Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

646–647

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Spierling, Karen E. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Calvin and the Book. The Evolution of the Printed Word in Reformed Protestantism.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 170 S. = Refo500 Academic Studies, 25. Geb. EUR 80,00. ISBN 978-3-525-55088-5.

Rezensent:

Björn Pecina

1532 lässt sich Luther in seinen Tischreden wie folgt vernehmen: »Die Druckerey ist summum et postremum donum, durch welches Gott die Sache des Euangelii fort treibet; es ist die letzte Flamme für dem Auslöschen der Welt«. Ähnlich hat John Foxe den Buchdruck als einen willkommenen Erfüllungsgehilfen des Missionsbefehls angesehen.
Luther hat der Druckerpresse eine evangelische Funktion zugeschrieben, wie aus diesem Statement hervorgeht. Und zugleich ist bekannt, dass er diese Presse ebenso geschickt wie effizient zu nutzen verstand. Man erwäge nur, dass in den drei Jahren zwischen 1517 und 1520 mehr als 300.000 Exemplare seiner Bücher in Europa kursierten.
Rechtzeitig hatte Luther verstanden, dass im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation als dem Mutterland der Reformation die ideengeschichtliche Bewegung nur reichsweite Aufmerksamkeit erregen konnte, weil sie sich mit dem Buchdruck als einer Medienrevolution verbunden hat. Und diese reichsweite Aufmerksamkeit war wiederum die Voraussetzung dafür, dass Wittenberg als das Zentrum der Reformation in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangen konnte. War die Kultur des Buchdrucks vormals auf akademische Produktionen ausgerichtet und teilte somit auch alle diesem Genre eigenen Nachteile (Statik, kleiner Leserkreis usw.), so änderte sich diese Situation dadurch, dass die Wittenberger Reformation eine Flugschriftenkultur etablieren konnte, von der die Reformatoren ebenso wie die Druckereien profitieren konnten. Die Flugschriften gingen gewissermaßen den Bibelausgaben insofern voran, als die mit den Flugschriften erwirtschafteten Gewinne eine Finanzierung der Bibelausgaben als sehr viel ambitionierteren Projekten erlaubten.
Im Kontext dieser Zusammenhänge präsentiert »Calvin and the Book« mit eindringlichem Blick auf Calvin und Genf eine Sammlung von Aufsätzen, die in einem Kolleg des Princeton Seminary ihre Keimzelle haben. Dabei fokussieren die Aufsätze keineswegs nur auf das bibelexegetische Unternehmen des Reformationszeitalters, sondern lenken den Blick vielmehr auf Gleich- und Un­gleichzeitigkeiten im Dependenzkomplex von geschriebenem Wort als fixiertem Relationsfundament und der flüchtigen Interpretationsbewegung, die sich diesem Wort zuwendet und es modifiziert.
Der folgende Themenfächer wird durch die Aufsätze ausgebreitet: In einem Vergleich zwischen Luther und Calvin werden die druckpraktischen und -technischen Implikationen und Begleit­phänomene des Reformationszeitalters untersucht (Andrew Pettegree). Eine sich daran anschließende Untersuchung Margo Todds zu John Knox widmet sich den traditionellen Milieus der schottischen Gesellschaft und deren Einfluss auf Schottlands First Book of Discipline (1560). Ein weiterer Aufsatz ist rezeptionsgeschichtlich angelegt und widmet sich Calvins Genfer Katechismus (Jennifer Powell McNutt). Calvin selbst steht im Mittelpunkt des vierten Aufsatzes von Euan Cameron, der des Reformators ambivalentes Verhältnis der historischen Exegese gegenüber darlegt. Bruce Gordon untersucht darauf die lateinischen Ausgaben des Alten Testaments von Immanuel Tremellius und Franciscus Junius. Im sechs­ten Aufsatz stellt William Dyrness die Transformation vom Drama der Renaissance in Calvins Auslegung der Relation zwischen Endlichem und Absolutem dar. Der Aufsatzband schließt mit einer Calvinexegese von Inst. II/XVI, 1–3 (Matthew Myer Boulton).
Die Herausgeberin Karen Spierling hat gut daran getan, die Erörterung Andrew Pettegrees an den Beginn des Aufsatzbandes zu stellen, da sie ausgezeichnet in die Sammlung einzuführen vermag. Luther und Calvin werden daraufhin untersucht, welche Wechselwirkungsverhältnisse sich dingfest machen lassen zwischen der Buchproduktion als einem kreativ-interkulturellen Prozess und der industriell-drucktechnischen Herstellung dieser Bücher. Dabei ist es von besonderer Faszination, welche medientheoretische Di­mension hier deutlich wird. Bei Luther zeigt sich dies in einem ausgeprägten Sinn für die Buchästhetik, der es ihm ermöglichte, in enger Zusammenarbeit mit den Druckereien eine Marke »Luther« herauszubilden. Calvin wiederum erhielt in westeuropäischen Städten ein feines Gespür dafür, wie die Buchindustrie arbeitet. Und mit diesem Wissen ist es ihm dann gelungen, Genf als ein in­ternationales Zentrum der Druckindustrie aufzubauen.
Zum Reformationsjubiläum passt dieses Buch wie gerufen. Es verzichtet auf die zwar verständliche, aber oft zwanghaft wirkende Überdehnungstendenz, mit der schlichte Einsichten aus der wohlbekannten und schon immer reichlich fließenden Luther-Literatur thesenfreudig als frische Entdeckungen in den Jubiläumshimmel aufsteigen.