Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

549–551

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Czasny, Karl

Titel/Untertitel:

Die letzten Undinge. Eine erkenntniskritische Auseinandersetzung mit der Angst vor dem Tod.

Verlag:

Freiburg: Verlag Karl Alber 2014. 324 S. = Fermenta philosophica. Kart. EUR 26,00. ISBN 978-3-495-48659-7.

Rezensent:

Jakob G. Heller

Der 1940 in Wien geborene Sozialwissenschaftler und Philosoph Karl Czasny beschäftigte sich zuletzt in einer zwischen 2010 und 2014 veröffentlichten Studienreihe mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Physik. Seine darin entwickelte transzendentalphilosophische Erkenntnistheorie bildet auch den Ausgangspunkt für sein Buch Die letzten Undinge, in dem C. eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Tod vorlegt. Mit dem ausdrücklich nicht »in Distanz verfasste[n]«, sondern in der Beschäftigung mit der eigenen Todesangst entstandenen Werk stellt sich C. in die Tradition der philosophischen Trostliteratur, wobei er Tröstung in einer erkenntniskritischen Analyse des Todes als Un-Ding findet und diese Tröstung schließlich mit den Konzepten verschiedener Religionen von den letzten Dingen vergleicht.
In einem einführenden autobiographischen Kapitel erzählt C. zunächst von der Entwicklung seiner Vorstellungen vom Tod und der damit verbundenen Todesangst. Anschließend entfaltet er in einem mehr als die Hälfte des Buches einnehmenden zweiten Kapitel seine erkenntnistheoretisch geprägte philosophische Sicht des Todes. Dabei geht C. davon aus, dass die Suche nach Wissen funktional als Suche nach Orientierungshilfen für das Handeln verstanden werden muss. Die Bilder, die sich das erkennende Subjekt bei diesem Prozess von sich selbst, von all seinen Handlungen und von dem, worauf sie gerichtet sind, macht, fasst es zu einem Bild der Welt zusammen, die ihm als Kontur aller Erscheinungen, als Ganzes und als das Sein erscheint, wobei C. diese Aspekte jeweils in Relation zum Handeln des Subjekts erläutert. So ist das Konzept von »Sein« für ihn z. B. die Verdinglichung der Erfahrung, dass äußere Gegenstände dem Handeln Widerstand entgegensetzen. Diesem Konzept entspricht kein Ding und keine Substanz, sondern ein in Abstraktion erfasstes Verhaltensmuster. Entsprechend versteht C. das Nichts, das seine Todesangst auslöst, als verdinglichten Gegenspieler des als Ding missverstandenen Seins und damit als Un-Ding. Daher erweisen sich alle Vorstellungen vom Jenseits, von Himmel, Hölle und dem Nichts als Projektionen mit nicht geklärtem Wahrheitsgehalt. Ebenso entpuppt sich auch die Vorstellung von einer »unsterblichen Seele« des Menschen als Schimäre. Diese Dekonstruktion der klassischen Jenseitsvorstellungen verschafft ihm eine »kleine Tröstung« angesichts seiner Todesangst, da sie ihm die Zuversicht gibt, nicht in ein Nichts zu fallen, sondern im Fortwirken der eigenen Handlungen im Kollektiv fortzuexistieren. Sein transzendentalphilosopisches Verständnis des Todes konfrontiert C. anschließend mit verschiedenen religiösen Konzepten des Jenseits und erkennt in Religionen »krückenhafte Hilfestellungen« für die Sinnkonstitution durch permanente Selbstdistanzierung. Einen besonderen Schwerpunkt seiner Auseinandersetzung mit Religion bildet die Untersuchung des Phänomens der religiösen Mystik und insbesondere der Kontemplation. Sie ermöglicht dem Menschen die Aneignung eines aus den Strukturmustern zielorientierter Erfahrungskonstitution herausgelösten Zugangs zum Erfahrungsgegenstand, der sich auch auf das alltägliche Handeln und Erfahren auswirkt. Die Unterschiede zwischen den betrachteten religiösen Konzepten führt C. auf unterschiedliche, in den Lebensbedingungen der jeweiligen Kollektive begründete Motive zurück, weshalb sich der christliche bzw. buddhistische Mystiker jeweils aus den Verstrickungen in die erkenntniskonstitutiven Absichten lösen möchte. Als