Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

536–537

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Jasper, Gotthard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Paul Althaus, Karl Barth, Emil Brunner. Briefwechsel 1922–1966.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 184 S. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-525-55091-5.

Rezensent:

Hans-Anton Drewes

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Freudenberg, Matthias, u. Hans-Georg Ulrichs[Hrsg.]: Karl Barth und Wilhelm Niesel. Briefwechsel 1924–1968. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 303 S. m. 12 Abb. Geb. EUR 50,00. ISBN 978-3-525-56019-8.


Gespannt greift man zu den beiden Briefbänden. G. Jasper hat mit seiner aufschlussreichen Biographie (Paul Althaus [1888–1966]. Professor, Prediger und Patriot in seiner Zeit, Göttingen 2013, 22015) bewusst gemacht, dass Paul Althaus allzu schnell aus der theologischen Auseinandersetzung verschwunden ist. So freut man sich, ihm neu in dem Gespräch mit zwei bedeutenden Kollegen zu begegnen, von dem Jasper in der Biographie (161–177) schon einen anregenden Eindruck vermittelt hatte. Die Freude, den »weitgehenden Consensus tigurino-erlangensis« (159) und die »schmale, aber solide Brücke« zwischen Basel und Erlangen (109) selber in Augenschein nehmen zu können, wird freilich getrübt, wenn z. B. Briefe (trotz klarer Angaben des Absenders) falsch datiert sind, so dass z. B. Althaus 1959 Brunner zu einem Aufsatz von 1951 gratuliert (165). Schlimmer noch sind freilich die überaus zahlreichen Entzifferungsfehler, die grotesk werden, wenn der Herausgeber das, was er zu lesen meint, auch dann druckt, wenn die Worte, die er gefunden oder vielmehr erfunden hat, bisher im deutschen oder lateinischen Wörterbuch fehlen (»Verboblas« [27 f.70], »volibicis« [155]). Ähnlich verfährt er mit den Namen, die er umstandslos so wiedergibt, wie er sie sich buchstabiert hat. So scheinen z. B. Studenten aus Erlangen von »Bargs Seminar« »ziemlich enttäuscht zu sein« (155) – eine Mitteilung, die Brunner kalt gelassen hätte, der aber zweifellos richtig »Barths Seminar« gelesen und sich, wie von Althaus intendiert, darüber gefreut hat, dass »die Hochflut des Barthianismus« doch nicht alles »überdeckt« hatte (157). Die ärgerlichen Fehler in der Wiedergabe besonders der Handschrift Barths hätten sich wohl vermindert, wäre versucht worden, die Anspielungen den auf entsprechende Erklärungen angewiesenen Leserinnen und Lesern zu erschließen. Solche Erläuterungen sind notwendig, wenn die Briefe als Ganze der heutigen Leserschaft (auch außerhalb des deutschen Sprachraums!) etwas sagen sollen. Ohne sie werden sie in wichtigen Teilen nichtssagend, so dass sich ein integraler Abdruck und eine vollständig Lektüre nicht lohnen. »Und der es von München vom Vikariat aus mir gibt?!« (24) Der Versuch, den hier gemeinten Sachverhalt aufzuhellen, hätte gewiss auch zu einer korrekteren Lesart geführt und bewirkt, dass in diesem Satz mehr als fünf Worte zutreffend wiedergegeben würden. Doch die Anmerkungen bieten nur in einer beschränkten Auswahl Aufklärung, und wo sie gegeben wird, bedürfen die Hinweise häufig der Korrektur. Gelegentlich begegnet ein seltsamer Eigensinn, der auch das Klare problematisch macht – so z. B., wenn gegen die richtige Angabe von Althaus »Brief an Mozart« in der Anmerkung Barths »Bekenntnis zu Mozart« nachgewiesen wird (108) oder der – mit bedenkenswerter