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Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1169–1172

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

(1) Wintzer, Friedrich (2) Winkler, Eberhard

Titel/Untertitel:

(1) Praktische Theologie. Unter Mitarbeit von M. Josuttis, D. Rössler, W. Steck. 5. überarb. Aufl.
(2) Praktische Theologie elementar. Ein Lehr- und Arbeitsbuch.

Verlag:

(1) Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1997. 228 S. 8 = Neukirchener Arbeitsbücher. Kart. DM 49,80. ISBN 3-7887-1612-6.
(2) Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1997. 236 S. 8. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7887-1597-9.

Rezensent:

Peter C. Bloth

Eberhard Winkler, der Autor des zweiten, hier zu rezensierenden Buches schloß seine Besprechung der Erstauflage des ersten Titels von Friedrich Wintzer (von 1982; vgl. ThLZ 108, 1983, 224-227) mit dem Satz: "Dieses Buch kommt sicher einem breiten Bedürfnis entgegen, und es wird ihm an Lesern nicht fehlen" (227). In der Tat: Die Praktische Theologie als Ganzes, aber kaum anders ihre Einzeldisziplinen, ist nicht eben reich an Büchern, die innerhalb von 15 Jahren fünf Auflagen erleben. Ob und mit welchem Erfolg das Buch, wie der Reihentitel ("Neukirchener Arbeitsbücher") und der Kapitel- bzw. Paragraphen-Aufbau beabsichtigen, die ,Arbeit’ der Leserinnen und Leser, natürlich zumal im theologischen Seminar- und Examensbetrieb gefördert hat, mögen wohl zuerst die Autoren berichten können; der Rezensent der 5. Aufl. verfügt dazu über keine Auskunft.

Er stellt jedoch beim Vergleich der 1. und 5. Aufl. zunächst fest, daß die "Auswahl" des "Arbeitsbuches" nun nicht mehr wie 1982 "17 Themen" (ThLZ 1983, 227) umfaßt. Wenn die jetzige Aufl. mit 16 Paragraphen auskommt, gleichwohl aber als "erweitert" bezeichnet wird, so muß das gravierendere Überlegungen anzeigen. Von den 1982 vermißten Fachgegenständen wie "diakonische und missionarische Aufgabe", oder anders: "Diakonie und Innere Mission (unter Einschluß der Evangelisation)" (ebd.) sowie "wichtige[n] Fragen des Gemeindeaufbaus" (ebd., 225) ist auch jetzt nicht mehr zu finden als eine "Vertiefungs"-Frage (!) in F. Wintzers 12 "Krankenseelsorge" (145) samt daran angeschlossener sehr knapper Literaturliste zur "Diakonie als Aufgabe der Kirche und der Christen" (146). Wenn trotz der ,Erweiterung’ des Buches so wenig vom Vermißten aufgenommen wurde, so hat das - man kann es seit 1986 und 1994 wissen - kaum mit der verlagstechnischen Konzeption des Ganzen allein zu tun.

In jenen Jahren erschienen die beiden Auflagen von D. Rösslers ,Grundriss der Praktischen Theologie’; die zweite allerdings wird im vorliegenden Buch nicht einmal in den Literaturlisten, sondern nur vom Autor selbst und zwar innerhalb seiner, gegenüber der Erstaufl. neuen, äußerst gerafften Ausführungen zu "Einheit" und "Zusammenhang" der praktisch-theologischen "Theorie" (9 f.) erwähnt. Beide Auflagen enthalten und entfalten nun diejenige These in Sachen "Diakonie" (Rössler, Grundriß, 3. Kap.), die davon ausgeht, daß - wie Wintzer schreibt - "Seelsorge und Diakonie nicht grundsätzlich voneinander getrennt werden" dürfen (145). Dies in der Praktischen Theologie noch immer an, wie man sieht, prominenter Stelle anzutreffende Postulat wird von den meisten, bei Wintzer aufgeführten Schriften zur ,Diakonie’ gerade nicht geteilt. Indem also die sog. ,Exemplarizität’ der Themenauswahl des einzigen, praktisch-theologisch gesamtheitlich orientierten "Arbeitsbuches" nach 15 Jahren noch immer nicht das jedenfalls quantitativ-,kirchlich’ umfangreichste Gebiet ,Diakonie’ sachgerecht berücksichtigt, leistet sie einem nicht überzeugenden Verständnis auch der ,Seelsorge’ Vorschub. Dazu mag von Anfang an auch die Aufteilung von "IV. Zur Theorie der Seelsorge" mit ihrer hervorragenden Bearbeitung im 11 "Seelsorge und Psychotherapie" eben durch Rössler und die davon im ,Grundsatz’ wenig abweichenden 12 f. zur "Krankenseelsorge" und zum "Seelsorgegespräch mit Sterbenskranken" von Wintzer beigetragen haben. Allein die nachgerade selbstverständliche Auskunft, "die Seelsorge und die Diakonie [dienten] dem ganzen Menschen" (Wintzer, 145) - eine hier aus dem Konzept der "ganzheitlich ausgerichteten Seelsorge" von W. Trillhaas und A. D. Müller hergeleitete Einsicht (143 f.; vgl. dagegen das Trillhaas-Zitat in 11, 127) - kann heute das in Sachen ,Diakonie’ theologisch wie studienbezogen Notwendige nicht mehr ,exemplarisch’ erschließen.

