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Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

658–660

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hunsinger, George

Titel/Untertitel:

Evangelical, Catholic, and Reformed. Doctrinal Essays on Barth and Related Themes.

Verlag:

Grand Rapids u.a.: Wm. B. Eerdmans 2015. 331 S. Kart. US$ 34,00. ISBN 978-0-8028-6550-2.

Rezensent:

Michael Weinrich

Auf den ersten Blick verrät der etwas kryptische Buchtitel wenig von dem, was mit beachtlichem Tiefgang in dem Buch zu finden ist. Es handelt sich um 15 Studien zu ebenso zentralen wie kontrovers diskutierten Themen, die entweder in besonderer Weise von Karl Barth (wieder) auf die theologische Bühne gebracht wurden oder in seiner Theologie eine bleibend beachtenswerte Prägung bekommen haben. George Hunsinger gibt sich nicht mit theologiegeschichtlichen Einordnungen zufrieden, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf die Substanz und ökumenische Reichweite der Theologie Barths. Die Fokussierung auf das Evangelium, die Katholizität seines Verständnisses und die spezifisch reformierte Färbung sind die drei prägenden Dimensionen, mit denen H. die theologische Ausrichtung Barths zu charakterisieren versucht. Damit gelingt es ihm, mit bisher weniger konventionalisierten Perspektiven auf Barth aufmerksam zu machen, die vor allem auch seine ökumenische Bedeutung in ein neues Licht rücken.
Es werden die fundamentalen Fragen in den Blick gerückt, in denen über den spezifischen Charakter der von der Theologie zu bedenkenden Botschaft, die Reichweite ihrer Aussagekraft und auch über ihre ökumenische Kompatibilität entschieden wird. Etwas formelhaft formuliert sind dies für einen theologisch verantwortlichen und d. h. für einen auch ökumenisch relevanten Protestantismus (der Begriff wird von H. nicht verwandt) neben der grundlegenden Bedeutung des biblischen Zeugnisses 1. die trinitätstheologischen Entscheidungen von Nicea, 2. die christologischen Bestimmungen von Chalcedon (Zwei-Naturenlehre) und 3. die rechtfertigungstheologischen Akzente der reformatorischen Theologie (simul peccator et iustus). Diese drei für Barths Theologie fundamentalen Wegmarkierungen, »that do not admit of degrees, but that are present either as qualitative and indivisible wholes or not at all« (295), sind mit einer spezifischen Denkweise verbunden, wie sie für Barth charakteristisch ist: »In each case these modes of thought were essentially dialectical, enabling theology to hold together in a single conception a variety of predicates that were otherwise apparently antithetical.« (Ebd.) Es ist ebenso mutig wie zugleich ökumenisch realistisch, wenn H. andeutet, dass die Theologie jenseits dieser drei fundamentalen Koordinaten kaum davor zu bewahren ist, sich in ein sektiererisches Abseits zu begeben (162).
Wenn in den ersten Beiträgen vor allem Barths Trinitätslehre als ein auch für die zeitgenössische Theologie grundlegendes Konzept rekapituliert wird, stellt sich H. entschieden gegen die Ansicht, dass sich Barth in seiner Erwählungslehre von seinen trinitätstheologischen Grundentscheidungen in den Prolegomena, die sich als eine genuine Fortschreibung der altkirchlichen Entscheidungen verstehen lassen, abgewandt habe, um dann an ihrer Stelle die Position zu vertreten, dass nicht die Trinität der alles bestimmende Zugang zu einem angemessenen Gottesverständnis sei, sondern die Erwählung, durch welche die Trinität überhaupt erst konstituiert werde (vgl. besonders Bruce McCormack). H. zeigt überzeugend auf, wie entscheidend die Konsistenz des trinitarischen Kon zepts der Prolegomena für Barths ganze Theologie bleibt. Der spe­zifische Charakter der für Barth typischen christologischen Konzentration würde gleichsam entgleisen, wenn Christus selbst nicht mehr ausdrücklich auch als der erwählende Gott verstanden würde, ebenso wie auch die innertrinitarischen Relationen