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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

551–553

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Deuser, Hermann, Joas, Hans, Jung, Matthias, and Magnus Schlette [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Varities of Transcendence. Pragmatism and the Theory of Religion. M. Beiträgen v. V. Colapietro, H. Deuser, H. Joas, M. Jung, V. Kestenbaum, G. Linde, L. Nagl, R. C. Neville, S. Philström, Ch. Polke, W. Proudfoot, M. L. Raposa, M. Schlette, Ch. Seibert.

Verlag:

Harrogate: Fordham University Press (Combined Academic Publishers) 2016. 312 S. = American Philosophy. Geb. US$ 65,00. ISBN 978-0-8232-6757-6.

Rezensent:

Friederike Rass

Der prominente Herausgeberkreis der Anthologie entwirft ge­meinsam mit den Autoren sowie der Autorin der einzelnen Beiträge des Bandes einen durchdachten, neuartigen Vorschlag von sehr hoher Qualität, wie jenseits der rapide im Rückzug begriffenen Säkularisierungsthese eine überzeugende Alternative von höherer Erklärkraft entwickelt werden kann. Sie konzentrieren sich dabei auf den Diskurs des amerikanischen Pragmatismus und die Frage, inwiefern dieser für die Herausforderungen, die sich den heutigen religiösen Diskursen im Spannungsfeld der Moderne stellen, fruchtbar gemacht werden kann. Im Zuge dessen stellen sie insbesondere die traditionelle Annahme in Frage, dass sich der amerikanische Pragmatismus wesentlich durch auf religiöse Individualisierung abstellende Thesen charakterisiere.
Zum einen geht der Aufsatzband seiner Fragestellung nach der Möglichkeit der gegenwärtigen, kritischen Verortung von Religion über die Entwürfe zentraler Denker des amerikanischen Pragmatismus nach, wobei insbesondere die Positionen von William James, Edgar S. Brightman, John Dewey, Hilary Putnam und Charles Sanders Pierce herangezogen werden. Dabei verbleiben die einzelnen Beiträge nicht auf der rekonstruierenden Ebene, sondern verorten und bewerten die verschiedenen Positionen konsequent neu. Zum anderen setzt die facettenreiche wie detaillierte Untersuchung einen besonderen Schwerpunkt auf die Überlegungen von Josiah Royce. Diese werden insbesondere herangezogen, um aus verschiedenen Blickwinkeln aufzuzeigen, inwiefern der amerikanische Pragmatismus nicht notwendig bei einer reinen Individualisierungstheorie stehen bleiben muss, sondern sich durchaus als mit dem Denken von Gemeinschaftlichkeit inhärent kompatibel erweisen lässt.
Indem im Band die wesentlichen Positionen des amerikanischen Pragmatismus vor dem Spannungsfeld der Gegenwart be­leuchtet werden, deckt er dabei von James bis Dewey ein breites Spektrum dieser Strömung ab, ohne deren wesentliche Differenzen sowie konkurrierende Interpretationsmöglichkeiten ihres Denkens unbeleuchtet zu lassen. Zugleich gelingt es den Herausgebern wie Beitragenden des Bandes, über klare inhaltliche Schwerpunktsetzungen Vergleichbarkeit, Kontinuität und innere Kohärenz zwischen den einzelnen Beiträgen zu gewährleisten. Der für eine Auseinandersetzung mit dem pragmatischen Denken ungewöhnliche Fokus auf den Motiven der Gemeinschaftlichkeit sowie der Transzendenz, welche wesentlich aus semiotischer Perspektive erschlossen werden, erweist sich dabei als so kreativ wie erklärkräftig, ohne darin Gefahr zu laufen, die herangezogenen Ansätze sich selbst zu entfremden.
