Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

557–559

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bruckmann, Florian [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Phänomenologie der Gabe. Neue Zugänge zum Mysterium der Eucharistie.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Herder 2015. 272 S. = Quaestiones disputatae, 270. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-451-02270-8.

Rezensent:

Stefano Bancalari

Das übergeordnete Ziel dieser reichhaltigen Aufsatzsammlung be­steht darin, sich der klassischen theologischen Thematik des eucharistischen Geheimnisses mit den Mitteln zu nähern, welche die philosophische und insbesondere phänomenologische Reflexion über die Gabe bietet.
Unter den vielen interessanten Aspekten, die den von Florian Bruckmann (Dilthey-Fellow der VolkswagenStiftung) arrangierten Ansatz kennzeichnen, verdient zuallererst die Tatsache Aufmerksamkeit, dass die entscheidende und viel diskutierte Frage des In­einandergreifens von Phänomenologie und Theologie – eine Frage, die im Allgemeinen in Hinblick auf die Legitimität einer Öffnung der Phänomenologie hin zur Theologie verhandelt wird – hier aus einem anderen, vielleicht weniger beachteten Blickwinkel betrachtet wird: Es ist die Perspektive des Theologen, der mit einer Art provisorischer Einklammerung des methodologischen Problems auf diesem Gebiet zeigt, bis zu welchem Punkt es fruchtbar sein kann, seine eigenen Themen mit einem begrifflichen Instrumentarium zu durchdenken, das aus Sicht der Theologie selbst von einem »Anderswo« entlehnt ist. Dies ist besonders interessant, denn auf diese Weise erreicht man – anders, als es auf den ersten, oberflächlichen Blick scheinen könnte – keine Vermischung der Methoden und Disziplinen. Im Gegenteil, die Unterscheidung zwischen den beiden Bereichen, die selbstverständlich nicht als »Ge­gensatz« zu verstehen ist, tritt stärker hervor und die Möglichkeit, diese Unterscheidung zu bekräftigen: bis hin dazu, dass man natürlich, um über eines der typisch und zutiefst christlichen Themen, wie das eucharistische Geheimnis, nachzudenken, nicht nur, wie es naheliegend ist, auf Jean-Luc Marion rekurrieren kann und vielleicht muss, der explizit die Eucharistie vom philosophischen Standpunkt aus reflektiert, sondern auch an Denker wie Levinas oder Derrida, vollkommen unabhängig von jedem konfessionellen Hintergrund.
Die Infragestellung der Ontologie in ihren traditionellen Artikulationsweisen (vor allem derjenigen von Substanz und Akzidenzien), die Kritik an der Metaphysik der Gegenwart und die Möglichkeit, die Gabe als ursprünglicher als das Sein zu denken, sind phänomenologische Ergebnisse von enormer Relevanz, die mit Macht die Frage nach der Bedeutung von Begriffen wie »Wesensverwandlung« oder »Real-Präsenz« erneut aufwerfen. Ohne jeglichen systematischen Anspruch bietet das Buch einige Forschungsansätze in dieser Richtung, denen das Verdienst zukommt, die Breite des begrifflichen Horizonts zu zeigen, der vom Projekt einer eucharistischen Phänomenologie der Gabe und der Eucharistie als Gabe genutzt wird.
Es ist kein Zufall, dass die Sammlung durch einen Beitrag von Joseph Wohlmuth eröffnet wird. Wohlmuths Arbeiten über die Möglichkeit einer nicht-ontologischen Interpretation der Einsetzungsworte (»das ist mein Leib«), die er als Gebeworte deutet (mit Unterstreichung von »… der für euch hingegeben wird«), bilden einen klaren Bezugspunkt für viele der hier involvierten Autoren. In diesem Zusammenhang vertieft Wohlmuth das Thema der eucharistischen Gabe ausgehend von einer Analyse der Vergebung in der hebräischen und christlichen Tradition: Die Entwicklung der Art und Weise, wie die Bedeutung des Jom Kippur verstanden wird, und die Resonanz auf diese Transformation im Hebräerbrief bezeugen eine voranschreitende Distanzierung gegenüber der Idee der Entsühnung zugunsten der Idee der Versöhnung, die zu der »revolutionären« Entdeckung der »Unterscheidung zwischen der Sünde gegen Gott […] und der Sünde gegen den Nächsten« (30) führt und es er­laubt, die Eucharistie zu denken, ohne sie als Opfer aufzufassen.
