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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

534–536

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Delgado, Mariano, u. Volker Leppin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Dir hat vor den Frauen nicht gegraut«. Mystikerinnen und Theologinnen in der Christentumsgeschichte.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2015. 403 S. = Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte, 19. Geb. EUR 69,99. ISBN 978-3-7278-1779-3 (Academic Press Fribourg); 978-3-17-030318-8 (Verlag W. Kohlhammer).

Rezensent:

Anneliese Bieber-Wallmann

In diesem instruktiven Band sind 21 Beiträge eines Symposions enthalten, das unter dem gleichen Titel vom 22. bis 24. März 2014 an der Universität Freiburg (Schweiz) stattfand. Das Motto stammt von Teresa von Ávila, deren Geburtstag sich 2015 zum 500. Mal jährte; ihr ist der ganze Band gewidmet.
Teresas Wirken wird im historischen Kontext von Frauenmystik seit biblischen Zeiten behandelt. In systematischer Hinsicht wird gefragt, ob das Frau-Sein spezifische Gestalten mystischer Theologie hervorgebracht hat und welche Potentiale Mystik in der heutigen kirchlichen und gesellschaftlichen Situation entfalten kann.
Am Beginn stehen Einführende Beiträge (13–43). B. McGinn zeigt anhand von Kurzbiographien, welche Faktoren seit dem ho­hen Mittelalter Frauen eine theologische Eigenständigkeit ermöglichten. Schon Hildegard von Bingen (1098–1179) berief sich auf einen göttlichen Befehl, ihre Visionen aufzuschreiben. Ab dem 13. Jh. profitierten Frauen von der Verbreitung mystischer Literatur in der Volkssprache und von neuen Formen religiösen Lebens etwa bei Zisterzienserinnen und Beginen. Mit dem »Demutstopos« aus 1Kor 1,27 wurde der Anspruch begründet, Kirchenmitglieder zu lehren. Oft fanden begabte Frauen Unterstützung bei einflussreichen Klerikern – es gab jedoch Ausnahmen wie Margareta Porète (1310 als Häretikerin hingerichtet) und Madame Jeanne Guyon (1648–1717; von 1698 bis 1703 gefangen in der Bastille).
D. Bogner sieht das Christentum der Gegenwart wie M. de Certeau als »zersprungen« und aus den Fugen geraten. Er untersucht, welche Funktion mystische Rede und Literatur unter diesen Bedingungen für den christlichen Glauben haben kann.
Ein Historischer Überblick bis zur Frühen Neuzeit bildet den zweiten Teil des Bandes (47–116). A. Siquans sucht Spuren von »Mystik als ›Erkenntnis Gottes aus Erfahrung‹« (47) bei Frauen des Alten und Neuen Testaments. Ob es Frauenmystik in der Alten Kirche gibt, fragt B. Müller. Definiert man Mystik nicht als Erfahrung einer unio mystica, sondern mit Origenes als ein Leben im »Geheimnis der Liebe«, so lassen die Quellen Tendenzen zu einer Frauenmystik erkennen, etwa bei den Frauen um Hieronymus.
Das 13. Jh. sieht U. Stölting als den Höhepunkt der Frauenmys­tik, auf dem es um eine »liebende, d. h. auch willentliche Hinwendung zum personalen Gott« gehe (98). Während Hadewijch von Antwerpen ihre mystischen Erfahrungen noch in neuplatonischer Begrifflichkeit schildert, lässt etwa Angela von Foligno stark sexuelle Beziehungen ihrer Liebesmystik erkennen.
Einzelnen Mystikerinnen und Theologinnen sind die Beiträge im dritten Teil des Buches gewidmet (119–279). So befasst sich V. Leppin mit Mechthild von Magdeburg (1207/08 – ca. 1282). Obwohl Mechthilds Buch »Das fließende Licht der Gottheit« wohl vom Beichtvater Heinrich von Halle mitgestaltet wurde, ist es ein herausragendes Zeugnis weiblicher Spiritualität: Die mangelnde Bildung begünstigt die Gottesoffenbarung; in der Sprache der Minne wird die Begegnung der Seele mit dem göttlichen Liebhaber ge­schildert; die Erleuchtung geschieht durch das Kommen Christi in die Welt, besonders in der Eucharistie.