ins Wanken gerieten, so dass die Trinität auf die Ökonomie des Handelns Gottes gleichsam limitiert würde und sich damit zwangsläufig auch eine subordinatianische und modalistische Schlag-seite einhandelte. Zweifellos handelt es sich hier um eine recht spekulative Fragestellung, deren unterschiedliche Beantwortungsmöglichkeiten allerdings überaus folgenreich in sehr verschiedene Richtungen weisen. H. hebt hervor, dass die ewige Erwählung kein Akt der trinitarischen Selbstorganisation Gottes, sondern ein Akt trinitarischer Selbstbestimmung ist (47). Pointiert heißt es: »It would be hard to imagine a view more contrary to Barth than one that makes the Holy Trinity a mere function of God’s relationship to the world.« (54) Hier steht auch das Verhältnis von Ewigkeit und Zeit (vgl. auch 260 ff.) ebenso wie von Sein und Akt zur Debatte, an dem sich die Wege der anselmischen und thomistischen Traditionalisten von den hegelianischen, prozesstheologischen und exis-tenzialistischen Revisionisten trennen (33).
Ein zweiter Schwerpunkt wird durch die Erörterung der Bedingungen theologischer Erkenntnis gebildet, die Qualität ihrer Verwiesenheit auf die Offenbarung und den Charakter der Analogien, mit denen sie ihre Einsichten annonciert. H. identifiziert dabei sowohl eine bisher eher abgewiesene Nähe Barths zu Thomas von Aquin als auch eine notwendige Begrenzung seines »Nein!« zu Emil Brunner, in der es dann allerdings seine entschiedene Berechtigung behält. Die Gebrochenheit jeder Inanspruchnahme von Analogien wird ebenso in die Aufmerksamkeit gerückt wie die Bezogenheit auf das ausdrückliche »Ja«, aus der allein sich die nötige Belastbarkeit eines auszusprechenden »Nein« ergeben kann. Die Logik theologischer Erkenntnis wird konsequent in den Horizont des ersten Gebots gestellt. Sie erschließt keine Korrelationen, sondern durchdringt die Kohärenz, und entspricht damit sowohl der Exklusivität als auch der mit ihr verbundenen Inklusivität der einen Offenbarung in Jesus Christus (Barmen I). So wenig eine natürliche Offenbarung prinzipiell bestritten werden darf, so sehr bleibt unsere Erkenntnis jenseits von Eden auf den Zugang durch Christus angewiesen, durch den sich erst die Zusammenhänge der Wirklichkeit erschließen, die sich von der natürlichen Betrachtung nicht identifizieren lassen. Die Axiomatik des ersten Gebots für die Theologie besteht in dieser unverzichtbaren Schlüsselbedeutung Christi für die theologische Erkenntnis. Es geht um das transformierende Licht der Auferstehung, das der Theologie den Blick ermöglicht, durch den allein sie überhaupt etwas Besonderes zu sagen hat. Das ist auch der Blick, mit dem einerseits das biblische Zeugnis zu lesen ist und der andererseits durch eben dieses Zeugnis seine spezifische Orientierung bekommt, was H. in einer weiteren Studie eindrucksvoll entfaltet (106 ff.).
Von den weiteren Studien mit ebenso tiefgreifender theologischer Relevanz können in diesem Rahmen nur die Hauptthemen genannt werden: die unterschiedlichen Wege der Christologie bei Schleiermacher und Barth, die alternativen Zugänge zum Verständnis der Auferstehung, Barths Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Heiligung in Bezug auf Luther und Calvin, und schließlich die Grundlinien der Anthropologie Barths. Abgeschlossen wird der Band mit einem beachtenswerten Essay über die Einsamkeit und die Isolation (»lamentable isolation«, 297), in der Barth ganz und gar im Kontrast zu seiner exponierten Bekanntheit seine Theologie betrieben hat, die wohl faktisch auch heute noch nicht wirklich überwunden ist.
Alle Beiträge sind in ihren Problementfaltungen von einer sich ihrer eigenen Grenzen bewussten systematischen Stringenz ge­prägt, die ihnen auch trotz einiger Redundanzen, die besonders in Sammelbänden nicht zu vermeiden sind, ein deutliches und repetierbares Profil gibt – Theologie in ihrer anspruchvollsten und sachlich ergiebigsten Gestalt.