Die trotz ,Erweiterung’ zu verzeichnende Verknappung des ,Arbeitsbuches’ um einen Paragraphen liegt aber vor allem an der eingreifenden Umgestaltung des Teils "V. Zur Religionspädagogik und zur Katechetik" von W. Steck. Sein früherer 16 "Problemorientierter Religionsunterricht" (künftig: RU) wurde jetzt in 15 "Die Bibel im RU" (190 ff.; vgl. aber auch 14, 173 f.182) eingestellt. Neu begegnen Abschnitte zu "Bibliodrama" und "Symboldidaktik" (195-202); besonders letzterer ist als erhebliche Bereicherung anzusehen.

Der (Schluß-) 16 über "Konfirmandenunterricht und Konfirmation" erfuhr ebenfalls, vor allem in der Verarbeitung neuerer Literatur, bemerkenswerte Ergänzungen (z. B. 205 f., 211 f.; hier wird allerdings die "katechumenatstheologische" Struktur des "kirchlichen Bildungswesens in der DDR" ein wenig verspätet, aber noch wie ganz gegenwärtig dargestellt). Es verwundert nicht - ein Zusatz zum "Vorwort" (VIII) deutet schon darauf hin -, daß sich im 14 "Der RU in der Schule" (159-184) die seit 1990 in den neuen Bundesländern geführten Debatten bis hin zum Brandenburgischen ,Sonderweg’ mit dem Pflichtfach(!) "Lebensgestaltung/Ethik/Religion[skunde!]" (L-E-R) besonders deutlich niederschlagen. In diesem Paragraph bedürfte es freilich genauerer Analyse, um die mancherlei Ungenauigkeiten des Urteils (z. B. 161 zum "Bremer Schulstreit" und zur Behauptung des "Fortbestand[es] der bisherigen Verhältnisse" (scil.: bis 1918!) in der Weimarer Verfassung von 1919; "Verwirklichung" des "Programm[s] des allgemeinen RU im Land Brandenburg") zurechtzurücken. Daß Steck noch immer die in Th. Wilhelms ,Theorie der Schule’ aus den 60er Jahren (vgl. aber 174 mit 184) vorgetragene "religionspädagogische Theorie" als "Grundmodell" (174-176) bezeichnen kann, will - so scheint es - zum von ihm bei freilich deutlicher Verkürzung der Probleme mit einiger Sympathie vorgestellten schulgesetzlichen Pflichtfach L-E-R nicht recht passen. Einem in ThLZ 1983 geäußerten Wunsch, nämlich "einzelne Themen bis zur Praxisanleitung [zu] führen" (227), kommen die Steckschen 14 und 15 jetzt jedoch partiell näher.

Hinsichtlich des Teils "II. Zur Liturgik" mit seinen nicht nur wegen der "kühnen Thesen" (ThLZ 1983, 225) des Autors M. Josuttis nach wie vor studierenswerten vier (32-85) sei wenigstens noch ein Hinweis gegeben. Im 4 "Theologie des Gottesdienstes bei Luther" findet sich die - übrigens seit F. Rendtorffs Schrift "Liturgisches Erbrecht", 1913, Nachdr. 1969 zu hörende - These, es sei "dem Protestantismus bisher nicht gelungen, die Freiheit des Evangeliums in liturgischer Praxis zu realisieren". Josuttis leitet das "auch" aus der "historischen Ausgangskonstellation in der Spannung zwischen Rom und den Schwärmern" ab (41). Im 7 "Gottesdienstreform im Katholizismus" hebt er nun aber bei seiner tiefreichenden Analyse von Text und Wirkung der "Liturgie-Konstitution des II. Vaticanums" mehrfach hervor, daß eine Reihe ihrer Elemente "faktisch die Entdeckung evangelischer Intentionen durch den neueren Katholizismus" bedeute (82), ja daß einige "Grundaussagen" der Würzburger Bistümer-Synode von 1975 "zum Verständnis des Gottesdienstes von einer durchaus evangelischen Intention getragen" seien (80). Man wüßte speziell in den Jahren zwischen dem Buch "Lehrverurteilungen - kirchentrennend?" und dem Streit um die ,Gemeinsame Erklärung (scil. von Luth. Weltbund und Vatikan) zur Rechtfertigungslehre’ gern, wie sich die Thesen aus den 4 und 7 reimen - eine ebensosehr liturgie-theologisch wie ökumenisch interessante Frage.

