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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

576–578

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Link, Hans-Georg

Titel/Untertitel:

Die un-vollendete Reformation. Zur konziliaren Gemeinschaft der Kirchen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt; Paderborn: Bonifatius Verlag 2016. 311 S. Kart. 22,90. ISBN 978-3-374-04282-1 (Evangelische Verlagsanstalt); 978-3-89710-671-0 (Bonifatius Verlag).

Rezensent:

Manfred Richter

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Köhler, Joachim, u. Franz Machilek: Gewissen und Reform. Das Konstanzer Konzil und Jan Hus in ihrer aktuellen Bedeutung. Hrsg. v. R. Bendel. Münster u. a.: LIT Verlag 2015. 118 S. = Vertriebene – Integration – Verständigung, 2. Kart. EUR 14,90. ISBN 978-3-643-13079-2.
Fink, Karl August: Das Konstanzer Konzil. Umstrittene Rezeptionen. Hrsg. m. e. Einführung v. J. Köhler. Münster u. a.: LIT Verlag 2016. 218 S. = Theologie: Forschung und Wissenschaft, 52. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-643-13254-3.


Es kann nicht verwundern, dass das Gedenken an die spätmittelalterliche Reformbewegung, die zum Konstanzer Konzil mit seinem Superioritätsanspruch über die bislang fast fraglos akzeptierte »plenitudo potestatis« des Papstamts geführt hat, das sich in einem dreifachen Schisma selbst in Frage gestellt hatte, auch die Frage nach der Relevanz des Konziliarismus neu aufwerfen musste – nicht anders als es dann der Rückblick auf die Anfänge der Reformation 100 Jahre später mit sich brachte. Zum ersten wie zum zweiten Anlass seien hier vorgestellt Einsprüche gegen eine Auffassung, die den Konziliarismus als »überwunden« betrachtet sehen möchte, wenn nicht schon von dem im 15. Jh. erneut erstarkten Papsttum, so dann vom I. Vaticanum, wenn auch das II. Vaticanum zu Versuchen führte, »dessen Anliegen ekklesiologisch zu integrieren« (Hans Schneider, RGG 4).
Die kleine Broschüre von Köhler und Machilek könnte untergehen in der Fülle der zu Jan Hus und seinem sowie des Hieronymus von Prag in Konstanz erlittenen Schicksal erschienenen biographisch oder am Konzil orientierten jüngsten Literatur. Zum ersten Aspekt wäre hinzuweisen auf Thomas Krzenck, 2011, der an einer noch immer dringend erwarteten Auswahl neu zu übersetzender Texte arbeitet, Pavel Soukup, 2014, Arnd Brummer, Marius Winzeler und Eugen Drewermann, 2015, zu Hieronymus Jürgen Hoeren, 2015; zum zweiten auf die Sammlungen von Texten und Essays bei Liebl/Kopitzki, Keupp/Schwarz und im von Karl-Heinz Braun u. a. 2013 hrsg. Textband des Katalogs zur baden-württembergischen Landesausstellung in Konstanz anlässlich der Konzilserinnerung, ganz abgesehen von speziellen Untersuchungen und Dokumentationen hochrangiger, zum Teil ökumenisch verantworteter Symposien. Es sei aber auf diese Schrift verwiesen, weil die beiden Stichworte »Gewissen« und »Reform« (Schwerpunkte je eines Vortrags vor der Ackermann-Gesellschaft bzw. der Deutschen Comenius-Gesellschaft) Leitfragen akzentuieren, mit denen sich die konziliare Bewegung durch die Jahrhunderte hin auseinanderzusetzen hatte, um ihre Anliegen zu verteidigen, sei es nach der individuell-seelsorgerlichen Seite kirchlicher Existenz hin, sei es nach der kollektiv-strukturellen. Sie sind hier in knappster Form artikuliert. Schon hier wird die Problematik der alsbaldigen päpstlichen Nichtachtung der in Konstanz gefassten Beschlüsse deutlich ge­macht, die schließlich in einer offiziellen Nicht-Zählung dieses Konzils seit Bellarmin ihren Ausdruck finden wird.
Joachim Köhler ist Kirchenhistoriker der frühen Neuzeit mit den regionalen Schwerpunkten Schlesien und Südwestdeutschland, die Dokumentation eines Symposions zu seinem 80. Geburtstag durch Rainer Brendel und Josef Nolte steht bevor. Er vertieft die Frage nach der Legitimität und die Problematik ihrer Bestreitung durch die Herausgabe der einschlägigen Beiträge und Aufsätze seines Lehrers, des ebenfalls Tübinger Kirchenhistorikers Karl August Fink (1904–1983). Selbst in Konstanz geboren, hat er sich jahrelang der auch in Details eindringenden Erschließung der in den vatikanischen Archiven befindlichen Akten gewidmet und hieraus eindeutige Schlüsse gezogen. Sie veranlasste ihn zur Kritik an der verfälschenden, von späteren kurialen Interessen geleiteten Abwertung dieses und des Basler Konzils, und schon zuvor zum Aufweis der seit den Innozenzpäpsten III. und IV. in Anspruch genommenen nicht nur exekutiven, sondern auch legislativen Kompetenzen, die dem überkommenen kanonischen Recht durchaus widersprachen. Die Nachwirkungen bestehen bis heute im CIC. In seinem zusammenfassenden Beitrag »Zur Geschichte der Kirchenverfassung« (1970, 185–194) spricht er von der Notwendigkeit grundlegender Neugestaltung kirchlichen Rechts, von einem »Versagen des II. Vatikanischen Konzils hinsichtlich der Kirchenverfassung«, und er fordert die Änderung der »monarchisch-absoluten Basis, der Wurzel der Krankheit«.
