den zahlreichen ökumenischen Konvergenzerklärungen und Gesprächen, an denen katholische Theologen beteiligt werden, begegnet die alte Kontroverse um ,die Verehrung und Anrufung der Heiligen’ bisher nirgends als eigenes Thema"1. Das ist bis heute so geblieben und hat einen Grund sicher darin, daß die Fragen nach den Sakramenten, dem Amtsverständnis und der Rechtfertigungslehre für wichtiger erachtet wurden. Denn Heiligenverehrung ist auch im Katholizismus nicht vorgeschrieben, sondern fakultativ. Gleichwohl hängt der Komplex der Hagiologie und Hagiopraxis eng mit dem Verhältnis von Glauben und Werken und damit der Rechtfertigungslehre zusammen. Angesichts der Debatte um die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" und ihren möglichen oder unmöglichen praktischen Konsequenzen sollte er daher nicht vernachlässigt werden.

Damit mag auch der Tendenz entgegengesteuert werden, daß im ökumenischen Dialogprozeß zunehmend die Fragen ausgeklammert werden, die mit gemeinsamer Praxis zu tun haben: Vom ursprünglichen Anliegen, konkret auf eucharistische Gastfreundschaft hinzuarbeiten, ist heute nicht mehr allzu viel übrig geblieben. Das, wie Müller zu Recht bemerkte, "populäre Unterscheidungsmerkmal zwischen katholischer und evangelischer Christenheit"2 in praktischer (und in praktisch-theologischer) Hinsicht blieb von daher natürlich unberücksichtigt. Das ist eigentlich um so unverständlicher, als es zur Frage der Heiligenverehrung in ihren theologischen und praktischen Bezügen konkrete Lehrverurteilungen gibt, evangelischerseits am krassesten im Artikel II,2 der Schmalkaldischen Artikeln, wo von "der endchristlichen Mißbräuche einem" gesprochen wird.3

Hagiologie als Thema der Theologie ist naturgemäß konfessionell unterschiedlich besetzt. Evangelischerseits spielt sie keine große Rolle, schon gar nicht in der Dogmatik oder gar der Praktischen Theologie, doch auch wenig in kirchengeschichtlichen Untersuchungen. Hagiologie ist, wie Hans-Martin Barth in der einzigen jüngeren evangelischen Monographie hierzu feststellte, "ein Liebhaber-Thema geblieben".4 An früheren Arbeiten sind vor allem die von Jörg Erb, Lennart Pinomaa, Max Lackmann und Walter Nigg5 zu nennen. Sie sind überwiegend kirchenhistorisch orientiert, sieht man von Lackmann ab, der 1958 dezidiert den "Versuch einer lutherischen Lehre von den Heiligen" wagte. Ulrich Köpf lieferte vor wenigen Jahren eine kurze kirchenhistorische Studie über "Protestantismus und Heiligenverehrung",6 die sich auf Luther konzentriert, aber auch über ihn in den späteren Protestantismus hinausweist.

In einem Themenheft "Wiederkehr der Heiligen" der Una Sancta sind fünf von zehn Beiträgen evangelischer Urheberschaft,7 die aber wohl eher aus der konkreten Anfrage heraus als aufgrund eigener Forschungsschwerpunkte verfaßt und nach Gattung und Qualität sehr verschieden sind. Eine jüngste eigenständige Zusammenfassung der reformatorischen Position (Gedächtnis der Heiligen ohne Anrufung der Heiligen) findet sich bei Marc Lienhard, "La Sainteté et les Saints".8

Unter römisch-katholischen Theologen hingegen findet eine ganze Reihe von Diskursen fundamentaltheologischer und kirchenrechtlicher Natur statt. Die Themen hierbei sind etwa: Kritik an Art und Durchführung der Kanonisationsprozesse,9 Heilige zwischen Mythos10 und Moral,11 Heilige und ihre ekklesiologische Qualität (Stichwort Communio), die Unterscheidung zwischen Veneratio und Adoratio bzw. Duleia und Latreia.12

Schließlich gibt es seit geraumer Zeit eine Reihe kleiner Untersuchungen zur Frage der ökumenischen Vermittlung der Heiligenverehrung. Genauer geht es - und daher sind diese Beiträge meist von katholischen Autorinnen und Autoren - um
eine Besinnung, ob und inwiefern die römisch-katholische Hagiologie mit evangelischer Theologie kompatibel sei, ja ob und inwiefern evangelische Theologie hier nicht ursprüngliche reformatorische (vor allem lutherische) Überzeugungen aufgegeben hat. Beiträge aus Deutschland und den USA sind hier zu nennen, voran Peter Manns’ Beitrag über "Luther und die Heiligen",13 dann die bereits erwähnten Beiträge von Gerhard Ludwig Müller, und, wiederum mit starker Betonung des historischen Aspekts, George Tavard (Brighton, Massachusetts) "The Veneration of Saints as an Ecumenical Question"14 und Susan Rabe (Los Angeles) "Veneration of the Saints in Western Christianity: An Ecumenical Issue in Historical Perspective".15 Beide Arbeiten sind mit dem Vorteil angelsächsischer Tradition behaftet, daß die praktischen Fragen nicht ausgeklammert werden (übrigens mit dem Hinweis, daß das Thema wegen des la-teinamerikanischen Einflusses auf der Tagesordnung stehe).

Rabe versucht eine Relativierung der Kontroverse durch Einbeziehung der gesamten Entwicklung des Heiligenkultes und kann so natürlich feststellen, daß Luther gegen "neue" Auswüchse kämpft, gleichzeitig von einer nordeuropäischen Aversion gegen mediterrane Frömmigkeit und seiner eigenen Heilssehnsucht geprägt gewesen sei. Sie betont gegenüber diesen "Adiaphora" die grundsätzliche Kontinuität vom Mittelalter in die Reformationszeit, was die Hagiologie angehe.

Es fällt die Gewichtung von CA 21 auf und ihrem Zugeständnis der verehrenden Erinnerung (memoria) und der Fürbitte der Heiligen (intercessio) bei Verwerfung der Anrufung (invocatio). Rabe sieht hier irrtümlich ein Indiz, daß ab 1525 die Lutheraner zur Heiligenverehrung "zurückgekommen" seien. Die späteren Aussagen der Reformation, etwa in den Schmalkaldischen Artikeln, werden nicht mehr berücksichtigt.

Tavard stellt ergänzend zu einer solchen Sicht fest: "an agreement between Catholics and other western Christians, especially Lutherans, concerning the veneration of saints, is now possible".16 Die Argumente für diese mögliche Konvergenz scheinen allerdings geschönt: So dürfte die lehramtliche Akzeptanz seiner Behauptung gering sein, die Unfehlbarkeit der päpstlichen Kanonisationen sei unhaltbar. Fragwürdig ist auch, wenn er die zugestandenen Mißbräuche im Heiligenkult doch eher als Randerscheinungen abtut. Er gesteht die Priorität der soteriologischen Bedeutung der Lehre von den Heiligen zu, bringt dann aber doch gleich die Ekklesiologie ins Spiel, die Fürbitte der "ecclesia triumphans", in der alle in Christus Verstorbenen und nicht nur die Kanonisierten als Heilige für die "ecclesia militans" beten, ist nicht deckungsgleich mit den geläufigen katholischen Vorstellungen. Insgesamt ist überhaupt ein ja bewußt diplomatisch und irenisch gehaltener Artikel CA 21 eine zu schmale Basis für eine hagiologische Konvergenz.

