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Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

685–687

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Domsgen, Michael, u. Dirk Evers[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Herausforderung Konfessionslosigkeit. Theologie im säkularen Kontext.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 242 S. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-03294-5.

Rezensent:

Thomas Schlegel

Zur Thematik der Konfessionslosigkeit sind in den letzten Jahren immer wieder Impulse von der Theologischen Fakultät in Halle (Saale) ausgegangen. Besonders der religionspädagogische Lehrstuhl um Michael Domsgen hat sich hier profiliert (vgl. ders., Konfessionslos – eine religionspädagogische Herausforderung). Seit 2012 existiert eine eigene Forschungsstelle (vgl. Domsgen/Lütze [Hrsg.], Religionserschließung im säkularen Kontext), an der bereits weiterführende Studien entstanden sind (vgl. Demmrich, Religiosität und Rituale).
Der vorliegende Band geht auf die Theologischen Tage an der Theologischen Fakultät im Jahre 2013 zurück. Sein Proprium ist es, dass Konfessionslosigkeit »aus der Gesamtheit aller theologischen Disziplinen heraus« erschlossen wird und eine ganze Fakultät das Thema »als gemeinsame Herausforderung begreift und bearbeitet« (5). Das lässt aufhorchen. Hat doch die Rezension eines Sammelbandes die Aufgabe, einen roten Faden aufzuspüren. Bei der Vielfalt an Zugängen, Begriffsnuancen und Zielvorstellungen im Umgang mit Konfessionslosigkeit stellt sich allerdings die Frage, ob das Verbindende im gemeinsamen Gegenstand oder in der gemeinsamen Bearbeitung desselben liegt – wie es das Vorwort andeutet.
Hilfreich ist da, dass sich Michael Domsgen im Eröffnungsbeitrag um terminologische Klärung bemüht. Alternativbegriffe zu Konfessionslosigkeit wie Entkirchlichung, religiöse Unbestimmtheit und multiple Säkularität werden gewogen – und für zu leicht befunden. So bleibt es schließlich bei dem Containerbegriff »Konfessionslosigkeit«, zumindest als Übergangslösung. Zwar seien die Nachteile hinlänglich diskutiert; dennoch korrespondiere seine inhaltliche Unschärfe mit der phänomenologischen Vielfalt und wirke für die Mehrheit der Konfessionslosen selbst akzeptabel.
Wie wenig eine massenhafte Konfessionslosigkeit im grundsätzlichen theologischen Nachdenken angekommen ist, wird – so Jörg Dierken – daran deutlich, dass für das Phänomen keine überzeugenden Interpretamente bereitstehen: Die noch immer kur-sierenden Beschreibungen des Menschen als religionsoffen bzw. -bedürftig stellten letztlich eine Umdeutung der empirischen Befunde dar: »Dann ist am Ende doch alles wieder Religion, wenn auch nur in der Optik soziologischer oder theologischer Deutungen.« (57) In den traditionellen Motiven von Verstockung und doppelter Prädestination komme dem Unglauben letztlich »keine eigene, rationale Realität« zu. Nur im Rahmen der Freiheit werde Unglaube denkbar: »Religion ist eben nicht andemonstrierbar. Und dies wird im Motiv der Freiheit als Zugang zum Glauben gerade religiös eingeholt – mithin zum Grenzgedanken eines bleibenden Nein zum Glauben.« (65) Bleibt zu fragen, ob Konfessionslosigkeit hier – wie in der Tradition – nur als Rückseite von Christlichkeit erscheint.
