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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

541–542

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Matthias, Markus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Philipp Jacob Spener. Die Anfänge des Pietismus in seinen Briefen. Ausgewählt, z. T. aus d. Lat. übers. u. hrsg. v. M. Matthias.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 279 S. = Edition Pietismustexte, 7. Kart. EUR 16,80. ISBN 978-3-374-04257-9.

Rezensent:

Wolfgang Schöllkopf

Der in Amsterdam lehrende Herausgeber und Mitarbeiter der inzwischen von der Universität Halle-Wittenberg betreuten Edition der Spener-Briefe legt hier eine kleine, aber feine Auswahl aus dem großen Konvolut vor, die er gekonnt unter dem Thema »Anfänge des Pietismus« zusammenfasst. Diese Anfänge in der Theologiegeschichte sind faszinierend, da inhaltsreich, zugleich aber quellenmäßig oft schwer zu fassen oder gar zu datieren. Der reiche Schatz der Spener-Briefe ermöglicht hier eine seltene und tiefgründige Zusammenschau. Dafür wurden sprechende Briefe ab 1666 an Vertraute, wie etwa Gottlob Spizel in Augsburg, Elias Veiel in Ulm oder Johann Ludwig Hartmann in Rothenburg ob der Tauber, ausgewählt. Mit ihnen pflegte Spener einen intensiven Austausch mit offenen Worten, in dem vor allem die »Zwischentöne« (242) interessant sind. Einer Gräfin von Nassau-Idstein, die für das Interesse gebildeter Frauen aus dem Adel an der Bewegung des jungen Pietismus steht, erläuterte Spener Methodik und Hermeneutik der Bibellektüre (Brief Nr. 18). Mit Petersen in Gießen und Breckling in Ams­terdam erörterte er die Grenzen der notwendigen Kirchenkritik und die Eschatologie des Separatismus (Briefe Nr. 25 und 26).
Die Gliederung und Zuweisung der Briefe an zentrale Themen der Spenerschen Theologie bieten geradezu eine Einführung in dieselbe: Ursachen des Verfalls des christlichen Glaubens (Atheismus, Mangel an gelebtem Glauben, die Ungeistlichkeit der Geistlichen, die Vernachlässigung der Sonntagsheiligung), Vorschläge zur He­bung der Christlichkeit (Frömmigkeitsübungen, Reform des Theologiestudiums), Urteile und Ratschläge zu theologischen oder kirchlichen Fragen der Zeit. (Letzterer Titel spielt auf die »consilia« ge­nannten Lehrbriefe Speners an.)
Zuweilen erweist sich Spener als zeitlos aktuell, etwa wenn er die veränderte Rolle des Pfarrers, vom reformatorischen Lehrer hin zum Glaubenszeugen scharfsinnig pastoraltheologisch durchdenkt: Er sieht narzisstische Selbstdarsteller, die mit dem Pfarrberuf »eine Bühne erhalten, auf welcher sie die hervorleuchtenden Schätze ihrer Gaben zum Erwerb des Ruhmes zur Schau tragen können« (34). »Ihre Kompetenz [habitus] würde ich eher Philosophie über göttliche Dinge nennen als Theologie, gewiss aber nicht Glauben« (31). Hier wird zugleich eine bedeutsame Leistung dieser Briefauswahl-Ausgabe deutlich: Die lateinischen Briefe wurden einfühlsam übersetzt, was auch dieses Beispiel zeigt: »Kompetenz« ist nicht zu­erst Technik, sondern Haltung (»habitus«). Und dennoch will Spener aus dem Christusträger keinen Atlanten machen: »Ich bin weit von dem Irrtum derer entfernt, die die Wirkung des Wortes von der Würdigkeit seines Dieners abhängig sein lassen.« (35)
Auch im bisher vor allem polemisch bestimmten Umgang der Konfessionen zeichnet sich bei dem, der unter allen Denominationen die »wahren Christen« sammeln möchte, eine neue Haltung ab: »ob ich schon mit solchen menschen keine kirchliche gemeinschafft […] halte, […] so kan ich doch sein gutes an ihm rühmen, lieben und in eine genauere freundschafft mit ihm tretten« (158).
Interessant ist auch, dass Spener zwar den Begriff der dringenden kirchlichen Reformen prägt, den Reformator aber weiterhin Luther sein lässt: »Vor einen Reformatoren der kirchen mich anzugeben, lasse ich mir die thorheit nicht aufsteigen, sondern weiß mich meiner schwachheit zu entsinnen […]. Lasse mir also genügen, daß ich mit unter die stimmen gehören möge, welche die jenige zu der reformation helffen aufmuntern, die der HErr dazu außgerüstet haben mag.« (206)
Dieses spannende Thema greift der Herausgeber und Kommentator da noch einmal auf, wo in einzelnen Bemerkungen die unterschiedliche Sicht- und Deutungsweise zum Altmeister der Spener-Forschung Johannes Wallmann durchblitzt. Nicht nur hergeleitet aus den verschiedenen Reformbewegungen, nicht nur eingeordnet in die Schubladen von Luthertum und Reformorthodoxie, sondern »eigenständiger Reformator« (250), das sei Spener angemessen. Die inhaltlichen Beispiele sprechen durchaus dafür.
Die Edition ist klein, aber fein, brillant kommentiert. Erstaunlich detailreiche Namen-, Bibelstellen- und sogar ein Sachregister ermöglichen gezieltes Nachforschen. So wurde ein eindrücklicher Zugang zu aussagekräftigen Quellen um den so »unbestrittenen wie umstrittenen Wortführer des Pietismus« (241) geschaffen, mit dem zu arbeiten lohnt.