Was nun Luther angeht, so bemühte sich Peter Manns um den Nachweis, daß der Reformator von einer frühen positiven Einstellung zum Heiligendienst im Laufe der Zeit, gedrängt von den Zeitgenossen und den Umständen, zu seiner in den Schmalkaldischen Artikeln formulierten harschen Ablehnung gekommen sei, daneben aber, so die zentrale These Manns’, "Luther trotz voll entfalteter Einsicht in das wesentlich ,Reformatorische’ und trotz unbestechlicher Kritik an allen nur
denkbaren Fehlformen am Grundanliegen katholischer Heiligenverehrung festhält".17 Gegen Wilhelm Maurer18 behauptet er, daß es keine enge Beziehung zwischen der frühen Herausbildung der Rechtfertigungslehre und der Kritik der Heiligenverehrung gebe. Der frühe Luther habe vielmehr das recht verstandene Anliegen des christlichen ,cultus sanctorum’ keineswegs preisgegeben. Belegt wird dies mit dem Verweis auf Luthers Dekalogpredigten von 1516/17. So fänden sich bei ihm bis zu einem "plötzlichen" Bruch im Jahre 1522 die traditionellen Topoi der "communio sanctorum", der "intercessio" und der "invocatio". Erst dann sei er in der "Epistel oder Unterricht von den Heiligen" (1522) an die Erfurter Kirche zu einer Ablehnung des Heiligenwesens gekommen. Manns greift hier zurück auf die frühere These Lackmanns, Luther sei durch den "Mißbrauch in der christlichen Volksfrömmigkeit und der Verdiensttheologie der Spätscholastik zu einem theologischen Radikalismus getrieben ... [worden], in dem für sein früheres hagiologisches und gleichwohl christozentrisches Denken kein Platz mehr sein konnte".19

Zu dieser verbreiteten Sicht von Luthers Stellung zu Hagiologie und Hagiopraxis, daß sie nämlich einer Wandlung unterlegen sei, kommt als "ökumenischer Ertrag", Luthers (frühere und gemäßigtere) Position sei mit heutiger katholischer Hagiologie und Hagiopraxis vereinbar. Müller kommt zu dem Ergebnis: "Trotz harter Kritik an der katholischen Praxis hat Luther an der Legitimität eines Heiligendienstes festgehalten."20 Er kann sogar noch weitergehen und Luther bescheinigen, er habe "in den Jahren 1517 bis 1522 eine bemerkenswerte Theologie der Heiligen in Übereinstimmung mit der besten katholischen Tradition entwickelt. Davon hat er sich auch später nie förmlich distanziert."21 Ebenso meinte jüngst Josef Imbach, daß zwar im Verlauf der Geschichte "die bejahende oder ablehnende Haltung gegenüber den Heiligen geradezu zu einem ,Kennzeichen der konfessionellen Identität’"22 werden konnte, aber "Luther selbst bei aller Kritik am katholischen Brauchtum dem Heiligendienst durchaus positiv gegenüberstand".23 Schlußfolgerung: "Was die Verehrung der Heiligen betraf, war man sich also einig."24

Diese Sicht ist zu hinterfragen. Schon die Ablaßkritik Luthers und der Preis, den er zu ihrer Aufrechterhaltung zu zahlen bereit war, läßt ahnen, daß auch die Hagiologie prinzipiell auf den Prüfstand zu stellen ist. Doch auch aufgrund der Quellenlage ist die Behauptung eines radikalen Bruches in Luthers Haltung zu hinterfragen. Dies um so mehr, als sie augenscheinlich dem entsprechenden ökumenischen Bedürfnis nachzukommen versucht, einen möglichst umfassenden Lehrkonsens zu erreichen. Vielmehr kennzeichnet den Reformator aber ein konsequentes Weiterdenken und Weiterschreiten in seiner Auseinandersetzung mit der Heiligenverehrung. Dies soll anhand seiner frühesten Aussagen zum Komplex Heilige/Heiligenverehrung/Heiligenkult gezeigt werden.





II. Die Kritik des Heiligenkultes in den "Decem praecepta ..." (1516/17)

Die Hauptquelle dieser Untersuchung sind Luthers "Decem praecepta Wittenbergensi praedicata populo".25 Sie bieten die früheste reformatorische Beurteilung des Heiligenkultes und der hinter ihm stehenden theologischen Überlegungen. Gleichwohl sind sie in dem genannten Diskurs zu wenig berücksichtigt worden. In mehrfacher Hinsicht sind diese Dekalogpredigten des "frühen" Luther lange unterschätzt worden: Da sie "erst" 1518 gedruckt wurden (deutsch erst 1520), wird leicht übersehen, daß ihre Entstehungszeit (29. Juni/2. Juli 1516 bis 24. Februar 1517) mit der Phase von Luthers raschem Bekanntwerden als Professor und Prediger und seinen ersten Publikationen zusammenfällt.

Die Predigten über die ersten drei Gebote überschneiden sich mit der zweiten Hälfte der Römerbriefvorlesung. Zu Luthers Lektüre gehören zu dieser Zeit explizit Tauler und das NT des Erasmus, implizit aber auch die 1516 verlegten Predigten des Straßburger Predigers Geiler von Kaisersberg (zitiert in Decem praecepta26). Es ist eine Zeit, in der sich die sogenannte "reformatorische Erkenntnis" bei Luther auf drei Ebenen vollzieht: auf der Ebene seiner eigenen theologisch-spirituellen Bildung, auf der Ebene akademischer Lehrarbeit und wissenschaftlicher Auseinandersetzung und nicht zuletzt auf der Ebene pastoraler Erfahrungen. Luther wurde vermutlich seit 1514 nach eigenem Zeugnis "täglich" zum Predigen in der Stadtkirche angefragt, weshalb er hier wie im Beichtdienst "dem Volk aufs Maul schauen" konnte und mußte. Die "Decem praecepta" sind folglich nicht nur ein Zeugnis von Luthers eigener Entwicklung, sondern viel mehr noch ein Reflex des spätmittelalterlichen Glaubenslebens aus der Sicht des verantwortungsvollen "Volks"predigers, der nicht seine eigenen Seelennöte, sondern die seiner Zuhörer im Blick hat. Luthers Movens in den frühen Reformationsjahren ist nicht Selbstbetrachtung, sondern Seelsorge und pastorale Verantwortung. In dem Maße, wie der um sein Seelenheil ringende Augustinermönch im Mittelpunkt der Forschung steht, werden die "Decem praecepta" zum theologisch eher oberflächlichen Traktätchen von allenfalls (im pejorativen Sinn) frömmigkeitsgeschichtlichem Interesse.

Hinzu kommt, daß der Dekalog und seine theologischen und ethischen Implikationen in den folgenden Jahren vom "Sermon von den guten Werken" bis zu den Katechismen immer weiter und präziser von Luther formuliert wurden. Ferner ist das editorische Prinzip der ersten Bände der Weimarana zu nennen, das nur originale Lutherschriften zur Aufnahme zuließ. Dadurch ist die vom Basler Kosmographen Sebastian Münster 1520 angefertige Übersetzung der "Decem praecepta" nicht berücksichtigt worden, während spätere Lutherschriften ja durchaus in Fremdübersetzungen ediert wurden.

"Decem praecepta" sind nicht nur die erste wirkliche "Predigtreihe" Luthers, sondern mit dem Druck von 1518 eine, wenn nicht die erste wirkliche Frühschrift Luthers (wenigstens vom Umfang her). Sie erschien nicht nur in mehreren Ausgaben, sondern wurde auch als erste Lutherschrift übersetzt, und zwar bezeichnenderweise ins Tschechische und Niederländische. 1520 erschien die bereits erwähnte und mehrfach verlegte deutsche Übersetzung Münsters in Basel. Diese Ausgabe ist durch Beigabe von Holzschnitten zu den Geboten, ein Register und marginale Zwischentitel, aber auch in der Übersetzung selbst bewußt "volkstümlich" gehalten.

Daß Luther im Kontext des ersten Gebotes auf die rechte Verehrung der Heiligen zu sprechen kommt, ist nicht selbstverständlich, aber auch nicht unüblich. Vergleichbare Präzeptorien des 15. Jahrhunderts27 beschränken sich weitgehend auf Superstitionskritik, Heiligenverehrung wird, wenn sie vorkommt, als gutes Gegenstück zur Superstition empfohlen und allenfalls vor der Verwechslung von Dulie und Latrie gewarnt.28 Üblicher war es, und hier weicht Luther bereits von mittelalterlichen Predigtprogrammen ab, eigene Reihen von Heiligenpredigten neben die Katechismuspredigten zu stellen. Mehr noch als die Präzeptorien eines Johannes Nider oder Johannes Herolt waren diese "Sermones de tempore et de Sanctis" die "Predigtstudien" des ausgehenden Mittelalters.29 Diese Zweiteilung war vorwiegend durch die Inhalte bedingt, denn Heiligen- und Katechismuspredigt mochten sich häufig wie Zuckerbrot und Peitsche verhalten haben.

