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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

578–582

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Metz, Johann Baptist

Titel/Untertitel:

Im dialektischen Prozess der Aufklärung. Teilbd. 2: Neue Politische Theologie – Versuch eines Korrektivs der Theologie. Hrsg. v. J. Reikerstorfer.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2016. 312 S. = Johann Baptist Metz Gesammelte Schriften, 3/2. Geb. EUR 44,99. ISBN 978-3-451-34973-7.

Rezensent:

Martin H. Thiele

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Metz, Johann Baptist: Mit dem Gesicht zur Welt. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2015. 296 S. = Johann Baptist Metz Gesammelte Schriften, 1. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-451-34801-3.
Metz, Johann Baptist: Frühe Schriften, Entwürfe und Begriffe. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2015. 360 S. = Johann Baptist Metz Gesammelte Schriften, 2. Geb. EUR 49,99. ISBN 978-3-451-34802-0.
Metz, Johann Baptist: Im dialektischen Prozess der Aufklärung. Teilbd. 1: Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer praktischen Fundamentaltheologie. Hrsg. v. J. Reikerstorfer. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2016. 272 S. = Johann Baptist Metz Gesammelte Schriften, 3/1. Geb. EUR 44,99. ISBN 978-3-451-34803-7.


Seit der Wahl des Theologen Joseph Ratzinger zum Papst Benedikt XVI. im April 2005 und im Umfeld des 50-jährigen Konzilsjubiläums ist auch die deutschsprachige Theologie verstärkt in den Fokus des allgemeinen Interesses gerückt. Das gilt vor allem für das mehr oder weniger abgeschlossene Werk der »Konzilstheologen«: so­wohl jener, die wie etwa Karl Rahner zu den theologischen Wegbereitern des Konzils gehören als auch jener der jüngeren Theologengeneration, die, vom »Geist des Konzils« inspiriert, die nachkonziliare theologische Diskussion nachhaltig beeinflusst haben. So liegt nicht nur das 40-bändige Gesamtwerk Karl Rahners vor, sondern es entstehen zurzeit die Editionen der »Gesammelten Schriften« Joseph Ratzingers/Benedikt XVI. und die Herausgabe der »Sämtlichen Werke« Hans Küngs. In diesem Kontext ist wohl auch die Publikation der »Gesammelten Schriften« von Johann Baptist Metz zu sehen: Das vielfältige, kreative und durchaus noch nicht abgeschlossene Werk eines der einflussreichsten Theologen der letzten Jahrzehnte wird – dieses Urteil sei schon vorweggenommen– in einer hervorragenden Edition für die heutige Wahrnehmung fruchtbar gemacht.
Johann Baptist Metz (geb. am 5. August 1928) war Schüler und Weggefährte Karl Rahners, von 1963–1993 Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Münster und wirkte nach seiner Emeritierung von 1993–1996 an der Universität Wien. Aus dieser Zeit stammt die Kooperation mit Johann Reikerstorfer, der die Bände der »Gesammelten Schriften« herausgibt. (Zur Biographie: Tiemo R. Peters, Johann Baptist Metz. Theologie des vermißten Gottes, Mainz 1998.)
Metz selber begründet die Herausgabe seiner »Gesammelten Schriften« so: »Es ist ein grundlegendes Interesse der gegenwärtigen Theologie, den sich offensichtlich verschärfenden Dualismus zwischen Glaubensgeschichte und Lebensgeschichte, zwischen Glaubenswelt und Vernunftwelt, zwischen Bekenntnis und Erfahrung in Frage zu stellen.« (JBMGS 1, 11)
