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Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

689–691

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Maull, Ibtissame Yasmine

Titel/Untertitel:

Gottesbilder und Gottesvorstellungen vom Kindes- zum Jugendalter. Eine qualitativ-em­pirische Längsschnittuntersuchung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2017. 219 S. m. zahlr. Abb. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-3-7887-3076-5.

Rezensent:

Petra Freudenberger-Lötz

Ibtissame Yasmine Maull legt eine bemerkenswerte Arbeit zu Gottesvorstellungen von Kindern und Jugendlichen vor, die sie – begleitet und ermutigt von ihrem Doktorvater Friedrich Schweitzer – als Dissertation an der Universität Tübingen eingereicht hat.
Ich habe die Arbeit mit Freude und Gewinn gelesen, denn sie vereint mehrere Vorzüge: Die Arbeit ist sehr gut nachvollziehbar verfasst und kann in unterschiedlichen religionspädagogischen Praxiskontexten Einsatz finden. Gleichwohl ist die Untersuchung nach allen Regeln guter wissenschaftlicher Arbeit geschrieben und darum im universitären Lehr- und Forschungskontext eine Bereicherung.
Zunächst entfaltet die Vfn. bislang vorliegende Studien zu Gottesvorstellungen, zeigt deren Vorzüge auf und formuliert ggf. Anfragen. Aus den so gewonnenen Erkenntnissen entwickelt sie das Design ihrer eigenen Studie, das sie anschaulich präsentiert. Die Auswertung der Untersuchungsergebnisse führt zu religionspädagogischen Konsequenzen, welche bis in die Schulpraxis hinein durchdacht und dargelegt werden. Ein beeindruckender Weg wird somit auf knapp über 200 Seiten zurückgelegt, diese Kompaktheit ist ein zusätzlicher Leseanreiz.
Die Auswahl der bisherigen Forschungsarbeiten zu Gottesvorstellungen von Kindern und Jugendlichen ist klug vorgenommen. Sie gewährt nicht nur einen Einblick in die Geschichte der Erforschung des Gottesbildes von Kindern und Jugendlichen im 20. Jh., sondern beleuchtet auch eine Fülle unterschiedlicher methodo-logischer Zugänge, die sie auf ihre Vor- und Nachteile hin befragt. Leitend ist durchweg ein wertschätzender Stil im Umgang mit den dargelegten Forschungen, was ich persönlich an der Arbeit der Vfn. besonders schätze. Zusammenfassend beobachtet sie ein gro ßes Interesse an den religiösen Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen. Sie stellt ferner insbesondere im Blick auf die neueren Untersuchungen fest, dass die individuellen Vorstellungen von Gott nur schwer in Stufenschemata zu fassen seien, da jede Entwicklung individuell verlaufe und Sprünge sowie Brüche aufweise, welche von äußeren oder inneren Faktoren beeinflusst sein können. Interessant ist, dass die einzelnen Untersuchungen trotz un­terschiedlicher Fragestellungen und differenzierter theoretischer Bezüge zu ähnlichen Ergebnissen kommen, die die Vfn. an­schaulich erläutert. Bei ihrer Analyse fällt ihr jedoch auf, dass es – von einzelnen Ausnahmen abgesehen, die jedoch wiederum sehr spezielle Bedingungen aufweisen – keine konsequenten Längsschnittstu-dien gibt. So macht sich die Vfn. auf den Weg der Konzeption der eigenen Studie.
Im Rahmen ihrer methodischen Überlegungen beleuchtet die Vfn. Vor- und Nachteile unterschiedlicher Forschungsstrategien und beweist hier einen differenzierten Blick. Für ihre eigene Studie wählt sie ein Setting, das neben den Zeichnungen halbstandardisierte Interviews mit den Probanden zu deren Bildern vorsieht. Bei der Interpretation seitens der Forscherin sollen diese Aussagen ein hohes Gewicht erhalten. Das gesamte Datenmaterial soll schrittweise mittels der dokumentarischen Methode der Interpretation nach Hilger und Rothgangel ausgewertet werden. Daneben fließen Kenntnisse zum jeweiligen Entwicklungsstand der zeichnerischen Kompetenz von Kindern und Jugendlichen ein.