Auch in Luthers Präzeptorium findet sich in der Auslegung des ersten Gebotes die Verwerfung abergläubischer Praktiken von Apotropaika bis hin zur Auseinandersetzung mit dem entstehenden kumulativen Hexenbild,30 doch - und hierin liegt bereits eine entscheidende Abweichung - in einem Zweischritt zusammen mit dem Komplex der Heiligenverehrung.

Das Tertium comparationis ist hierbei die Verblendung (illusio): Die Superstitiösen im klassischen Sinn lassen sich vom Teufel verführen, indem sie ihn nicht ernst nehmen und so ganz im Sinne der augustinischen Zeichentheorie vermittels bestimmter Rituale und Observationen ein Paktverhältnis mit ihm eingehen. Nach ihnen aber ist "wyter zu sagen von einem andern geschlecht/ die diß gebott übertretten/ vnd sind die/ die in guter gestalt betrogen werden [specie bona illuduntur]. Deren sind zweyerley. Etliche übertretten an dem heiltum/ vnd ere erbietung der heiligen. Die andern erheben sich wider gott/ irer wyßheit vnd gerechtigkeit halb."31 Da die Druckfassung von 1518 im Gesamtaufbau von den Predigten nicht abweichen dürfte, kann man also davon ausgehen, daß Luther im Juli 1516 seine Predigthörer mit einer (vorsichtig formuliert) ungewohnten Nebeneinanderstellung von Teufelsbündlern und Heiligenverehrern konfrontierte, einschließlich der mit dem Heiligenkult verbundenen Reliquienverehrung. Und gleich zu Beginn wird ein Zusammenhang mit dem Vertrauen auf die eigene Gerechtigkeit hergestellt. - Gegliedert ist der Abschnitt in zwei Teile: die Verehrung "propter temporalia" oder "corporalis", "exterioris", jedenfalls "falsa": eine kritische Deskription der gängigen Vorstellungen, gefolgt von einem argumentativen Teil (wie im vorangegangenen Kompendium der Superstitionen).32 Zweitens die Verehrung "vera" und "interna".33

Beide Teile freilich stehen unter den Oberbegriffen der Verblendung, ja sogar der Abgötterei, sie ist die Klammer, die die gesamte Auslegung des ersten Gebotes umschließt. Diese Vorüberlegung schwingt auch bei allen folgenden Zugeständnissen der Heiligenverehrung mit, etwa wenn der Augustinerprediger seinem Ordenspatron zur Frage äußerlichen Heiligendienstes folgt: "Doch verwirfft der heilig Augustinus soliche menschen nit gar/ Er spricht sy syen dannocht besser dann die/ die do suchen zitlich güter durch gelübd vnd bündnuß/ die sy mit dem tüfel machen. Dann es ist besser zitlich gut von gott begeren dann von dem bösen geist. Doch werden sy dadurch nit gelobt/ ia sy sind nit recht christen. Es ist ein schlecht lob/ ia ein groß schand/ wann einer allein gut gesprochen wirt/ so mann in helt gegen den aller boßhafftigsten."34 Dies gilt nun freilich nicht für jede Heiligenehrung, sondern für solche, die allein materielle und eigennützige Ziele verfolgt. Die sind gemeint, die "sich selbst in den Heiligen" verehren, die das Ihre in den Heiligen suchen und nicht "das, was Gottes ist", wie Luther in seinem folgenden anschaulichen Gang durch die Praxis zeigt.

Die Heiligen, deren Verehrung bei Luther analysiert oder wenigstens kurz erwähnt wird, sind folgende (in der Reihenfolge ihres Auftretens): Antonius, Sebastian, Martin, Rochus, Valentin, Vinzenz, Christophorus, Lorenz, Florian, Veit, Erasmus, Ludwig, Wendelin, Anna, Barbara, Katharina, Dorothea, Margarethe, Juliana, Ottilia, Apollonia, Scholastica.

Die Liste zeigt: Es handelt sich um eine repräsentative Auswahl. Wer je mit Bedacht eine mittelalterliche Kirche mit ihrem Interieur wahrgenommen hat, ist den meisten dieser Heiligen begegnet, es fehlen von den populären Heiligen allerdings Georg und Joseph; auch Maria fehlt, Mariologie wird von Luther hier von Hagiologie unterschieden; männliche und weibliche Heilige sind getrennt aufgeführt, das Verhältnis ist etwa 2:3. Da ein Teil der Aufgeführten in der Legenda aurea des Jakobus a Voragine keine Erwähnung finden, hat Luther auf weitere Legenden- und Väterliteratur zurückgegriffen, so bei Rochus, Florian, Ludwig von Tolosa, Wendelin, Barbara, Dorothea, Ottilia.

Eine im zweiten Abschnitt von Luther angeführte weitere Liste hat rein exemplarischen Charakter und führt berufsständische Heilige an: Eligius (Goldschmiede), Crispinus und Crispianus (Schuster), Severus (Tuchmacher), Lukas (Maler), Cosmas und Damian (Ärzte), Ivo (Juristen), Katharina und Aristoteles (sic!) (Studenten). Schließlich wird als Vertreter der Regionalheiligen Kilian (Franken) genannt.

III. Die "veneratio externa"

Luthers Kritik bedient sich oft einer antithetischen Darstellung, die mit beißender Ironie unterlegt ist. Ein besonders gutes Beispiel ist die Christopherus-Verehrung, Luther legt bissig einen der zahlreich kursierenden Christopherussprüche aus:

"Christophere sancte, virtutes tibi tantae:

Qui te mane videt, nocturno tempore ridet,

Nec Satanas caedat nec mors subitanea laedat."35

Interessanterweise ist das ein Spruch, der sich nur im Lateinischen reimt, die Übersetzung Münsters bietet keinen Reimspruch, sondern eine Prosaübersetzung, obwohl es vergleichbare deutsche Sprüche gegeben hätte, wie etwa "Sankt Christoffel, du hast solche Macht, Wer dich früh sieht, am Abend lacht. Vorm Teufel hat’s mit ihm keine Noth, er stirbt auch nicht am
jähen Tod".36 Hier liegt also offenkundig ein Merkvers für die lateinkundigen Eliten (Geistliche) vor, der den gängigen Vorzug des Heiligenbildes preist: Schutz vor plötzlichem Tod. Dies als Anmerkung zu dem umstrittenen Problem der "Volksfrömmigkeit" und der Frage, in welcher Beziehung sie zur sogenannten offiziellen Lehre der "Eliten" stand. Zu Luthers Kritik im einzelnen, die sich an der Dreiteilung des Verses orientiert:

1. Die Tugenden werden dem hölzernen Bild zugeschrieben, das man ansieht, nicht dem Heiligen, geschweige denn Gott. Ein eklatanter Verstoß gegen das erste Gebot, wie er von allen Präzeptoristen getadelt worden wäre.

2. Es fehlt ein Schriftbeleg, daß ein solches oder irgendein Heiligenbild solchen Schutz zu gewährleisten vermöge.

3. Was, so Luther zum zweiten Vers, wenn man nachmittags das Bild ansieht, oder wenn man nun morgens etwas zu spät kommt? Wirkt der Schutz dann nicht mehr? Hat der Christopherus "seine Macht an das Frühsehen gebunden"?

4. Warum lacht nicht der, der dem Glauben des Christopherus und seinem Martyrium nacheifert? Aber das erbitten die Christopherusverehrer ja auch nicht.

5. Warum lacht nicht der, der das Kreuz Christi betrachtet, wofür es ja den Schriftbeweis gibt. Das Kreuz Christi nämlich ist der wahre Christopherus, da es ja wirklich Christus trägt.

6. Schließlich nimmt Luther Anstoß am dritten Vers, der Schutz vor plötzlichem Tod verheißt und der besonders gerne von Soldaten in Anspruch genommen wird, die dieser Gefahr vorzüglich ausgesetzt sind, "sonderlich nachdem die Büchsen erfunden sind", wie der Prediger militärhistorisch richtig bemerkt. Gerade dies Beispiel zeigt den üblichen Anstoß zum Heiligendienst, nämlich die Sicherstellung eigener körperlicher Unversehrtheit. Das Beispiel der Soldaten zeigt für Luther kraß, daß es letztlich gar nicht um den plötzlichen, sogenannten "gehenden Tod" geht, sondern um das Bestreben, dem Sterben insgesamt auszuweichen.

