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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

566–567

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Beck-Mathieu, Günter

Titel/Untertitel:

Gemeindepfarrer als Religionslehrer. Empirische Studien zu Selbstverständnis, Handeln im System Schule und Nachbarschaft von Schule und Gemeinde.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015. 356 S. m. Abb. = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 61. Geb. EUR 54,00. ISBN 978-3-374-04157-2.

Rezensent:

Erhard Holze

Hatte Christian Grethlein unter dem Titel »Religionsunterricht an Gymnasien – eine Chance für volkskirchliche Pfarrer« im Jahr 1984 eine »empirische Untersuchung der Einstellung hauptamtlicher Religionslehrer« vorgelegt und darin als sinnvoll angeregt, auch eine Studie über die Tätigkeit speziell von Gemeindepfarrern als Religionslehrkräften durchzuführen, ist diese Anregung nun 30 Jahre später aufgegriffen worden: Günter Beck-Mathieu legt eine gründliche und aufschlussreiche Studie über Gemeindepfarrer aus Ost- und Westdeutschland vor, die nebenberuflich an einer Schule als Religionslehrer tätig sind.
Diese an der Martin-Luther-Universität Halle erarbeitete Dissertation beeindruckt durch die Klarheit ihrer Begrifflichkeit und durch die Strukturiertheit ihres Vorgehens: Der Vf. führt mit elf Pfarrerinnen und Pfarrern der bayerischen und mit zehn Pfarrerinnen und Pfarrern der mitteldeutschen Kirche (fünf aus Sachsen-Anhalt, fünf aus Thüringen) leitfadengestützte Interviews, bei denen er behutsam und verlässlich exploriert, wie die Gemeindepfarrer sich selbst in ihrer nebenamtlichen Tätigkeit in der Schule erleben und einschätzen. In einer um Verstehen bemühten Heu-ris­tik werden ihre Aussagen analysiert und ausgewertet, indem der Vf. ihre Aussagen induktiv zu Clustern und Codes zusammenfasst und interpretiert. Mit dieser Methode der qualitativen Inhaltsanalyse erschließt der Vf. insgesamt drei Themenbereiche: (A) Das »Selbstverständnis« (48–187), (B) das erlebte »Handeln im System Schule« (188–276) und (C) die »Nachbarschaft von Schule und Ge­meinde« (277–307).
Im (A) Selbstverständnis werden insgesamt 14 Motive erhoben (Glauben vermitteln, Interesse an Jugendlichen, Berufspragmatik usw.), bei denen die intrinsische Motivation deutlich höher und häufiger als die extrinsische ist. Bei den Zielpräferenzen (religiöse Sprachfähigkeit, Tradition, Schülerpersönlichkeit usw.) tritt ein deutlicher Ost-West-Unterschied zutage: Während bei den bayerischen Pfarrern Gottesbild und Glaube die häufigsten Zielkategorien darstellen, sind sie in Mitteldeutschland eher selten; stattdessen werden hier die Vermittlung von »Grundwissen« und das Kennenlernen von Kirchengebäuden und kirchlichen Lebensformen häufig genannt (129). In der eigenen Rollenwahrnehmung wiederum gibt es keine Ost-West-Unterschiede: Ein Drittel aller Befragten versteht sich vor allem als »Religionslehrer«, ein Drittel als »Pfarrer« und ein Drittel schreibt sich eine kombinierte Identität (z. B. teils Lehrer, teils Pfarrer) zu (168).
Beim (B) »Handeln im System Schule« wird u. a. nach Erfahrungen mit Disziplinproblemen, mit Notengebung und mit der Integration ins Kollegium gefragt. Hier fällt auf, dass ca. die Hälfte aller Befragten für die Beibehaltung der Konfessionalität des Religionsunterrichts plädiert, die andere Hälfte aber für einen ökumenischen Religionsunterricht (257). Einmütig hingegen ist die »Ablehnung eines allgemeinen Werteunterrichts« (267).
Im Themenbereich (C) »Nachbarschaft von Schule und Gemeinde« dominieren die Kategorien »Miteinander auf dem Weg«, »Bildung« und »Kommunikation des Evangeliums«. Gemeinde und Schule werden als Räume wahrgenommen, die trotz ihrer Verschiedenheit »Konnektivität« ermöglichen (295).
Im abschließenden Kapitel »Hyperkategoriale Auswertung« formuliert der Vf. generalisierende Strukturmuster und Schlussfolge­rungen, von denen – vor allem im Gebiet der ehemaligen DDR – das »Fremdsein als Grundbefindlichkeit« (318) hervorsticht: Fremd ma­che den Gemeindepfarrer als Religionslehrer, »dass er von außen kommt« und »weniger Zeit an der Schule verbringt« als die hauptamtlichen Lehrkräfte; fremd machen ihn »andere Loyalitätsverhältnisse« (319). Schule werde von vielen als »Fremdort« erlebt (322).
Kann die Kirche in Westdeutschland durch »ihren Bezug auf alle gesellschaftlichen Milieus« (16) oftmals noch als Volkskirche handeln, ist zugleich »die Zunahme an Säkularität im Westen ein Phänomen«, so die Prognose des Vf.s, das »zu ähnlichen gesellschaftlichen Verhältnissen führen wird, wie sie in Ostdeutschland bereits bestehen« (38). Es werde »für den Gemeindepfarrer als Religionslehrer […] darauf ankommen, wie er seine Tätigkeit an der Schule interpretiert und ob er die Chancen, die sich dadurch bieten, nutzt« (17).