Intendiert ist offensichtlich nicht die Edition des »Gesamtwerkes«, sondern die Publikation zentraler Texte, die in ihrer Repräsentativität für das Gesamt der Theologie von J. B. Metz stehen. Sie umfassen den beeindruckenden Zeitraum von 1957–2011. Neben den hier zu rezensierenden ersten drei Bänden (Band 3 in zwei Teilbänden) liegen bisher (Stand 17. Januar 2017) vor: Band 4: Memoria passionis, Band 5: Gott in Zeit und Band 6/1: Lerngemeinschaft Kirche. Die tatsächliche Publikation weicht damit etwas vom Editionsplan ab, der auf dem Buchrücken der ersten Bände vermerkt ist.
Die Edition der Texte geht dabei synchron vor: Jeder (Teil-)Band umfasst eine Thematik, der dann die in diesen Kontext gehörenden Texte diachron zugeordnet werden. Der Herausgeber der »Gesammelten Schriften« macht deutlich, dass die Edition sich an inhaltlichen Kriterien (Zeit und Geschichte) orientiert (vgl. JBMGS 1, 13). Denkbar wäre auch der umgekehrte Weg gewesen: die Bände diachron zu konzipieren und sie so nach den Entwicklungsphasen zu benennen. Denn gerade die diachrone Lektüre der Texte von J. B. Metz verdeutlicht die faszinierende Suchbewegung einer Theologie, die Gott nie hinter, sondern stets vor sich hat. Beide Konzeptionen allerdings – synchron, diachron – sind möglich und angemessen.
Mit dem Gesicht zur Welt: Der Band thematisiert die nach der Überwindung des neuscholastischen Paradigmas (der kirchenpolitisch eine restaurative Antimodernität entsprach) notwendige theologische »conversio ad mundum« und die ersten Konzeptionen jener »Neuen Politischen Theologie«, die dann untrennbar mit dem Namen J. B. Metz verbunden ist. Er enthält Texte von 1962–2007: den Band »Zur Theologie der Welt« (1968), den Band »Jenseits bürgerlicher Religion« (1980) sowie Texte zur »Compassion« und eine »theologisch-biographische Auskunft« (2007), die durchaus als längeres Vorwort zur Gesamtedition gelesen werden kann. Hier ordnet Metz seinen theologischen Denkweg biographisch ein – für diejenigen, die mit seiner Theologie noch nicht vertraut sind, eine gute Orientierung.
Frühe Schriften, Entwürfe und Begriffe: Der Band thematisiert die anthropologische Wende der Theologie, die untrennbar mit Karl Rahner verbunden ist. In diesen frühen Texten (1957–1965) finden sich zentrale Kategorien einer theologischen Anthropologie, die – schon früh – das »Subjekt« in seiner »Geschichtlichkeit«, aber auch in realer (erlebter, erlittener) Geschichte thematisiert. Im Zentrum steht die erste große Arbeit von J. B. Metz: »Christliche Anthropozentrik. Über die Denkform des Thomas von Aquin« (1962). Deutlich wird in den Texten dieses Bandes die Entwicklung von »Natur« zu »Geschichte«, von »Substanz« zum »Subjekt«. Gerade in diesem Band gibt es m. E. Essentielles und für den heutigen Diskurs Wegweisendes (neu) zu entdecken!
Im dialektischen Prozess der Aufklärung: Dieser Band beinhaltet das »Grundlagenwerk« der »Neuen Politischen Theologie«, das 1977 publizierte Buch »Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer praktischen Fundamentaltheologie«, hier ergänzt um das der 5. Auflage vorangestellte Vorwort von 1992. Metz thematisiert die Herausforderung der Gottesrede durch eine »aufgeklärte« Vernunft, die als emanzipatorische Freiheit praktisch werden will. Die »Dialektik der Aufklärung« (M. Horkheimer/Th. W. Adorno) wird dabei nicht quasi denunziatorisch, sondern (selbst)kritisch ins Spiel gebracht. Zentral ist hier vor allem der Begriff der »anamnetischen Rationalität«: einer solidarischen »memoria«, die fremdes (und vergangenes!) Leid vor Gott erinnert.
Im dialektischen Prozess der Aufklärung: Der Band bietet gegenüber Band 1 weiterführende Texte zur Herausbildung einer »Neuen Politischen Theologie«. Sie umfassen die Jahre 1967–2011. Deutlich wird die kreative Auseinandersetzung mit der »Kritischen Theorie« sowie die »Radikalisierung« – im Sinne von: an der Wurzel fassend! – der Gottesrede durch die Theodizeefrage (»Theologie nach Auschwitz«), hinter der eigentlich die Frage nach der Zeit (und deren erlösendem »Ende«) steht. Konturen einer »nachidealis-tischen« Theologie werden deutlich, die sich der Dialektik von »Theorie« und »Praxis« stellt.