7. Und letztens führt dieser Aberglaube zur Selbstsicherheit und Gottvergessenheit. Denn es sollte ja ein legitimer Heiligendienst umgekehrt "inschlagen die gedechtnuß des Todes und anzeigen das zukünfftig leben. Aber es ist darzu yetzunt kummen das man die heilsam ding flücht/ vnd allein gegenwertige tröstlich ding sucht. Es were schier not das Christus syn wort im ewangelio widerrufft (so er spricht)/ Wachent wann ir wissent nit den tag noch die stund/ dann wyr hebent yetzunt Christopherum erfunden/ der wacht für vns so wir schlaffen"37 und, so fährt nur die lateinische Fassung fort: "Was, wenn Christopherus einen anderen Christopherus getroffen hätte, bei dessen Anblick er sicher gewesen wäre? Wie wäre er dann zum Martyrium gekommen?"38

Luthers Argumentation führt also zur Gegenüberstellung theologischer und anthropologischer Gründe für die Heiligenverehrung. Die Menschen bitten aus natürlichen Motiven und Bedürfnissen heraus die Heiligen, daß sie sicher sind und ohne Furcht Gottes, "sine timore Dei" leben können. Demgegenüber ist theologisch zu betonen: "omnis cultura sanctorum pro timore Dei ... instituta",39 um die Menschen 1. zur Buße zu reizen, 2. des allgegenwärtigen Todes zu gedenken und 3. das zukünftige Leben vor Augen zu stellen.

Übertragen auf die einzelnen Heiligen bedeutet dies: Antonius wird zwar geehrt "für das schedlich füer ... Aber nyemand
laufft dem heiligen man zu/ von im zu begeren die innerlich freud vnd tugent/ so er an im hat gehabt/ von welchem dann die legend sagt/von dem füer sagt sy gar nüt".40

Man "eret ... sant Sebastianum/ wann er allein mag abtriben die pestilentz", seiner "heiligkeit vnd glauben begert niemant nach zufolgen".41 St. Laurentius, "dem fastet man das er das hus vor dem füer behut ... meynstu das er ein herr uber das füer worden, darumb/ das er es hat uberwunden? Sag mir eins/ Hat er nit auch den bösen geist/ die sund/die welt vnd das fleisch überwunden? Vnd warumb eret man in allein für das füer? Warumb erest du in nit auch/ das er dich behüt vor heilosig/ zorn/ hoffart/ vnd grim/ die er im keiser Decio vnd sinen dienern überwunden hat/ vnd yetz in dir auch überwinden mag mit synen fürbitten?"42

Der Gedanke der Herrschaft des Heiligen, hier des Lorenz über das Feuer und an anderer Stelle der Scholastica über die Gewitter führt zu der nicht unwichtigen Feststellung Luthers, daß nämlich "es uns nicht zusteht, die zeitlichen Dinge unter den Heiligen aufzuteilen, als wären sie unsere Knechte und Handwerke ..., daß wir wieder das Chaos der römischen Götter und einen neuen Pantheon aufrichten, nur zu dem Zweck, daß es uns hier gut gehe."43 Luther nennt beispielhaft die Volksetymologien für Sebastian (Pest), Valentin (Fallsucht-Epilepsie) und Vinzenz (Finden verlorener Dinge) wie legendarische Anknüpfungen (Wendelin hütete im Leben eines Menschen Schafe, nun gelte er als besserer Schutz vor Wölfen als alle Hunde). Die "Zuteilung" der "specialissima" an bestimmte Heilige ist aber nicht nur assoziatives Brauchtum, sondern enthält einen tiefen religiösen Kern. Dieser Kern ist der Verstoß gegen das erste Gebot und damit gegen Gottes Grund- und Hauptgebot. Luther führt exemplarisch vor, was es heißt, sich andere Götter zu machen, indem von den Heiligen in Christo einige ausgesondert werden. Der Dekalogprediger empfiehlt zwar den/die "Lieblingsheilige(n)": "omnia tua commendes ei, in quem magis affectis", doch vor dem Hintergrund: "omnes sancti omnia possunt".44

Der Glaube an die Herrschaft der Heiligen, ihren zugeschriebenen Machtbereich bringt noch einen weiteren Aspekt ins Spiel: die Angst vor den Heiligen. Denn es spielt für die Heiligenfrömmigkeit eine Rolle, daß die Unterlassung der Verehrung geahndet werden kann. Der bekannte Satz "Heiliger Sankt Florian, schon unser Haus, zünd andere an", geht ja bezeichnenderweise davon aus, daß der Feuerheilige kein Feuerwehrmann, sondern ein Brandstifter ist.45 Luther sieht hier ein opus alienum: Gott selbst gestattet es, daß die Boshaften und Verstockten die Heiligen als Rächer fürchten. Sie sollen indes dahin bekehrt werden, daß sie eben vom alleinigen zeitlichen Nutzen der Verehrung absehen und die "Gesellschaft der lieben Heiligen" zuversichtlich erwarten.46

Die Gefährdung des Monotheismus schlägt auch wieder eine Brücke zu der Superstitionskritik im ersten Teil der Auslegung zum ersten Gebot. Wenn Friedrich Myconius in seiner Reformationsgeschichte schreibt, man habe "an Christus Statt gemacht zu Fürbittern und Seligmachern die Jungfrau Maria, wie die Heiden ihre Dianam",47 so ist von hier aus nur ein kleiner Schritt zu Luthers traditioneller Verwerfung des Glaubens an das nächtliche Umherfahren vermeintlicher Hexen mit Herodias und Diana. Genau diesen Aberglauben hatte Luther einen Monat zuvor von der Kanzel herab angeprangert.48

Verbunden mit diesen mythologischen Bezügen sind dann auch die historisch-kritischen Erwägungen Luthers, die sich in Bemerkungen niederschlagen wie "apocrypha et vehementer suspecta legenda",49 "dessen Name und Leben niemand bekannt ist"50 etc. Er kann hierbei auch differenzieren, wenn er etwa die Christopherusüberlieferung als "non tam apocrypha quam suspecta"51 beurteilt.

Ausgeprägt findet man diesen Zug bei der Beschäftigung mit den sogenannten "drei Madeln", Barbara, Margarete und Katharina, zu denen bis heute Merksprüche kursieren wie "Barbara mit dem Turm, Margaretha mit dem Wurm, Katharina mit dem Radl, das sind die heiligen drei Madl".52 Ohne einen derartigen Vers anzuführen, sieht auch Luther Katharina, Margarete und Barbara in engem Zusammenhang, fügt ihnen aber noch Dorothea als heilige Jungfrau hinzu. Luther bemerkt zu Recht die enge Verwandschaft ihrer Legenden (Jungfrauen, den Gelüsten heidnischer Machthaber ausgesetzt, als standhafte Märtyrerinnen schließlich umgebracht). Seine exegetisch-historischen Überlegungen kreisen um Barbara, die eine Jüngerin des Origenes gewesen sein soll. Luther hält dagegen, daß die "neue" Heilige in Eusebs Kirchengeschichte nicht erwähnt werde, es also so weit nicht her sein könne. Die Legenden der anderen drei seien der Barbaralegende nachgedichtet und von daher verdächtig.

Die Überschneidung der drei (vier) Madeln im kirchlichen Bewußtsein spiegelt sich auch in Münsters Übersetzung. Aufgrund des falschen Bezuges eines Relativanschlusses verwechselt er die Margareten- mit der Barbaralegende: Nicht Barbara wird nämlich in Geburtsnöten angerufen (wegen der Fürbitte in der Legende), sondern Margarete. Es hätte Münster (und späteren deutschen Bearbeitungen) auch auffallen können, daß Luther schon im superstitionskritischen Abschnitt Margareteninvokationen bei der Geburt verurteilt.53

Über die Legenda aurea hinaus, die hier immerhin vermerkt, eine besonders haarsträubende Begegnung Margaretes mit einem Drachen werde für apocryph und unziemlich gehalten,54 meint Luther, "testimonio legenda illa [also offenbar der ganzen] et apocrypha est et suspecta".55

Ein weiteres historisches Argument Luthers ist die Entlarvung der Legendenbildung als Übertragung menschlicher
Bedürfnisse auf die Protagonisten der Legende: Zunächst, so Luther, sei es schon erstaunlich, daß die Heiligen nicht nur von ihrer zukünftigen Verehrung gewußt haben sollen, sondern auch von den wahren Anliegen der Verehrer: "in irem tod hant sy [die Heiligen] nit gebetten für ire diener/ das sy gerecht vn selig wirden/ sonder das sy erlanten rychtumb/ gesuntheit/ vnd sicherheit/ welche ding all sy durch den tod hant verschmehet/ gleich als hetten sy anderen menschen mißgönt die ewige gütter zu welchen sy in iren tod giengen."56

Luthers historisches Fazit aus diesen Vorstellungen ist, es seien "yetzunt in der christenliche kirchen die heiligen mer geeret worden/ deren legend mere von fabeln und zytlichem nutz sagen."57 Hier berührt er sich besonders eng mit der humanistischen Heiligenkritik eines Erasmus von Rotterdam, der im "Lob der Torheit" genau dies angeprangert hatte.58

Drei (fiktiven oder realen?) Einwürfen gegen seine Position begegnet Luther in seinem nun folgenden argumentativen Teil der Ausführungen:

1. Er würde gegen die Tradition der Kirche verbieten, Heilige in leiblicher Not anzurufen.

2. Man bitte ja nur deswegen um Gesundheit und ein langes Leben, um desto besser und länger die geistlichen Wohltaten zu suchen.