Der Rez. der Erstauflage des Wintzerschen Buches, der diesem das "exemplarische Verfahren" (ThLZ 1982, 224) bescheinigte, hat nun selbst ein "Lehr- und Arbeitsbuch" unter dem Titel "Praktische Theologie elementar" vorgelegt. Obgleich Winkler die beiden Adjektive am fachlich zutreffenden Ort, nämlich bei seiner Aufnahme der sogenannten "didaktischen Analyse" in das Kap. 8 "Religions- und Gemeindepädagogik" im Sinne der erziehungswissenschaftlichen Definition - leider ohne eigens weiterführende Literaturangabe - benutzt (216 f.), hat er sie für das Gesamtvorhaben seines Buches nicht gesondert geklärt. Seine eigenen, im "Vorwort" genannten "Motive", nämlich für Examenszwecke "kurzgefaßt" und für den Gebrauch des Theologischen Seminars der Luth. Kirche in St. Petersburg "einfach" (9), nehmen sich für ein "elementares" Buch wie dieses gar zu bescheiden aus. Natürlich, bezieht man ,kurzgefaßt’ und ,einfach’ etwa auf den solche Zwecke mustergültig erreichenden Satzbau, den Dezimalaufbau der Einzelkapitel oder die Petit-Stichworte an jedem Seitenrand, so ist den genannten "Motiven" voll entsprochen.

Sieht man jedoch auf die weiterführenden Hilfsmittel - die Hauptkapitel 2-8 enthalten durchweg nur je zwei bis fünf Literaturtitel - oder auf die namhaft gemachten wissenschaftlichen Diskurse, so folgt der Autor augenscheinlich konsequent seiner "Vorwort"-Meinung, "in der Praxis" sei "unwichtig" und sollte es "auch im Examen" sein, zu wissen, "wer was geschrieben hat, wenn Klarheit über die handlungsleitenden Motive und Kriterien besteht" (9). Wessen ,Motive’ sind hier gemeint: die der Leser oder derjenigen Personen, welche die jeweils, also unter Umständen sogar ohne Nachweis vorgetragene Meinung vertreten haben? Um auf welche Art, zu welcher Zeit und mit welchem Ertrag gewonnene ,Kriterien’ geht es denn? ,Elementarisierung’, die dies für ein "Lehr- und Arbeitsbuch" nicht nachvollziehbar reflektiert, läuft Gefahr, die wissenschaftlich unumgängliche Offenlegung von Zeit und Grund ihrer und der Leser praktisch-theologischen Urteilsbildung zu erschweren. Das könnte sich schon bei der Beantwortung der vom Autor beigegebenen, für jeden Teil zwischen 14 und 25 oft durchaus ,praxis’-nahen "Fragen" als hinderlich erweisen.

Das kritisch anzumerken, schließt indes keineswegs aus, die unbezweifelbaren Vorzüge des Buches in der gebotenen Kürze anzuzeigen. Als erstes sei darauf hingewiesen, daß der Autor für den Aufbau die nicht nur faßliche, sondern unter manchem Aspekt gerade heute auf neue Weise brauchbare Gliederung des Faches in sogenannten Unterdisziplinen bevorzugt. "Praktisch-theologische Kybernetik", "der Gottesdienst", "Predigtlehre (Homiletik)" eröffnen, "Kasualien", "Seelsorge", "Diakonie", "Religions- und Gemeindepädagogik" beschließen das Buch. Für die Frage, warum die (und diese!) Gebiete so nacheinander angeordnet sind, findet man keine explizite Antwort. Man mag sie der Tatsache entnehmen, daß der Vf. am zwischen 1975 und 1978 in Berlin (Ost) publizierten "Handbuch der Praktischen Theologie" und hier besonders an den ,kybernetischen’ Partien des Bd. I beteiligt war. Hieraus dürfte auch die zweite Besonderheit resultieren, daß Winkler nämlich überall besonders die Gemeinde als Realität sowie ihre Aufgaben und Dienste betont. Themen wie "Gemeindeaufbau" (25 ff.53 ff.; vgl. oben!), "Bedeutung der Gemeinde für die Predigt" (83 ff.) und "Kirchliche Arbeit mit Kindern" (227 ff.) belegen das instruktiv.