Wer sich mit der Theologie von J. B. Metz befasst, wird ihre – durchaus gewollte, ja notwendige – »Unabgeschlossenheit« als ihre Stärke, nicht als Schwäche erkennen. Denn seine Theologie war und ist ein kreativer, zeitdiagnostischer »work in progress«: eine ebenso beunruhigte wie beunruhigende Gottesrede, die sich der jeweiligen »Situation der Zeit« (Karl Jaspers) stellt und sich von und in ihr unterbrechen lässt. (Dazu: Martin H. Thiele, Gott – Allmacht– Zeit. Ein theologisches Gespräch mit Johann Baptist Metz und Eberhard Jüngel [= MBT 67], Münster 2009) Dabei versteht Metz seine Theologie als »korrektivisch«, als manchmal »tüchtig einseitig« (Søren Kierkegaard), um Verdrängtes, Vergessenes, (nicht mehr) Vermisstes theologisch zu würdigen. Eine voll ausgestaltete »Systematische Theologie« ist das nicht. Aber eine Theologie mit erheblicher systematischer Relevanz!
Gibt es ein »Hauptthema«? Vielleicht lässt es sich, ohne Metz gegen seine Intention zu »systematisieren«, so benennen: der Mensch vor Gott angesichts realer Geschichte und ihrer Bedrohungen. Im Hintergrund aber »lauert« – das hat Metz seit den 80er Jahren immer deutlicher wahrgenommen – die Frage nach der »Zeit«. »Gott und Zeit« – das ist m. E. der »rote Faden«, der sich durchhält, und zwar von den ersten Schriften der 50er Jahre mit ihrer bisweilen expressionistisch-apokalyptischen Metaphorik (vgl. JBMGS 2, 119–139) bis in diese Tage: Sei es im »transzendentaltheologischen« Horizont, im Horizont »christlicher Anthropozentrik«, im Horizont einer »Neuen Politischen Theologie« oder in der Herausforderung durch das »schwierige« Erbe biblischer Apokalyptik. Von daher dürfte JBMGS 5: »Gott in Zeit« (2017) von besonderem Interesse sein, weil hier die theologische Tiefendimension der »Neuen Politischen Theologie« besonders deutlich wird.
Im Folgenden kann es nicht darum gehen, die Themenvielfalt der vorliegenden Bände zu vertiefen. Ich möchte auf lediglich zwei Aspekte der Theologie von J. B. Metz hinweisen, die aus meiner Sicht gerade heute (wieder) relevant sind.
Von Herbert Vorgrimler – dem langjährigen Weggefährten von J. B. Metz und wie dieser Rahner-Schüler – stammt das ebenso kluge wie einfühlsame Wort, Metz habe »immer vornehm vom Menschen gedacht« (H. Vorgrimler, Die ›Stunde‹ des jungen Johann Baptist Metz, in: T. R. Peters/Th. Pröpper/H. Steinkamp [Hrsg.], Erinnern und erkennen. Denkanstöße aus der Theologie von Johann Bap­tist Metz, Düsseldorf 1993, 208–216, hier: 213). Und in der Tat: Wer die frühen Texte zur theologischen Anthropologie (mit ihrer anthropozentrischen Zielrichtung) in JBMGS 2 wahrnimmt, be­gegnet einer Rede vom Menschen, die ihn in seiner unhintergehbaren »Geheimnishaftigkeit«, in seiner Verletzlichkeit würdigt. Schon hier, noch ganz im kategorialen Fahrwasser der »Schule«, thematisiert Metz die Bedrohtheit des »Subjekts« durch und in der realen Geschichte (zu einer Zeit, als die existentiale Theologie im Gefolge von Martin Heidegger und Rudolf Bultmann von »Ge­schichtlichkeit« redete). Metz hat sich immer gegen eine »geheimnisleere« Sprache gewandt, die dem Menschen in seiner Ganzheit nicht gerecht wird: »Wenn wir vom Antlitz statt vom (bloß körperlichen) Gesicht, vom Haupt im Gegensatz zum Kopf, vom Leib im Unterschied vom Rumpf sprechen; wenn wir schließlich das Schreiten vom Gehen, das Sich-neigen vom bloßen Bücken, überhaupt die Gebärde von der (rein körperlichen) Bewegung unterscheiden, dann suchen wir dadurch den Glanz des Einen und Ganzen anzudeuten, das in der menschlichen Leiblichkeit ›da‹ ist […] Welche Tiefen der Passion, der Schwermut, der Freude […] sind im Antlitz eines Menschen offenbar!