3. Unter Berufung auf Johannes Gerson gebe es sehr wohl eine Analogie der Gabenverteilung unter den Heiligen (sozusagen wie auf Erden, so im Himmel), die deren Spezifizierung erlaube.

Luther entgegnet auf die Einwände in sechs Argumenten:

1. Wenn Christus in der Bergpredigt diejenigen "Heiden nennt, die nicht zuerst nach dem Reiche Gottes, sondern nach Weltlichem trachten (Mt 6,32), so folgt hieraus die Berechtigung für den Dekalogausleger, die vorgestellten Heiligenverehrer wenigstens als "schwache Christen" (infirmos Christianos)59 zu bezeichnen.

2. Es würde ja nur die Praxis verworfen, die Heiligen allein zu zeitlichem Nutzen anzurufen (invocari ... solum pro temporalibus60). Luther fügt aber gleich hinzu: "Zeige mir einen von den ganzen Heiligen, der wegen seiner Demut oder einer anderen Tugend einen solchen Zulauf, Kult und Ruf hat [concursum, cultum et nomen] wie Valentin gegen die Fallsucht."61

3. In liturgischen Gebeten seien zwar Bitten um Zeitliches (etwa die Abwendung von Unwetter) vorgesehen, immer jedoch an eine vorausgehende Bitte um Gnade und Sündenvergebung geknüpft.

4. Den zweiten "Einwand" entlarvt Luther als Vorwand: "Die erfarnuß zeigt an/ daß das grösser teil der menschen went für ein erdicht vnd gestifft besserung lengers lebens. Dann gemeinlich werden die böser/ die sich mit iren vngestüme bitt von der straff gottes erlediget habe/ vnd gott gibt darmit gezügnuß unser dorheit/ das wir so dorecht sind/ das wir nit erkennen/ wenn vns got strafft/ so macht er vns gesunt."62 Dem setzt
Luther die Theologia crucis entgegen: Das Gewähren zeitlicher
und geistlicher Gaben steht in umgekehrt reziprokem Verhältnis. "Wir sind doren/ wan wir vermessen unser leben zubessern in vnser gesuntheit/ vnd nit erkennen das in der kranckheit vnser leben schon hat angefangen besser zu werden/ vnd lyden übels/ wyt übertrifft guts wircken."63 Daraus folgt natürlich auch, daß etwaige "Gebetserhörungen" in Leid und Krankheit überhaupt keinen "Beweiswert" haben, allenfalls dafür, daß Gott in Erfüllung dieser Bitten dem Beter und der Beterin zeigen will, daß sie noch nicht aus dem Heidentum herausgefunden haben.

5. In diesem Zusammenhang kommt Luther bezeichnenderweise noch einmal auf die Heiligen als Schadensprovokateure zurück. Gott hat wohl "vorgesehen, daß einige Heilige für Rächer gehalten werden wegen der verstockten und harten Herzen".64 Münster fügt hinzu: "den boßhafftigen ein forcht in zuschlagen das sy bekert werden."65 Dadurch wird der soteriologische Aspekt der Heiligenverehrung stark in die Nähe der Zauberei gerückt, die auch zur Versuchung der Guten und Strafe der Bösen mit Zulassung Gottes - Luther gebraucht an dieser Stelle wie im Superstitionskompendium den klassischen Terminus der "permissio Dei" - Hilfe und Schaden hervorbringen kann.

6. Über die Entlarvung unsinniger Volksetymologien hinaus wendet sich Luther in seinem letzten Argument nochmals dem Patronats- und Zuständigkeitsgedanken zu. Er gesteht zu, daß nicht alle Heiligen alles "bewirken" können müssen. Es mag schon Unterschiede geben. Aber - und hier kommt dann eben doch das Patronatswesen zum Einsturz - ganz nominalistisch lehnt er die Erkenntnismöglichkeit oder gar die menschliche Zuteilung von Zuständigkeiten ab.

IV. Die "veneratio interna"

Wenn Luther nun in einem zweiten Teil die "rechte Heiligenverehrung" bedenkt, so wird auch hier nicht ihr Loblied angestimmt. Vielmehr wird seine skeptische Haltung dem ganzen Heiligenwesen gegenüber und seine Grundentscheidung, das Thema im katechetischen Bereich zu verhandeln, fortgeführt. Im Mittelpunkt steht nun die kirchlich und theologisch gedeckte korporative Heiligenverehrung, im Unterschied zu einer eher subjektiven im ersten Teil. Besonders berücksichtigt sind Patronats- und Wallfahrtswesen.

Sein Leitsatz zur "rechten" Heiligenverehrung, die im Lob des Herzens einerseits und des Mundes und der Werke andererseits besteht: "Darumb sollen dy vnuerstendigen menschen dise lere vermercken/ mit namen. Der eret die heiligen warlichen in got, der do anschawet in inen die gnadeliche werck gottes/ vnd dadurch bewegt wirt mit einer süsse begird gegen got."66 Doch die Realität ist natürlich anders, und so klagt er: "zu unsern ziten ist es darzu kummen leyder mit deren heiligen dienst/ das es besser wer/ man ließ vnderwegen ir fest/ vnd das wir nit ire namen wißten [neque festa agi neque nomina eorum sciri]."67 Dieser Satz, mit der Luther fast beiläufig den größten Bereich der Frömmigkeit seiner Zeit für verzichtbar hält, scheint mir im Hinblick auf seine Aussagen in späteren Jahren ernst gemeint und nicht nur rhetorisch. Denn nirgends kann der Prediger die geforderte Haltung rechter Heiligenverehrung
erkennen. Aus der Analyse der Heiligenverehrung folgert er mit

Blick auf die Bischöfe und in der Hoffnung ihres Einschreitens: "es wäre gesünder, alle Feste [Münster: vil fest] abzuschaffen und wenige zu behalten".68

Erst hiernach wendet sich Luther den eigentlichen (beiden) Mißbräuchen der Hagiopraxis zu: dem Patronatswesen, das zu Konkurrenz und Unfrieden führt, denn das Motiv der Orden, Gilden und Bruderschaften ist, daß sie sich der besonderen Hilfe ihrer Heiligen rühmen wollten. Und vor allem dem Wallfahrtswesen. Trotz der Unterscheidung in "erfundene" und "bewährte" Wallfahrten (Rom, Santiago di Compostela, Jerusalem, Trier), die er nicht ablehnt, ist seine Botschaft an die Gemeinde: "Der dise walfart all underwegen ließ/ vn doheim blib der sündet nit."69

Ein Exkurs zur radikalen hussitischen Kritik an der Heiligenverehrung bewegt Luther zu einer halbherzigen Erklärung zur Frage der Anrufung der Heiligen: "man sol ein Zuflucht haben zu der heiligen hilff [ad sanctorum suffragia recurrendum omni modo (!)]."70 Er führt aber gerade diesen entscheidenden Aspekt bewußt nicht weiter aus.

Fragt man abschließend die Heiligenpredigten nach ihrem Kerngehalt, so dürfte unter Berücksichtigung ihres Kontextes - eben die Gemeindepredigt und nicht akademischer Diskurs oder theologisches Gutachten - die Zielrichtung dahin gehen, die vorfindliche Heiligenverehrung als schlecht und theolo- gisch unverantwortbar herauszustellen. Trotz möglicher, jawünschenswerter theologischer Intentionen und Nutzen für die persönliche und kollektive Frömmigkeit ist jedoch eine generelle Abschaffung zwar noch nicht zwingend erforderlich, aber doch denkbar bzw. sogar schon erwünscht.