Spricht hier römisch-katholische Selbstkritik und Erneuerungsforderung, so geht es bei Hans Georg Link um jahrzehn-telange praktische gesamt-ökumenische Erfahrung, sowohl im Genfer Stab wie etwa in der Kölner Lokalökumene durchaus un-ter Einschluss hinreichend vieler Enttäuschungen, woraus ihm gleichwohl eine Hoffnung erwuchs in einer gesamtchristlichen Perspektive. Er stellt sie entlang dem Motiv der konziliaren Bewegung vor. Geben Anfang und Schluss zusammenschauende Bewertung und Perspektiven, so wird in den mittleren Kapiteln das Verhältnis der Traditionen zum konziliaren Gedanken untersucht. Zum Protestantismus (II, 49 ff.) wird bei Luther die Grundsatzkritik im Blick auf Unfehlbarkeitsansprüche ebenso wie der kontinuierliche Aufruf des Konzilsgedankens im Blick auf ein freies, anders als vom Papsttum zu erwarten, sich der Hl. Schrift unterstellendes Konzil aufgewiesen wie auch die konzilsfreundlichen Positionen von Melanchthon, Cranmer und Calvin herausgearbeitet werden. Hier hätten auch die Bemühungen von Johannes a Lasko oder des Comenius methodisch untermauerte Forderung nach einem Universalkonzil schon im Kontext des Dreißigjährigen Krieges sinnvollerweise ihren Platz finden können, wie dann exemplarisch das deutsche innerprotestantische Ereignis von Barmen und Bonhoeffers Aufruf von Fanö angesichts des Nationalsozialismus.
Der Abschnitt »Konziliare Versammlungen des Ökumenischen Rates der Kirchen« (III, 98 ff.) schildert dessen Entstehungsgeschichte und den gesamten Verlauf seiner Vollkonferenzen und die Arbeit der Hauptkommissionen als einen »konziliaren Weg«, wie sich der Folgende Rom widmet in seiner »Wiederentdeckung konziliarer Gemeinschaft im Zweiten Vatikanischen Konzil« (IV, 132 ff.). Von dessen Einberufung durch Johannes XXIII. an (schon seine Selbstbezeichnung mit dem Namen des Einberufers von »Konstanz« war ein konziliares Fanal!) werden die »konziliaren Öffnungen« geschildert und die »Ekklesiologie der Gemeinschaft« gewürdigt, zusammen mit der Darstellung der Phasen von engerer und ernüchterter Zusammenarbeit, doch auch im Blick auf jüngste Ges­ten des amtierenden Papstes zu der Frage: »Konziliare Gemeinschaft zwischen Rom und Genf«? Weiterhin wird auch der »Versuch einer orthodoxen Erneuerung mit dem Panorthodoxen Konzil« (V, 183 ff.) herausgestellt, das nach so vielen Jahrzehnten gescheiterter Vorbereitung nun auf Kreta stattfand (wobei der Autor sich auf abenteuerliche Weise den Zugang zu verschaffen wusste, so dass er als Augenzeuge berichten konnte) – eines zuletzt durch den Eigenwillen einzelner Hierarchen beinahe erneut zum Scheitern ge­brachten Konzils, bei dem freilich die Gruppe der alt-orthodoxen Kirchen gänzlich fehlte und auch die Rezeption offen ist, da etwa die Hälfte der Gläubigen nicht vertreten war.
Nach dem vorbereitenden Eingangsteil mit dem Hinweis auf das den urchristlichen Grundkonflikt von Juden- und Heidenchris­ten versöhnende sogenannte Apostelkonzil und der Zusammenschau von »reformatorischer und konziliarer Bewegung« (I, 28 ff.) zeigt im Schlussteil die Beschreibung der schon bestehenden »konziliaren Gemeinschaft von Kirchen und Gemeinden heute« (VI, 225 ff.) welche Möglichkeit »konziliarer Schritte 2017« auf den Ebenen von Gemeinden, Regionen und Kirchen im Grunde bereits bestehen. In einem »Ausblick auf drei notwendige konziliare Versammlungen« (VII, 287 ff.) macht der Autor drei scharfe Vorschläge, die er ernsthaft zu erwägen bittet:
»1. Eine deutsche ökumenische Provinzialsynode im Jahre 2021« aus Anlass der dann vor 500 Jahren erfolgten Exkommunikation Luthers – in Aufnahme einer römisch-katholischen Basisinitiative bereits in 1970er Jahren;
»2. Eine europäische konziliare Versammlung im Jahr 2030 zum gemeinsamen Glaubenszeugnis«, in Bezugnahme auf das dann vor 500 Jahren verfasste und der Öffentlichkeit vorgelegte Augsburger Glaubensbekenntnis, das ebenfalls bereits vor 50 Jahren eine relevante römisch-katholische Würdigung erfuhr; und schließlich
»3. Ein Konzil der Versöhnung zwischen Ost- und Westkirche im Jahr 2054«.
Das zur Bearbeitung in Gemeinden, Synoden und Kirchenleitungen nur zu empfehlende Buch des derzeitigen Vorsitzenden der International Ecumenical Fellowship (IFE), welche eine Art kleinen ökumenischen Kirchentag für August dieses Jahres in Wittenberg vorbereitet, schließt mit »12 Thesen zum Jahr 2017 zur ökumenischen Zukunft in konziliarer Gemeinschaft« unter dem Motto: »500 Jahre Kirchenspaltung sind genug«. Und es macht deutlich, dass die konziliare Bemühung nach »2017« eigentlich erst wirklich beginnen müsse.