Die Vfn. stellt im nächsten Schritt den Kontext der Untersuchung vor und entfaltet ihre leitenden Fragestellungen, die sich auf die Gottesvorstellungen der Befragten beziehen, auf deren Veränderung zwischen Kindheit und Jugend, auf die Deutungen der Veränderung seitens der Jugendlichen, auf das Verhältnis zwischen Bild und Deutung der Probanden sowie auf relevante theologische Fragen, die sich aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler ergeben und für den Religionsunterricht leitend sein können. Insgesamt wird ein klares Bild des Forschungssettings vor Augen ge­führt und Spannung bei den Lesenden erzeugt.
Die Vfn. stellt im Folgenden die einzelnen Schülerinnen und Schüler der untersuchten Lerngruppe vor und schrittweise deren Bilder, die Interviews und die zugehörigen Interpretationen. Wie schon mehrfach angemerkt, so zeigt sich auch hier die religionspädagogische Sensibilität der Vfn., welche sich in dem Bemühen um bestmögliches Verstehen und Deuten äußert.
Der Facettenreichtum der Einblicke in kindliche und jugendliche Gottesvorstellungen sowie in deren Entwicklung, welcher durch diese Studie möglich wird, lässt sich in einer kurzen Rezension nicht angemessen darstellen. Betont werden soll hier jedoch, dass die Untersuchung ein vorwiegend positives Gottesbild im Kindes- und Jugendalter ermitteln kann, wenngleich im Jugendalter die Themen, welche schon in den 80er Jahren des 20. Jh.s von Karl Ernst Nipkow als »Einbruchstellen« bzw. »Entscheidungsfelder« des Glaubens herausgearbeitet wurden, einen gewissen Vorbehalt bzw. Anfragen an das kindliche Gottesbild hervorbringen und eine Weiterentwicklung anstoßen. Zu ihnen zählen die Theodizeefrage, das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft und religionskritische Anfragen. Hier kann ich große Übereinstimmungen zu unseren Kasseler Forschungen erkennen, vor allem auch, was die bleibende Bedeutung der Theodizeefrage im Jugendalter be­trifft!
Spannend ist ferner, dass vor allem im Jugendalter erkannt und ins Gespräch gebracht wird, dass das Gemalte niemals alle Vorstellungen und Facetten des persönlichen Gottesbildes erfassen könne und eine ergänzende Erläuterung dringend notwendig sei. Und schließlich wird die Entwicklung der Gottesvorstellungen von den Jugendlichen als kontinuierlicher Prozess wahrgenommen, welcher durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird, nicht jedoch auf einzelne Erlebnisse zurückzuführen sei. Einige Jugendliche erkennen allerdings keine Weiterentwicklung des eigenen Gottesbildes und vermuten, dass dies im weiteren Lebenslauf so bleiben werde.
Für alle, ob mit wahrgenommener Veränderung oder ohne, scheint es aus Sicht der Vfn. höchst sinnvoll, im Religionsunterricht eine Begleitung der Entwicklung anzubieten. Denn früher oder später werde jede Entwicklung vor Fragen und Herausforderungen gestellt werden. Anhand der differenzierten Beobachtungen entwirft die Vfn. sowohl Grundprinzipien für eine Religionsdidaktik, die der Entwicklung der Gottesvorstellungen und des individuellen Ausdrucks des Glaubens besondere Bedeutung beimisst, als auch konkrete Unterrichtsideen, insbesondere zu den Themen, welche die Einbruchstellen des Glaubens im Jugendalter darstellen können.
Zusammenfassend kann ich die schon eingangs erwähnte Würdigung der Arbeit nur unterstreichen: sehr gut lesbar, wissenschaftlich sauber, anschaulich und praxisrelevant. Mögen viele Menschen von dieser Arbeit profitieren.