Die spätere Unterscheidung der CA zwischen memoria und intercessio sowie invocatio ist hier bereits angelegt. Ein "sich an Heilige wenden" unterliegt strengsten Kriterien, es kann unter Umständen Abgötterei sein und ist daher generell eher eine Gefahr für die christliche Gemeinde als eine Hilfe. In dieser Zielrichtung unterscheidet sich Luthers Präzeptorium am meisten von den Heiligenpredigten des späten Mittelalters: Es ist eindeutig theozentrisch und christozentrisch und nirgends hagiozentrisch.

Der Begriff "Mißbrauch" deckt nicht ab, was Luther in seiner Kritik anprangert. Es geht um Mißverständnis, um Fehlinterpretationen, die Gefahr einer in ihrer Ganzheit fehlgeleiteten Glaubens- und Lebenspraxis. Die angeprangerte Hagiopraxie ist in ihren Auswüchsen - klar von Luther gesehen - eine Zeiterscheinung. Aber das ist noch nicht alles, sondern auch der kirchlich legitimierte Heiligenkult birgt eine ständige Gefahr für den monotheistischen Glauben.

Luthers in nuce ablehnende Haltung gegenüber der vorfindlichen Heiligenverehrung ist ein Resultat seiner theologischen und historischen Arbeit: Die Beschäftigung mit den Quellentexten (Legenden) einerseits und der Wirklichkeit andererseits mußte ihm vor Augen führen, daß die zugleich kompilatorische wie auch reinigende Arbeit einer Legenda aurea die Hypertropie im Umgang mit Heiligen nicht beseitigen konnte.

Luther konnte also bereits 1516 in seiner ersten Stellungnahme zu einem der zentralen Bestandteile der christlichen Frömmigkeit sagen, daß es wohl besser wäre, wenn es sie nicht gäbe. 1518 und 1520 in den Drucken weitgehend unverändert wiederholt, weitet er diese Sicht bis 1522 konsequent aus. Die Schriften der folgenden Jahre erhärten dies, und die Hoch-
schätzung, die Luther den Heiligen und ihren Legenden per-
sönlich entgegenbringt (bis zum Vorwort der Vitenausgabe Georg Majors 154571) beweist ja, daß er bei allem erbaulichen Nutzen der Hagiographie von der Hagiopraxis, der Heiligenverehrung im Sinne eines Heiligenkultes aus Einsicht in die theologische und praktische Notwendigkeit Abschied nahm.

V. Luthers "Epistel oder Unterricht von den Heiligen" (1522)

War die Wittenberger Gemeinde schon früh mit der Kritik und bald der Abschaffung des Heiligenwesens konfrontiert, so ist die Erfurter Korrespondenz Luthers ein Beispiel für die weitere praktische Anwendung der reformatorischen Einsichten. In Erfurt gab es Auseinandersetzungen um die Frage der Heiligenverehrung, und Luther geht literarisch und theologisch geschickt auf dieses Problem ein, indem er sich der Sprache der korinthischen Korrespondenz des Paulus bedient: "Martinus Luther, Ecclesiastes tzu Wittembergk, allen Christen tzu Erffurdt sampt den predigern und dienern gnad und frid ynn Christo Jhesu unßerm herren"72. Ohne es direkt auszusprechen, doch eben vermittelt durch den Stil, sieht Luther in der Tat eine Parallele zwischen dem korinthischen Streit um das Götzenopferfleisch und der gegenwärtigen Auseinandersetzung um Für und Wider der Heiligenverehrung: "Es ist auch fur mich komen, lieben bruder, wie unther euch tzanck unnd tzwytracht entsprungen sey auß ettlichen predigeten von unnöttigen sachen, nämlich der heyligen dienst".73 Die Unnötigkeit wird weiter ausgeführt und auf der Linie begründet, die mit den "Decem praecepta" vor sechs Jahren eingeleitet wurde: "ewer prediger wollten sich der fragen von den heyligen ym hymel und von den toten entschlahen und das volck dannen wenden, angesehenm das des fragens keyn ende seyn wurdt, wo yhr eyne tzulaset ... und doch widder nutz noch nott ist tzur selickeytt. Datzu auch gorr uns nichts hat wollen wisen lassen, wie erß mit den todten mache, denn es thut yhe dar keyn sundt, der keynen heyligen anruft."74

Ist diese Zielrichtung des praktisch-theologischen Handelns als konstitutiv erkannt, dann freilich muß wie in Korinth das pragmatische Zugeständnis an die "Schwachen" gemacht werden, in der eigentlich abzulehnenden Praxis fortzufahren, um sie nicht zu überfahren und dem Glauben ganz zu entfremden.

VI. Ökumenische Konsequenzen

Treffen die damaligen Aussagen des "jungen" Luther, die ja im Vergleich zu den Schmalkaldischen Artikeln ausgesprochen moderat sind, die heutige römisch-katholische Glaubens- und Lebensweise? Was die dogmatischen Grundlagen römisch-katholischer Hagiologie angeht, so scheinen die Positionen in der Tat gar nicht einmal so fern: Über die noch in CA 21 zugestandenen Elemente der memoria, der Verehrung der Heiligen und ihrer Fürbitte, kommt in "Decem praecepta" ja noch eine vorsichtige Konzession an die Anrufung hinzu. Und doch ist aus der Beschäftigung mit gerade dieser Schrift die Aufforderung in das ökumenische Gespräch mit hineinzunehmen, Heiligenverehrung in all ihren praktischen Bezügen und Konsequenzen zu sehen. Und hier tun sich doch erhebliche Unterschiede auf. Gerade die Züge, die Luther kritisiert und die ihn
letztlich dazu führen, den Verzicht des Heiligenkultes zu befür-
worten, gehören zu den Essentials katholischer Hagiologie und Hagiopraxie. Hierzu gehört das Nebeneinander von Hagiologie und einer mehr oder weniger unkontrollierten Praxis. Die 787 in Nizäa im Hinblick auf die Bilderfrage postulierte Unterscheidung zwischen Dulia und Latreia kann präzise nur theologisch-theoretisch getroffen werden, in der Praxis bleibt immer eine Unschärfe. Diese Unschärfe ist um so bedenklicher, als sie im heiklen Grenzbereich zwischen Monotheismus und Polytheismus liegt. Wie ist es zu bewerten, wenn in einem Werk, das ein bischöfliches Imprimatur trägt, in einem auch in Rom im Rahmen eines Kanonisierungsprozesses nicht beanstandeter Wunderbericht, der Satz zu lesen ist: "ich betete sehr viel zur seligen Mutter, sie (!) möge mich heilen"?75 Doch auch die "offizielle" Lehre der römisch-katholischen Kirche dürfte von Luthers Position angefragt werden.

- Bei den Wunderbestätigungen in Heiligsprechungsakten, die ein gutes Drittel der Acta Apostolicae Sedis ausmachen (!), geht es ausschließlich um Heilungsvorgänge im eigenen Interesse der Betenden und um Prestigefragen kirchlicher Gruppierungen, also genau das, was Luther dezidiert als "ab-usus" ablehnte. Das bedeutet nicht, daß in den Heiligsprechungsakten nichts von Gottes Gnade gesagt würde. Doch die Wunder nach Fürbitten sind eben nur medizinische Wunder, nie könnte etwa eine Hinführung zu Glaube und Liebe als Ergebnis heiligen Einschreitens akzeptiert werden. Dies ist eine Folge des vom Tridentinum gegen die reformatorische Auffassung formulierten "bene et utile" einer um eigenen Nutzen besorgten Heiligenanrufung.76

- Die Kanonisierung ist oft verbunden mit Aufrufen, bestimmte Verstorbene oder bereits Selige um Fürbitte anzurufen. Warum, so wäre mit Luther zu fragen, wird nicht zum Gebet zu Christus aufgerufen? So kann wohl der 1962 im Evangelischen Kirchenlexikon vorgebrachten These Kurt Nitschkes beigepflichtet werden, jede Heiligenverehrung sei "christofugal".77

- Die von Luther verworfenen Patronate und Spezifizierungen werden natürlich auch heute noch weitervermittelt,78 auch wenn sie nicht mehr die immense gesellschaftliche Rolle spielen wie zu seiner Zeit. Innerkirchliche Rivalisierungen und Gruppenzwänge sind hierbei nicht auszuschließen und finden zum Teil eine für das Christentum generell nicht unbedingt förderliche Beachtung in der Öffentlichkeit.79

Inzwischen sind historisch nicht eindeutig nachweisbare Heilige aus dem offiziellen Heiligenkalender gestrichen worden: Christopherus, Barbara, Nikolaus. Doch weniger aus den historisch-pädagogischen Gründen, wie Luther seinerzeit forderte. Vielmehr sollen die Gläubigen sicher sein, daß die Heiligen, die sie um Fürbitte angehen, tatsächlich gelebt haben. "Nicht gelebt" heißt ja: "nicht gestorben", und dann "nutzt" die Anrufung natürlich nichts. Abgesehen von dieser Kasuistik werden natürlich
immer noch Christopherus-Plaketten mit den entsprechenden Segen in römisch-katholischen Devotionalienläden verkauft.

