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Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

634–635

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Eich, Peter

Titel/Untertitel:

Gregor der Große. Bischof von Rom zwischen Antike und Mittelalter.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2016. 311 S. m. 15 Abb. u. 4 Ktn. Geb. EUR 34,90. ISBN 978-3-506-78370-7.

Rezensent:

Katharina Greschat

Das vorliegende Buch stammt aus der Feder eines Historikers der Kölner Schule, deren Vertreter sich insbesondere mit der politischen, sozialen und administrativen Geschichte der römischen Kaiserzeit beschäftigen. Auf diesem Hintergrund präsentiert Peter Eich kein völlig neues Bild von Gregor dem Großen, vielmehr legt er eine spannende und gut lesbare Darstellung vor, die sich durch interessante Akzentsetzungen, theologisches Gespür und eine feine Prise Humor auszeichnet. Das beginnt schon im ersten Ab­schnitt unter der Überschrift »Prolog zwischen Himmel und Hölle« (9–14), in dem die unterschiedlichen Sichtweisen auf Gregor pointiert benannt werden. E. betont, dass er dieses Buch gerade für Studierende geschrieben habe, um ihnen eine wichtige Figur des europäischen Kulturerbes näherzubringen.
Zunächst rückt er die Mittelmeerwelt in der Spätantike (15–34) in den Fokus und gibt – auf Höhe der Mittelmeerstudien und der Fragen, die im Rahmen der Forschungen zur Spätantike diskutiert werden – wichtige Einblicke in ein zunehmend multipolares Reich, das den vielfältigen Migrations- und Transformationsprozessen unterworfen war, die man früher als »Völkerwanderung« bezeichnet hat. Auf wenigen Seiten beschreibt er das Bild einer uns Heutigen gar nicht so fremden Welt, in die E. dann das diese Welt zunehmend bestimmende Christentum einträgt. Wenn allerdings die Verarbeitung des kollektiven Traumas von 410 in Augustins De civitate Dei und Orosius’ Historiae adversus Paganos lediglich da­hingehend zusammengefasst wird, »dass es früher auch nicht besser gewesen sei« (21), dann scheint mir das doch zu flapsig formuliert zu sein.
Höchst anschaulich zeichnet E. dann nach, wie das Italien des 6. Jh.s (35–53) in Folge der justinianischen Rückeroberungen, des Gotenkrieges und Eindringens der Langobarden geradezu zersplitterte. Bei seinem Protagonisten angekommen widmet E. sich zu­nächst Gregors Leben vor seinem Pontifikat (55–72) und versteht dessen Jahre als päpstlicher Gesandter in Konstantinopel im Sinne eines Schlüssels zu Gregor als Schriftsteller, als hoch geachteten geistlichen Beistand, als jemanden, der tätiges Handeln und kontemplative Versenkung miteinander verband, und als Römer, für den vor allem Italien im Kontext des Imperiums zählte. Der Schriftsteller wird gleich im nächsten Kapitel thematisiert (73–89), das Gregors überlieferte Werke vorstellt und charakterisiert. Wie wichtig gerade Gregors Briefregister ist, lässt sich daran ablesen, dass E. anschließend Gregors erste Jahre als römischer Bischof anhand des Briefregisters aufschlüsselt (91–115), während die weiteren Kapitel thematisch ausgerichtet sind. Unter der Überschrift »Rom und die Reichskirche« (117–137) nimmt E. den Leser mit auf einen Rundgang durch das Reich aus Gregors Blickwinkel und zeigt auf, dass dieser in vielen Konfliktfeldern vor allem beharrlich, wenn auch nicht immer geschickt, geschweige denn erfolgreich agierte. Während Gregor die Langobarden als Feinde schlechthin verstand, war sein Umgang mit den westlichen Königreichen (139–167) häufig von Pragmatismus geprägt, wie insbesondere sein Vorgehen hinsichtlich der Angelsachsenmission deutlich macht. Die Bedeutung des Mönchbischofs Gregor auf das Klosterleben seiner Zeit zu ermessen (169–180), fällt E. angesichts der Quellensituation schwer. Auch in diesem Bereich würdigt er vor allem Gregors Beharrlichkeit und verweist darauf, dass alle seine Werke zutiefst von einer Sehnsucht nach der Klosterwelt durchtränkt sind. Das nun folgende theologische Kapitel, das Gott, Christus und das menschliche Los in Gregors Denken (181–193) in den Blick nehmen will, bietet kaum mehr als eine kurze Zusammenfassung der Interpretation von Carole Straw, wonach Gregor zum einen immer wieder den Kontrast zwischen innen und außen, actio und contemplatio be­tont, andererseits aber auch ein Kontinuum von der irdischen Materie über den sichtbaren Himmel bis hin zum Unsichtbaren erkennen will. Insofern ist vollkommen nachvollziehbar, dass der Mensch und die Menschwerdung Christi im Zentrum dieser theologischen Schnittstellen liegen, doch ist nicht nur mir die daraus folgende Fokussierung auf das Opfer schon bei Straw nicht recht einsichtig geworden und E. gelingt das leider ebenso wenig. Innovativer sind hingegen E.s Überlegungen zum Thema Gregor und die weltliche Gewalt (195–222). Hier zeichnet er den römischen Bischof als politischen Akteur, der wie ein hoher weltlicher Funktionsträger im Reich agierte und die westlichen Königreiche mit Zuckerbrot und Peitsche auf seinen Kurs führen wollte. Besonders überraschend, aber insgesamt sehr plausibel macht er deutlich, dass sich Gregor zwar an das zeitgenössische Modell einer alle Lebens- und Seinsformen durchziehenden Hierarchie anlehnt, wonach – wie etwa bei Ps. Dionysius Areopagita beschrieben – das irdische Kaiserreich im himmlischen weitergeführt und aufgehoben wird. Doch habe Gregor im Gegensatz zu diesem »das Vertrauen in das irdische Pendant des imperialen Himmelreichs« (215) verloren; sein Imperium sei stattdessen sehr viel stärker auf Christus als transzendentem Monarchen ausgerichtet. Diesem interessanten Gedankengang sollte unbedingt näher nachgegangen werden!
Ein kurzes Kapitel zu Tod und Nachleben (223–232) rundet diesen mit einigen hilfreichen Karten und Schwarz-Weiß-Abbildungen ausgestatteten Band ab, der hoffentlich dazu beiträgt, diese interessante Figur, die E. konsequent als Bischof von Rom und nicht als Papst anspricht, einem deutschsprachigen Publikum et­was näherzubringen.