Konsequenz seiner transzendentalen Position muss sich der Mensch sowohl als eines von unendlich vielen Objekten in der Welt als auch als ein Subjekt betrachten, das Bil der von sich und seinem jeweiligen Gegenüber entwirft. So er­scheint auch der Tod unter diesen zwei Betrachtungsweisen – einerseits als definitiver Zusammenbruch des objektiven Systems Mensch, dessen materielle Bestandteile sich zu neuen Konfigurationen formieren, andererseits als Ende des individuellen Subjekts Mensch, da der Einzelne im Tod aus dem Kollektiv derer ausscheidet, die kooperieren und dadurch ein gemeinsames Weltbild entwerfen. Diese Analyse des Todes erlaubt keine Aussage darüber, was im Tod »an sich« passiert, sondern stellt den Schimärencharakter der Vorstellung eines ewigen Lebens heraus. Diese Feststellung führt zur Frage nach der Wahrheit des Glaubens, die C. in einem fiktiven Dialog zwischen einem Vertreter der transzendentalen Position und einem Vertreter des Glaubens in christlicher Ausprägung diskutiert. Beide möchten dem Verhalten des Menschen zu sich selbst Orientierung geben. Für den Glaubenden bedeutet die Realisierung dieses Zieles demnach das Ankommen in der eigentlichen Wirklichkeit, während sich der Transzendentalphilosoph jeder Spekulation über das Wesen der eigentlichen Wirklichkeit enthält. Anstelle eines Nachwortes berichtet C. abschließend von der Begegnung mit einem Einsiedler in der Mongolei, der sich als »Meister der letzten Undinge« bezeichnet und ihm drei Kontemplationen über das Ende, das Vertrauen und die Liebe empfiehlt, um eine Brücke zu schlagen zwischen dem Wissen über die letzten Undinge und dem Leben mit ihnen.
Dem Charakter des Buches als einer persönlichen Auseinandersetzung mit der Todesangst entsprechend verzichtet C. auf einen umfangreichen Fußnotenapparat und ruft die Ergebnisse vorausgehender Reflexionsschritte immer wieder in Erinnerung, bevor er neue Aspekte in den Blick nimmt. Zusammen mit einem flüssigen, unkomplizierten Schreibstil führt dies zu einem angenehm zu lesenden Text, der allerdings nicht frei von Redundanzen ist.
C.s Buch stellt einen interessanten Versuch dar, die transzendentalphilosophische Erkenntnistheorie fruchtbar zu machen, um sich philosophisch mit dem menschlichen Tod auseinanderzusetzen und so die Angst vor dem Tod als gegenstandslos zu erkennen. Es zeigt jedoch auch, wie sehr solch eine philosophische Auseinandersetzung immer den getroffenen Voraussetzungen verhaftet bleibt. Denn ebenso wenig wie sich die Unsterblichkeit der Seele beweisen lässt – für Kant ein notwendiges Postulat der praktischen Vernunft –, lässt sich transzendentalphilosophisch aufzeigen, dass die Vorstellung einer unsterblichen Seele eine reine Schimäre ist. Zu diesem Ergebnis kommt C. nur, weil er von der reinen Funktionalität menschlicher Erkenntnis ausgeht und daher annimmt, dass es jenseits der Funktionen der Erkenntnis keine Realität gibt. Zwar betont C. immer wieder, sich nur mit den Erscheinungen der Dinge zu beschäftigen und keine Aussagen über die »Dinge an sich« treffen zu wollen, in seinen Schlussfolgerungen wird er diesem Grundsatz jedoch untreu. Auch seine Darstellung der christlichen und buddhistischen Jenseitsvorstellungen, die C. weitgehend seinen persönlichen Erfahrungen und Wikipedia entnimmt, wird der Lehre dieser beiden Religionen nur in Teilen gerecht. Dieses zu­mindest teilweise unzutreffende Verständnis führt maßgeblich zu C.s Einschätzung von Religionen als krückenhaften Hilfestellungen für das Subjekt. Eine genauere Betrachtung der Grenzen der Transzendentalphilosophie und der Inhalte der religiösen Überzeugungen könnte ein Verständnis der Religion ermöglichen, das in ihr nicht nur eine Krücke für das Subjekt sieht, sondern sie als Zugang zu einem Wirklichkeitsbereich ernst nimmt, dessen Möglichkeit die Transzendentalphilosophie aufzeigen kann, der sicherer menschlicher Erkenntnis aber unzugänglich bleibt.