- Nach vergleichsweise ruhigen Jahrzehnten, ja Jahrhunderten ist es unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. zu einer inflationären Kanonisationspraxis gekommen, die innerkatholisch kritisch beobachtet wird (Stand 1991: Kanonisierung von 380 Seligen und 262 Heiligen, mehr als seit dem Tridentinum bis heute, daneben noch ca. 1500 laufende Verfahren).80 Die von Alexander III. vor 700 Jahren eingeleiteten Maßnahmen zur Eindämmung des Heiligenwesens entpuppen sich als nunmehr päpstlichem Mißbrauch ausgeliefert.

- Seit dem Auseinandergehen der mittelalterlichen Kirche in verschiedene Konfessionen schließlich gibt es für die römisch-katholische Kirche nur noch römisch-katholische Heilige, sie sind hagiologisch sozusagen aus der demonstratio christiana in die demonstratio catholica abgewandert. Von daher ist es sehr bemerkenswert, doch bislang wenig beachtet, wenn Johannes Paul II. bisweilen von einer "Ökumene der Märtyrer" sprechen kann, in deren Zeugnis für Christus die Kirchentrennungen aufgehoben sind. Vor diesem Befund soll dieser Beitrag mit sechs Thesen beschlossen werden, die mir für ein interkonfessionelles Gespräch zur Frage nach den Heiligen hilfreich scheinen:

1. Die gegenwärtige Theologie und Praxis der römisch-katholischen Heiligenverehrung ist eine römisch-katholische Theologie und eine Praxis der römisch-katholischen Christenheit und kein allgemeines Glaubens- und Lebensgut der Kirche. Ein großer Teil der Christenheit kennt keine mit der römisch-katholischen Kirche vergleichbare Hagiopraxis.

2. Der Versuch, die evangelischen Positionen oder auch nur die Beurteilung des Heiligenkultes durch Martin Luther mit den römisch-katholischen Positionen in Deckung zu bringen, scheint daher weder nötig noch ohne eklektische und damit unhistorische Exegese der reformatorischen Quellen möglich.

3. Hieraus ergibt sich einerseits, daß evangelischerseits nicht mehr mit Blick auf die Heiligenverehrung als von "der endchristlichen Mißbräuche einem" zu sprechen, den es vor jeder Kirchengemeinschaft mit Stumpf und Stiel auszurotten gelte: nostra res non agitur!

4. Freilich ist unerläßlich - und zwar wegen des römisch-katholischerseits stark betonten ekklesiologischen Charakters der Kanonisierung von Seligen und Heiligen -, auf Ärgernisse hinzuweisen. Die Kanonisierung von Exponenten der Konvertitenmacherei wie Niels Stensen oder extremer und gewaltsamer Katholisierung wie Jan Sarkander und ihre Propagierung als ökumenische Vorbilder muß dem ökumenischen Partner als Affront ausgelegt werden können.

Hier kann auf ein Stück evangelischer Katholizität hingewiesen werden, die erlaubt, etwa einen Maximilian Kolbe ebenso als Vorbild oder Heiligen zu ehren wie Dietrich Bonhoeffer, was umgekehrt in der römisch-katholischen Kirche eben aufgrund der Verrechtlichung unmöglich wäre. Hier kann niemand heilig sein, der nicht Mitglied der eigenen Konfession ist.

5. Trotz theologischer Berührungspunkte in der Hagiologie sollte die evangelische Zurückhaltung und Abstinenz des Heiligenkultes ihrerseits als demonstratio evangelica akzeptiert werden können. Er gehört - und hier setzt evangelisches Christentum eine sich durch die ganze Geschichte der Christenheit ziehende Tradition konsequent fort - nicht zu den Essentials des christlichen Glaubens, ist ein verzichtbares Mehr und, wie die frühesten Aussagen der Reformation Luthers zeigten, enthält vermeidbare theologische Gefahren.



6. Solchermaßen ist dieser Bereich ein Prüfstein der Ökumene: Wo steht die Hagiologie in der römisch-katholischen Hierarchie der Wahrheiten? Die Tendenz geht dahin, Heiligenverehrung gerade wegen ihrer ekklesiologischen Bezüge für unverzichtbar zu halten. Dann freilich dürfte bereits ökumenische Konvivenz schwer sein.

Gerade ein Blick auf das Wallfahrts- und Reliquienwesen ("Heiliger Rock" in Trier, Turiner Grabtuch) und die für das Jahr 2000 eingeleitete Ablaßpraxis lassen doch fragen, ob die Reformation nicht recht hatte, wenn sie im Hinblick auf die Heiligenverehrung sagen konnte: "abusus tollit usum" und danach handelte. Die jüngst aufgestellte Behauptung: "Im Blick auf die Heiligen haben sich evangelische und römisch-katholische Christen so weit angenähert, daß der Umgang mit ihnen keine kirchentrennende Bedeutung mehr hat",81 ist mit Blick auf die Anfragen des jungen Luther auch an die Gegenwart mehr als fragwürdig.



Summary

Hagiology and the Cult of the Saints hold different positions in the Protestant and Catholic churches. In ecumenical treatments of this theme, one meets a view - especially in CA 21 with its approval of the veneration of and intercession for the saints - which can be equated with the modern Catholic view. Luther’s early treatment of the Cult of the Saints, on the other hand, shows us that since 1516 he intended to stamp the entire cult as harmful to the faithful, and to plead for its abolition. His sermons on the Ten Comandments (1516-17) ranked under transgression against the First Commandment, contain a comprehensive criticism of current practice which goes beyond simple criticism of externals, and it is corroborated in his writings of the early 1520s and Reformation practice. It is, therefore, not correct to assume a break in Luther the Reformer’s criticism of the Cult of the Saints.

Fussnoten:

1) Gerhard Ludwig Müller, Gemeinschaft und Verehrung der Heiligen. Geschichtlich-systematische Grundlegung der Hagiologie, Freiburg i. Br. 1984, 522.

2) Ebd.

3) "Anrufung der Heiligen ist auch der endchristlichen Mißbräuche einer und streitet wider den ersten Hauptartikel und tilget die Erkenntnis Christi", BSLK 424.11 f.

4) Hans-Martin Barth, Sehnsucht nach den Heiligen? Verborgene Quellen ökumenischer Spiritualität, Stuttgart 1992, 95.

5) Jörg Erb, Die Wolke der Zeugen. Lesebuch zu einem evangelischen Namenkalender, 4 Bde. Kassel 1951-1963; Walter Nigg, Große Heilige, Zürich-Stuttgart 1958; Max Lackmann, Verehrung der Heiligen. Versuch einer lutherischen Lehre von den Heiligen, Stuttgart 1958; Lennart Pinomaa, Die Heiligen bei Luther, Helsinki 1977.

6) In: Peter Dinzelbacher/Dieter R. Bauer (Hgg.), Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, Ostfildern 1990, 320-344.

7) Walter Klaiber, Gelebte Gnade, US 49 (1994), 180-187; Gunther Wenz, Evangelisches Heiligenverständnis, a. a. O., 188-194; Ulrich Schoenborn, Das Volk und seine Heiligen in Südamerika, a. a. O., 211-223.272; Hans Mayr, Heiligenverehrung - Hindernis für die Ökumene?, a. a. O., 227-229; Dietmar Prietz, Der heilige Wolfgang - ein Star zum Anfassen, a. a. O., 235; Johanna Haberer, Johanna von Orleans - die Kraft der Eingebung, a. a. O., 236-238.