Die Unterscheidung zwischen Gabe und Opfer wird in einem der originellsten Beiträge des Bandes vertieft, nämlich in der neuen, ausführlichen Lektüre des Derrida-Aufsatzes Donner la mort, die der Herausgeber Florian Bruckmann selbst vorlegt. Im Lichte einer Phänomenologie der Vater-Sohn-Beziehung, welche die Gabe des Todes im Akt des Zeugens selbst fasst, interpretiert Bruckmann die biblische Erzählung der »Bindung« Isaaks in einem nicht-sakrifiziellen Sinne: Isaak empfängt den Tod von Abraham »nicht im Hinblick auf die bevorstehende, von Gott befohlene Opferung des geliebten Kindes«, sondern einfach, insofern er Kind ist; er tritt nämlich »in den Gesamtzusammenhang von Zeugen, Empfangen und Gebären« (193) ein. Diese Perspektive gestattet es, die Eucha-ris­tie-Theologie nicht mehr in Bezug auf das sacrificium, sondern auf die Taufe zu verstehen: »Die Gabe der Taufe ist also Gabe des Todes und des Lebens« (193). Bruckmanns Ziel ist jedoch noch ambitionierter, wie sich aus den Querverbindungen zu dem anderen Beitrag des Herausgebers in diesem Buch ergibt: Mit einem Exkurs, der ebenso interessant wie vertiefungswürdig ist, versucht er, sich Derridas berühmtem Paradox von der Unmöglichkeit der Gabe zu entziehen. Hinsichtlich dieses Punktes wäre ein ausdrücklicher Vergleich mit Marions Ansatz interessant gewesen, von dem Bruckmann einige einzelne argumentative Strategien (die drei-fache Reduktion des Schenkers, des Beschenkten und der Gabe), aber nicht zwingend die allgemeine Perspektive zu übernehmen scheint.
Generell ist interessant zu beobachten, dass gerade das umfassendste Werk Marions über das Thema der Gabe (Étant donné) scheinbar weniger genutzt wurde, als man es hätte erwarten können. Helmut Hoping, der doch explizit würdigen will, was Marion dazu beigetragen hat, Christus praesens mit Hilfe der Gabe zu denken, bevorzugt es bezeichnenderweise, auf den Begriff »verklärte Gegenwart« (diesen Terminus entwickelte der französische Philosoph in einem Aufsatz von 1983) zu rekurrieren, statt sich auf die reifere Phänomenologie der Offenbarung zu beziehen. Letztere wird übrigens vom Autor als »vage« (207) im Vergleich zu der ju­gendlichen »theologischen Phänomenologie« bezeichnet – ein hartes und vielleicht nicht ganz angemessenes Urteil in Anbetracht dessen, dass Marion ausdrücklich bekundet, keine direkt theologische Absicht zu verfolgen.
Weniger problematisch und eindeutiger erscheint die Interpretation der Frage der eucharistischen Realpräsenz im Lichte der phänomenologischen Reflexion über die Zeit: sei es in Beziehung zu Heideggers Betonung des Primats der Zukunft gegenüber der Ge­genwart – diese Betonung wird in ihrer ursprünglichen Verwurzelung im paulinischen Begriff hos mé wiederentdeckt –, sei es in Bezug auf die Notwendigkeit, die Zeit als Öffnung auf die radikale Andersheit im Sinn Levinas’ hin zu verstehen (René Dausner, Erwin Dirscherl).
Hinzuweisen ist schließlich auf zwei Beiträge über die eucha-ris­tische Neugestaltung des liturgischen Raums (Albert Gerhards) und über die Möglichkeit, in der Terminologie der Gabe das traditionelle Denken der Eucharistie als »Wunder« zu würdigen (Dirk Ansorge).