Mit dieser Beobachtung läßt sich ein dritter, in der gegenwärtigen literarischen Produktion leider bereits deutlich zurücktretender Vorzug des Winklerschen Buches verbinden. Der Rez. hält es nicht etwa aus kirchennostalgischen, sondern aus Gründen der Praktischen Theologie selbst für gut und richtig, daß der Autor an vielen Stellen sozusagen "in Ost und West’ denkt (z. B. 16, 24, 35 f., 112, 120, 228-230 u. ö.). Das muß indes überall dort zu Nachfragen von vermutlich jedem Benutzer des Buches führen, der in den betreffenden Materien nicht oder noch nicht zu Hause ist; für die Beantwortung dürfte aber die gebotene Hilfestellung sicherlich nicht ausreichen. Das klarste Beispiel dafür ist "8. Religions- und Gemeindepädagogik" (204-236).

Hier wird das Begriffspaar in einer spezifischen Interpretation eingesetzt, deren wissenschaftliche Trennschärfe für die heute in West und Ost bestehende Situation und ihre Bedeutung für die Praktische Theologie kaum noch ausreicht. Historische Urteile, wie z. B. 208 f., kurze Erwähnungen von bereits deutschen studentischen Lesern meist unbekannten Sachverhalten wie "LER in Brandenburg" (ebd.; s. o.!) führen gerade in einem solchen Buch schnell zu ,falschem’ Lernen, nämlich zur examensorientierten (s. o.!) Aufnahme von Unverstandenem. Daß übrigens der "Konfirmandenunterricht" unter "5.3 Die Konfirmation" bei "Kasualien", also nicht bei "8. Gemeindepädagogik" abgehandelt wird, sei gerade in diesem Zusammenhang als schwierige Folge des Aufbaues erwähnt.

Als vierter Vorzug ist die durchgehende Berücksichtigung "biblischer Nachweise" (9) anzusehen. Ungeachtet der damit verbundenen exegetischen und hermeneutischen Schwierigkeiten darf gesagt werden, daß die heutzutage oft meilenweite Entfernung praktisch-theologischer von biblischen Aussagen (und umgekehrt!) eine Erschwerung des Theologiestudiums darstellt, der sich zu stellen die Praktische Theologie als eine auch ihrer Aufgaben ansehen sollte. Und hier bietet Winkler, über ,loci classici’ hinaus, wohl auch aus seiner reichen Erfahrung als Pfarrer manches Hilfreiche.

Zum Schluß ein paar Kleinigkeiten, die eine weitere Auflage beseitigen mag:

Bestimmte Namen, z. B. Wichern, Fliedner (24), Gogarten (27), Dilthey (32), Schleiermacher (48) usw. begegnen ständig ohne Vornamen und weitere Identifikationshilfen - was macht da besonders (laut S. 9 erwarteter Extremfall!) der Leser in "St. Petersburg" oder (wie der Rez. es derzeit erlebt:) sogar an der Theologischen Fakultät der Universität Tartu? Müssen solche, erwiesenermaßen ,junge’ Buchtitel transportierende Schlagworte wie "ecclesia semper reformanda" (19; vgl. jedoch Art. Reformation, in: HWP!) gerade in der Praktischen Theologie immer noch als Selbstverständnis der "evangelischen Kirche" ausgegeben werden?

Summa summarum: Der Praktischen Theologie und ihrem Studium liegen mit den hier besprochenen Büchern ein gut eingeführtes und ein neuartiges Handwerkszeug vor. Daß sie aus dem gleichen Verlag stammen, muß ihr Nebeneinander nicht stören; daß eines deutlich anspruchsvoller und deshalb einem anderen Studienabschnitt zugedacht ist, macht das andere keinesfalls zur Examens-"fast food". Bei der heute - leider! - häufig zu beobachtenden Art von Prüfungsvorbereitung, die lediglich noch aus der Erarbeitung eines sogenannten ,Spezialgebietes’ besteht, kann vielleicht der einfachere Gesamtüberblick bei Winkler die eindringendere Einzelstudie bei Wintzer ergänzen, bzw. ein Text (oder besser: mehrere!) bei Wintzer die möglicherweise rasche Lektüre von Winkler vertiefen.