« (JBMGS 2, 143 f.) Indem hier der – griechischem Denken verpflichtete – Dualismus von »Körper« und »Leib« überwunden wird, kündigt sich schon jene kritische Haltung gegenüber einer »Hellenisierung« theologischen Denkens an, die Metz später im Kontext seiner »theodizee-empfindlichen«, antignostischen Theologie verstärkt.
Wo wird heute so vom Menschen, seiner Verletzlichkeit, seiner Würde, seiner Freiheit gesprochen? Im gegenwärtigen »Streit um den Menschen« scheint der Mensch funktional durchschaut und seiner subjekthaften Freiheit beraubt. Daher sind m. E. gerade Metz’ frühe Studien zur Anthropologie in heutiger Zeit bedenkenswert und lohnend, rezipiert zu werden. Deutlich wird: nicht die »Überindividualisierung« (JBMGS 3/2, 148) des übersteigerten postmodernen »Ich«, sondern das »Subjekt«, das sich nur intersubjektiv und solidarisch (synchron im Heute, diachron im Eingedenken vergangenen Leids) konstituiert, wird dem Menschen gerecht (JBMGS 3/1, 83.94).
Der Verdacht steht seit Längerem im Raum: Fördert, fordert gar Religion Gewalt? Ist dem biblischen Monotheismus ein unauslöschliches Gewaltpotential inhärent? Was garantiert den Religionsfrieden? Nicht nur die gelebte konkrete Religion, auch die theologische Rechenschaft über den Glauben (1Petr 3,15) ist hier herausgefordert.
Schon seit den 1970er Jahren hat J. B. Metz im Rückgriff auf die jüdisch-christliche Tradition von »anamnetischer Rationalität« gesprochen und mit dem Begriff der »memoria passionis« einen Begriff entwickelt, der m. E. für die virulente Frage nach dem Zu­sammenhang von »Religion« und »Gewalt« heute von Bedeutung ist. Das »Eingedenken fremden Leids« ist die vielleicht einzig verbliebene universale Kategorie (JBMGS, 3/2, 153 f.), denn hier kommt eine Autorität ins Spiel, die unhintergehbar auch die jeweils eigenen Interessen durchkreuzt: die »Autorität der Leidenden« (204 f.). Dieses »Eingedenken fremden Leids« ist für Metz die »Basis eines Friedensethos für eine strikt pluralistische Weltöffentlichkeit« (207). Die Wahrnehmung dieser universalen Autorität – universal, weil Leid universal ist – dürfte auch tiefer greifen als jenes eher abstrakte Modell eines »Weltethos« (Hans Küng).
Dieser »Autorität der Leidenden« (und des Leids) bleibt die Gottesrede verpflichtet. Darum sind die Theologinnen und Theologen – dieses Fazit kann mit J. B. Metz gezogen werden – wohl die »letzten Universalisten« (229).
Es ist das Verdienst dieser Edition, zentrale Texte von J. B. Metz erneut zugänglich zu machen. Dabei handelt es sich um eine sehr sorgfältige und hilfreiche Publikation. Den Bänden ist – nach dem Vorwort von J. B. Metz im ersten Band – jeweils eine thematische Einleitung des Herausgebers J. Reikerstorfer vorangestellt, in der Hauptthemen, Kontexte und Bezüge zu anderen Bänden hergestellt werden. Sehr hilfreich sind zudem die vielen Querverweise im Anmerkungsapparat, die sowohl innerhalb des jeweiligen Bandes als auch im Rahmen der Gesamtedition zwischen den Bänden thematische Verknüpfungen ermöglichen. Am Ende findet sich ein Quellenverzeichnis der publizierten Texte (Jahreszahlen sind im Hinblick auf die theologische Entwicklung von J. B. Metz unabdingbar!), ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein Personen- und Sachregister. All das macht die Edition »Johann Baptist Metz Ge­sammelte Schriften« zu einer hervorragenden Publikation.