Eucharistie und Tagzeitenliturgie im Ablauf des Kirchenjahres bilden, wie M. Bangert ausführt, für die Ordensfrau Gertrud von Helfta (1256–1302) ein »Lernfeld der Mystik«. »Durch einen unmittelbaren Christusbezug erhält die traditionelle Klosterliturgie ein charakteristisches Personalisierungselement.« (195) Dieses Konzept findet sich ab dem Beginn der Neuzeit in Frömmigkeitsformen, in denen das kontemplative Beten geübt wird, zum Beispiel im Jesuitenorden.
Johanna Eleonora Petersen (1644–1724) wird von R. Albrecht nicht als Mystikerin verstanden. Zwar nehme die pietistische Schriftstellerin Aspekte der mittelalterlichen Bild- und Sprachtradition auf, ihr gehe es aber in erster Linie um die Auslegung der Bibel in Verbindung mit dem individuellen affektiven Erleben.
Aus dem 19. und 20. Jh. werden Frauen vorgestellt, deren Erleben mystische Aspekte hat. An der Ordensfrau Therese von Lisieux (1873–1897) hebt M. Schlögl besonders die Erfahrung der scheinbaren Gottesferne hervor, die mit Johannes vom Kreuz als »dunkle Nacht des Glaubens« bezeichnet wird. Edith Stein (1891–1942), die wie Therese von Lisieux Karmeliterin wurde, bezog sich auf ihrem Weg von der Phänomenologie E. Husserls zu einer mystischen Theologie ebenfalls auf Johannes vom Kreuz. H. Gerl-Falkovitz beschreibt, wie sich für Edith Stein der Sinn des Seins trotz des sich entziehenden Seinsgrundes in einer Relation zwischen endlicher und ewiger Person vollzieht. In Mitteleuropa wenig bekannt ist die von M. Eckholt vorgestellte Gabriela Mistral (1889–1957), in deren »mística popular« Schöpfungs-Mystik und Weg-Mystik zur Sprache kommen. Zu Dorothee Sölle (1929–2003) führt R. Wind aus, dass sie mit den Mystikern »die Liebe zur Schöpfung und den Wunsch nach der Einheit mit dem Ganzen – und den Protest gegen die Zerstörung dieser Einheit« teilte (277).
Sechs Beiträge zu Teresa von Ávila als Mystikerin und Theologin bilden den Abschluss des Bandes (283–392). Teresa von Ávila (1515–1582), die 1970 von Papst Paul VI. zur Kirchenlehrerin erklärt wurde, durfte zu Lebzeiten keine ihrer Schriften veröffentlichen. M. Delgado zeigt jedoch auf, dass sie durchaus selbstbewusst ihr »Lehramt« ausübte. Zwar unterwarf sie sich in geschickter Rhetorik dem Rat der männlichen Kirchenvertreter, aber sie betrachtete ihre eigene Erfahrung als ein Gnadengeschenk, das ihr ermöglichte, die Heilstatsachen zu verstehen und zu erklären. Den »Weg des inneren Betens«, der für Teresa von Àvila charakteristisch ist, beschreibt U. Dobhan OCD. Im Anschluss an Teresa von Avila und ihren Gegner Melchior Cano (1509–1560) behandelt S. Peng-Keller die Frage, ob Mystik als eigener locus theologicus zu verstehen sei. Er kommt zu dem Ergebnis, dass mystische Gebetserfahrungen nicht neben geprägten Formen christlichen Betens stehen, sondern deren Intensivierungsform darstellen. Insofern sei »Mystik« kein separater theologischer Fundort, sondern in spiritueller Praxis, Erfahrung und Literatur enthalten (vgl. 332).
Teresas Bedeutung für die Spiritualität von Frauen wird in den letzten drei Beiträgen des Bandes noch einmal entfaltet: K. Kleff sieht bei ihr eine entschlossene Entschiedenheit im Einsatz für andere geistlich Suchende; E. Münzebrock vergleicht ihren Weg zur mystischen Einigung mit Motiven aus dem Weg Gertruds von le Fort; B. Souvignier stellt fest, dass ihr Umgang mit Leiblichkeit im Licht der aktuellen Genderforschung als aktive Ausgestaltung der vorgefundenen Geschlechterstereotype zu sehen ist.
Der Tagungsband ist sorgfältig ediert. Fehler in der Orthographie kommen selten vor (etwas irritierend ist die Zusammenstellung 1515–2015 auf S. 9; hier erwartet man Teresas Todesdatum 1582). In einem wertvollen Anhang findet sich außer dem Verzeichnis der Autoren ein Bibelstellen- und Autorenregister (393–401). Auch wenn in einer Rezension nicht alle Beiträge gewürdigt werden können, dürfte deutlich geworden sein, dass in diesem Buch eine Fülle von Anregungen für Theologie und Frauenforschung enthalten ist.