Kritik verbundene und eine beachtenswerte Replik provozierende (110f.112) – Dank für Barths korrekt angeführte »Menschlichkeit Gottes« verbessert wird: »genauer: ›Die Menschlichkeit Jesu‹« (110). Eine ausführliche Tafel der Stellen, an denen diese Edition ungenügend ist, wäre gegenüber einem Band, den der Herausgeber als »letztes Spätwerk« (11) bezeichnet, wohl ein Stilbruch. Der Verlag jedoch, der nicht nur am Lektorat, sondern auch an der Überwachung des Satzes gespart hat, so dass eingezogene und stumpfe Absätze ohne Regel abwechseln, sollte die Bereitstellung einer Liste als Ehrenpflicht betrachten, in der zu­mindest die verwirrlichsten Errata richtiggestellt werden. Denn es steht außer Frage, dass die Lebens- und Denkbahnen der drei hier im Austausch zu beobachtenden Köpfe tatsächlich »in einer Weise nebeneinander hergelaufen« sind, »die wohl der späteren Theologiegeschichtsschreibung noch Einiges zu reden geben könnte« (113).
Die Wege Barths und Niesels in Theologie und Kirche verliefen nicht nur nebeneinander, sie wurden und waren immer wieder auch gemeinsame Wege. In ihrem Briefwechsel spiegelt sich in eindringlicher Weise nicht nur der Kirchenkampf, sondern später auch der Aufbau der EKD und der theologische Streit der 1950er und 1960er Jahre. Besonders bemerkenswert ist die Linie in Barths theologischer Entwicklung, die in der Mahnung von 1964 kulminiert: »Wie kann die Kirche dogmatisch eindeutig werden, wenn sie es ethisch-politisch nicht tun will?« (273) Am Anfang, 1928, steht dem noch die von Niesel sogleich scharf kritisierte Einordnung der Ethik als »Hilfswissenschaft«, als »so eine Art Palästinakunde zur Dogmatik« (59.63), gegenüber. Die von den Herausgebern vermisste Postkarte mit diesem »absichtlich provozierend« gebrauchten Diktum (63) befindet sich im Karl Barth-Archiv Basel. Die Anmerkungen 117, 123 und 141 des I. Teils sind auch im Blick darauf zu korrigieren. Dass man es auch sonst verschiedentlich gerne präziser hätte, mag man als Bestätigung der Erfahrung beiseite legen, dass es wohl keine Edition gibt, deren Leserinnen und Leser nicht dies und das besser zu wissen meinen. Notierenswert ist aber doch von den Fehlern in der Textwiedergabe, dass sich Barth von Niesel im Rigorosum nicht »mit formidabler Kenntnis der Orthodoxie Schleiermachers und des 19. Jahrhunderts erfreuen« lassen wollte, sondern »… der Orthodoxie, Schleiermachers und …« (58), wie er auch 1964 »die Bäume unsrer heutigen Gartenzwerg-Theologie« nicht in den Himmel wachsen sah und nicht die »meiner heutigen Gartenzwerg-Theologie« (273). Die Anmerkung, die das falsch Entzifferte zur »ironischen Kennzeichnung seiner Theologie« erklärt (2 73, Anm. 286), verfehlt Barths Selbstverständnis schmerzlich. Dass die biblischen Anspielungen nicht regelmäßig angemerkt werden, ist grundsätzlich zu bedauern, besonders aber im Blick auf die hübsche Pointe in Niesels kaustischer Bemerkung zu einer der überraschenden Wendungen im Kirchenkampf 1934: Es werde künftig eine »durch ›Kammern und Unzucht‹ geschützte reformierte Kirche geben« (157 f.). Muss man allgemein mit abnehmenden Bibelkenntnissen rechnen, so besonders mit schwindender Vertrautheit mit den älteren Fassungen der Luther-Bibel. Ungeachtet solcher Einwände ist die Veröffentlichung dieses Briefwechsels als eine schöne Bereicherung unseres Bildes von den Ereignissen und den Personen eines wichtigen Abschnitts der Kirchen- und Theologiegeschichte dankbar zu begrüßen.