Die historischen Aufsätze unterstreichen ihrerseits, wie fern die zeitgenössische Säkularität dem biblischen bzw. frühchristlichen Denken ist. So betont Ernst-Joachim Waschke im Nachdenken über das erste Gebot: »Dass Gott bzw. Götter existieren, gehört zu den unhinterfragten Voraussetzungen des antiken, biblischen Weltbildes.« (29) Udo Schnelle warnt zu Beginn seines sehr lesenswerten Aufsatzes über die missionarische Ausstrahlung der frühchristlichen Gemeinden vor eindimensionaler Adaption des damaligen Agierens im religiös gesättigten (!) Umfeld. Dennoch: Mission als Vernetzung attraktionaler Stützpunkte, die sich durch Integrationsfähigkeit nach innen und Liebesdienst nach außen profilieren, scheint im (ost-)deutschen Umfeld doch als eine recht anschlussfähige Praxis. Und ob das Desinteresse am Quantitativen, das Jörg Ulrich für das 2. Jh. konstatiert, im 21. Jh. weiterhelfen kann? Na­türlich mögen sich Gemeinden damals als »Inseln im tosenden Meer« – also im Gegenüber zur dekadenten Umwelt – verstanden haben; aber in den heutigen Marginalisierungsprozessen beinhaltet Kleinheit weniger eine ethische/theologische Purifizierung, sondern eine schmerzliche Ausdünnung im Sinne einer Volkskirche auf niedrigem Niveau. Am Ende seines recht langen Beitrags kommt Friedemann Stengel auf vier Dokumente der DDR-Kirchen zu sprechen, die heute mit ihrer (uninstitutionellen) Fokussierung auf den Verkündigungsauftrag zu inspirieren vermögen.
Konfessionslosigkeit als kirchliche Herausforderung wird unter dogmatischen Gesichtspunkten von Dirk Evers behandelt. Bei aller Gelassenheit, die eine Erinnerung an die evangelische Ekklesiologie vermittelt, ist er sich sicher, dass sich die Großkirchen angesichts der Konfessionslosigkeit »neu verorten, mittelfristig neu organisieren und wohl auch finanzieren müssen« (165). Er fordert einen Perspektivwechsel: »von der Frage nach der Erhaltung von Kirche, die am Ende ohnehin nicht das Ergebnis unseres Handelns sein kann, hin zur Frage nach der Lebendigkeit unseres Christ- und Kirche-Seins.« (175)
Auf christliche Mission in Ostdeutschland gehen die beiden abschließenden Aufsätze ein. Daniel Cyranka skizziert die Rezeption des Themas seit 1989 und erachtet als wichtige Voraussetzung, dass man die konfessionslosen »Nachbarn« nicht als »unnormale, religiöse Außenseiter« (231) ansieht und damit das Umfeld als »irgendwie uneigentlich« (230) apostrophiert. Michael Domsgens Beitrag bietet eine Fülle von bedenkenswerten Aspekten für eine »mission possible«. U. a. wirbt er für einen Abschied von »hegemonialen Phantasien« und das aufmerksame Zuhören. Wer das praktiziere, »wird dem Gegenüber als einer in Erinnerung bleiben, der für etwas brannte. Solche Begegnungen sind selten folgenlos« (244).
Der rote Faden? Sicherlich wäre es überzogen, von einer gemeinsamen Bearbeitung des Themas zu sprechen. Schon den Begriff »Kon­fessionslosigkeit« füllen die Autoren anders: als Unglaube, Säkularität oder als formale Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft. Trotz weiterer Differenzen scheint die Autoren das Bewusstsein zu verbinden, dass Konfessionslosigkeit eine ernste Herausforderung aller theologischen Disziplinen darstellt, sich eine kontextuelle Theologie am homo areligiosus bewähren müsse und Kirche bzw. Theologie angesichts dessen auf Verstehensprozesse und Fragen zurückgeworfen ist, »die an die Anfänge des Christentums erinnern« (175).
So belegt der Band einerseits, wie sehr Kirche und Theologie am Beginn ihrer Auseinandersetzung mit der Konfessionslosigkeit stehen, unterstreicht aber andererseits, dass es nur eine mehrperspektivische und interdisziplinäre Annäherung an das Thema geben kann.