8) In: Études Théologiques et Religieuses, 72 (1997), 375-387.

9) Vgl.: Heinz Maritz, Art.: Heiligenverehrung III. Kirchenrechtlich, in: LThK3 4,1298 f., sowie Hans J. Limburg/Heinrich Rennings (Hgg.), Beglaubigtes Zeugnis. Selig- und Heiligsprechungen in der Kirche, Würzburg 1989.

10) Vgl. Jutta Ströter-Bender, Heilige - Begleiter in göttliche Welten, Stuttgart 1990; Lore Kufner, Getaufte Götter. Heilige zwischen Mythos und Legende, München 1992; Gerhard Voss, Heiligenlegenden mit mythischen Wurzeln: Zeugnisse von Erlösung oder von Verfremdung weiblichen und männlichen Menschseins?, in: US 49 (1995), 195-210.

11) Mit umfangreichen Literaturhinweisen: Josef Schuster, Sind Heilige moralische Helden? Bemerkungen zu einer Kontroverse, in: ThPh 70 (1995), 383-398.

12) Vgl. insgesamt hierzu: Art.: Heiligenverehrung I.-VIII., LThK3 4, 1294-1304.

13) In: Remigius Bäumer (Hg.), Reformatio Ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit. Festgabe für Erwin Iserloh, Paderborn-München-Wien-Zürich 1980, 535-580.

14) In: OiC 26 (1990), 40-50.

15) In: JES 28 (1991), 38 ff.

16) A. a. O., 49.

17) A. a. O., 536.

18) Historischer Kommentar zur Confessio Augustana, Band 2: Theologische Probleme, Gütersloh 1978, 156.

19) Lackmann, a. a. O., 109 f.

20) Müller, a. a. O., 47.

21) A. a. O., 35.

22) Das Gebet zu den Heiligen - ein fragwürdiger Brauch, in: GuL 71 (1998), 321-331, Zitat 328.

23) A. a. O., 327.

24) A. a. O., 328.

25) WA 1,394-521.

26) Vgl. WA 1,409.5 ff.

27) Johannes Nider, Preceptorium legis et expositio decologi, o. O. 1483; Gottschalk Hollen, Praeceptorium, Köln 1489; Heinrich Herp, Speculum aureum decem praeceptorum, Nürnberg 1481; Johannes Herolt (Discipulus), De eruditione Christifidelium, o. O. 1509. Vgl. H. Siebert, Die Heiligenpredigt des ausgehenden Mittelalters, in: ZKTh 30 (1906), 540-591.

28) So etwa Nider, a. a. O., Praeceptum I Capitulum VI c, in Anlehnung an Thomas von Aquin, ad sent. III dist.IX.

29) Johannes Nider, Sermones aurei totius anni de tempore et de Sanctis, Paris 1530; Johannes Herolt, Sermones discipuli de tempore et de sanctis modum promptuario exemplorum, Straßburg 1503.

30) Vgl. hierzu Jörg Haustein, Martin Luthers Stellung zum Zauber- und Hexenwesen, Stuttgart 1990 (Münchener Kirchenhistorische Studien 2), 32-67.

31) Die deutschen Zitate aus der Münsterschen Übersetzung: Das X. gebot. ein nutzliche erklerung. Durch den hochgelerten D. Martinum Luther Augustiner ordens beschriben und gebredigt/ geistlichen und weltlichen dienende, Basel 1520 (im Folgenden: Münster), Zitat XIIIr, vgl. WA 1,411.6-10.

32) WA 1,411-418.

33) WA 1,419-426.

34) Münster XIIIr, vgl. WA 1,411.14-19.

35) WA 1,413.11-13.

36) Zit. nach einer Anmerkung Gustav Kaweraus in der deutschen Ausgabe von Decem praecepta in: Br 7,76.

37) Münster XVr, WA 1,414.6-10.

38) WA 1,414,12 f.

39) WA 1,414.6.

40) Münster XIIIr, WA 1,412.15-17.

41) Münster XIIIr, WA 1,412.18 f.

42) Münster XVvf., WA 1,414.17.23-28.

43) Vgl. WA 1,415.2-6. Das lateinische Original spricht hier ein Verbot aus (non pudet nos Christianosita in sanctis partiri negotia ..., 415.2 f.), während Münster übersetzt: "Also gan wir mit den heiligen vmb ..." (XVIr).

44) WA 1,418,25 und 418.23.

45) Vgl. zu dieser Fragestellung Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. München 1994, 207.

46) Vgl. WA 1,418.9-12.

47) Geschichte der Reformation, hrsg. v. Otto Clemen, Leipzig 1914 [Neudruck Gotha 1990], 6.

48) Vgl. WA 1,406.25 ff.

49) WA 1,415.15 f. zu Anna.

50) Br 7,78, zu Florian.

51) WA 1,413.6 f.

52) Zit. n. Ströter-Bender, a. a. O., 149.

53) WA 1,407.20 f.

54) "Istum autem, quod dicitur de draconis devoratione et ipsius crepatione, apocryphum et frivolem reputatur", Jacobus a Voragine, Legenda Aurea. Hrsg. v. Theodor Graesse, o. O. 18903 [Nachdruck Osnabrück 1969], 401.

55) WA 1,415.30 f. Die nur durch ihre Symbole zu unterscheidenden "drei heiligen Madeln" werden hagiologisch gern mit einer anderen Dreiheit zusammengebracht, nämlich den "drei Bethen" (Borbet, Wilbet und Ambet, auch Ainpet, Gberpet und Firpet), die nun überhaupt nirgends konkret festzumachen sind und ikonographisch gleichaussehend zu dieser Fragestellung Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. München 1994, 207.

56) Münster XVIIr, WA 1,415.36-38.

57) Münster XVIIr, WA 1,416.4 f.

58) "Quae quo longius absunt a vero, hoc et creduntur lubentius", Laus stultitiae, Kap. 40, in: Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften Bd. 2, Darmstadt 1975, 92.

59) WA 1,417.12.

60) WA 1,417.14 f.

61) WA 1,417.16-18.

62) Münster XVIIv, WA 1,417.27-30.

63) Ebd., WA 1,417.

64) WA 1,418.9 f.

65) Münster XIXr.

66) Münster XXr, WA 1,419.22-24.

67) Münster XXIr, WA 1,420.33 f.

68) WA 1,421.29, vgl. a. a. O., XXIIr.

69) Münster XIIIr, WA 1,424.14.

70) Münster XXVv, WA 1,426.9 f.

71) Vgl. WA 54,107-111.

72) WA 10 II,164.2-4.

73) WA 10 II,165.13-15.

74) WA 10 II,165.26-31.

75) Zit. n.: Parallelen zum Neuen Testament. Aus Heiligsprechungsakten. Übersetzt von Wilhelm Schamoni, Abenswerg, 1971.

76) Vgl. DH 1821.

77) Art.: Heiligenverehrung, in: EKL2 2,63.

78) Zum Teil inoffiziell, wie in: Albert Christian Sellner, Immerwährender Heiligenkalender, Frankfurt am Main 1993, wo man beispielsweise erfährt, daß Joseph von Copertino (1603-1663) der Schutzpatron der Raumfahrer sein soll (a. a. O., 482). Offiziell sind Patronatszuschreibun-gen wie die des Norbert von Magdeburg für den damaligen Magdeburger Jurisdiktionsbezirk im Jahre 1981, vgl.: AAS 74 (1982), 264.

79) Vgl. Jörg Haustein, Rechter Seliger oder seliger Rechter? Die Seligsprechung des Opus-Dei-Gründers Josemaría Escrivá de Balaguer, in: MdKI 43 (1992), 25 f.; ders., Hagiologie - Heiligenverehrung - Heiligenpolitik, in: MdKI 48 (1997), 70-72.

80) Vgl. Klaus Nientiedt, Neue Heilige - immer zahlreicher und umstrittener, in: HerKorr 45 (1991), 572-577.

81) So der Jenenser Ökumeniker Walter Saft, Jeder Heilige ist ein Wegweiser zu Gott, in: epd, Ausgabe für die kirchliche Presse Nr. 51/52 vom 16. Dezember 1998, 14-16, Zitat 16.