Die einzelnen Beiträge zeichnen sich dabei durchweg durch ihre klare positionelle Schwerpunktsetzung und jeweilige Expertise aus. Auch wenn die den Band übergreifende Fragestellung konsequent in den einzelnen Beiträgen berücksichtigt wird, bieten die teilweise konkurrierenden, jeweils sauber argumentierten neuen Interpretationen der klassischen pragmatischen Denker ein konstruktives Spannungsfeld, welches Anreiz und weitreichendes Material für das Weiterdenken der vorgeschlagenen Thesen auch über den Band hinaus bietet. So argumentiert etwa Victor Kestenbaum für eine Neubewertung der Überlegungen Deweys dahingehend, dass dieser keineswegs als rein naturalistisch orientierter Philosoph ohne Sinn für religiöses Denken zu verstehen sei. Vielmehr lasse sich dessen Denken, das für die transformierende Kraft für wahr gehaltener Ideale eintritt, im Horizont seines »ontological faith« (83) als eine Form des religiösen Idealismus charakterisieren. Demgegenüber arbeitet Matthias Jung die Ambiguität in Deweys Denken insbesondere im Rückgriff auf dessen A Common Faith heraus, welche seine Erachtens letztlich doch gegen die Möglichkeit eines komplementären Verständnisses naturalistischen und religiösen Denkens und für eine implizite Prävalenz des Naturalismus in Deweys Überlegungen spricht. Wayne Proudfoot führt diese Überlegungen zum Verhältnis von Naturalismus und Religion schließlich auf einer grundsätzlichen Ebene weiter, wenn er die These aufstellt, dass diese auch unter Berücksichtigung der Position Deweys nicht notwendig in Spannung zueinander zu verstehen sind, sondern dass das pragmatische Denken auch gerade unter Einbezug des für ihn wesentlichen naturalistischen Aspekts vielmehr das Potential bietet, Religion neu zu verorten, ohne sie reduktionistisch zu verstehen. Er plädiert für eine Neubewertung des pragmatischen naturalistischen Denkens, indem dessen Verständ nis des Naturalismus gerade nicht auf einen Empirismus redu-ziert werden dürfe, der die historische und kulturelle Bedingtheit der Menschen als »natural creatures« (106) außer Acht lässt. Dass Kestenbaum, Jung und Proudfoot diese konstruktive kritische Auseinandersetzung dabei führen, während sie selbst aufgrund ihrer disziplinären Hintergründe ganz verschiedenen Strömungen religionsphilosophischen Denkens zuzuordnen sind, ist ein weiteres den Band durchgängig auszeichnendes Charakteristikum, der Theologen wie Philosophen und Religionswissenschaftler verschiedener Nationalitäten als Beitragende vereint.
Auch wenn der Naturalismus als quasi gesetztes Thema des Pragmatismus dabei ein wiederkehrendes Motiv der Auseinandersetzung mit den einzelnen Positionen in den jeweiligen Aufsätzen bildet, geschieht dies doch konsequent mit dem Blick auf die Frage der Dimension der Transzendenz. Das genuin innovative Potential dieser Schwerpunktsetzung erweist sich im Blick auf die vor allem unter Rückgriff auf Pierce und Royce vollzogene Rekontextualisierung der Frage nach Transzendenz im Horizont der Notwendigkeit semiotischer Vermittlung sowie deren Auswirkungen auf das definitorische Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft. Insbesondere die zweite Hälfte des Bandes konzentriert sich auf das Potential einer religiösen Dimension semiotischer Vermittlung, welche das Individuum notwendig übersteigt, im Horizont von Gemeinschaftlichkeit verortet und darin ein Gegengewicht zum Individualismus der Moderne bilden kann. Hermann Deuser und Robert Cummings Neville führen diese Überlegungen zum Potential einer sozialen Dimension pragmatischen Denkens in den letzten beiden Beiträgen des Bandes schließlich explizit im Hinblick auf deren mögliche kosmologische beziehungsweise metaphysische Implikationen weiter. Deuser tritt dabei aufbauend auf Pierces späteren Überlegungen für die kosmologische Dimension pragmatischen Denkens ein, welches sich gerade nicht auf ein Gegenüber von religiösem Glauben und empirischem Wissen stützt, wohingegen Neville, ebenfalls aufbauend auf Peirce, die wirklichkeitsge staltende Kraft von »ultimate realities« (270) im Horizont einer eigenen, pragmatischen Religionstheorie erörtert.
Auch wenn der Band durchaus auch die Grenzen des amerikanischen Pragmatismus im Hinblick auf ein alteritäres Transzendenzverständnis ausweist, legt er so insgesamt eine äußerst ertragreiche Untersuchung der vielfältigen Anknüpfungsmöglichkeiten und bisher kaum beleuchteten Tiefendimension pragmatischen Denkens hinsichtlich des gegenwärtigen religionsphilosophischen Diskurses im Spannungsfeld der Moderne vor.