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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

530–531

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Schmid, Konrad

Titel/Untertitel:

Die Theologische Fakultät der Universität Zürich. Ihre Geschichte von 1833 bis 2015. Fotografien von U. Markus.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2015. 254 S. m. Abb. Geb. EUR 35,90. ISBN 978-3-290-17865-9.

Rezensent:

Dietz Lange

Konrad Schmid, in Zürich geboren und aufgewachsen und dort jetzt Ordinarius für Altes Testament und frühjüdische Religionsgeschichte, stellt in dieser Arbeit die gesamte Geschichte seiner Fakultät seit Bestehen der Universität dar. Selbstverständlich berücksichtigt er auch die Vorstufen seit der Gründung der »Prophezei« durch Huldrych Zwingli 1525, der ältesten höheren Lehranstalt Zürichs und somit der Keimzelle der Universität. Das Buch schließt insofern eine Lücke, als es zwar schon den höchst instruktiven Beitrag von G. Schultheß-Rettberg, Die zürcherische Theologenschule im 19. Jahrhundert in der Festgabe zur Einweihung des Universitäts-Neubaus 1914 gab (zit. 95), aber eine Fortführung bis in die Gegenwart fehlte. Im Unterschied zu jener Arbeit hat S. viel stärker das im engeren Sinn Institutionelle ins Spiel gebracht: Studierendenzahlen, Stellenpläne, Forschungsprogramme, Ausbau des Lehrangebots in allgemeiner Religionsgeschichte, Einrichtung der neuen Fächer jüdische und isla-mische Theologie, Neugründung von Instituten, Umzug der Fakultät in die Kirchgasse 9 in unmittelbarer Nähe des Großmünsters, also gewissermaßen zurück zu ihrem Ursprung. Auch studentische Aktivitäten finden ihren angemessenen Platz. Da­durch be­kommt man einen guten Eindruck von der Lebenswirklichkeit, intensiviert durch die vielen liebevoll ausgewählten Fotografien, un­ter denen ich allerdings Aufnahmen von dem früheren Domizil im Universitätsgebäude an der Rämistraße vermisst habe.
Auch sonst bringt S. viel Lokalkolorit ins Bild. So behandelt er z. B. den »Straussenhandel«, also die Auseinandersetzungen um die Berufung von D. F. Strauß (1836 bis zum berühmten Züriputsch 1839) und dessen alsbaldige Pensionierung aufgrund der öffentlichen Unruhen, sehr ausführlich gerade hinsichtlich des Geschehens vor Ort (57–68). Vergnüglich zu lesen sind Curiosa wie »Der älteste Privatdozent Europas« Moritz Heidenheim (79–83). Auch die Entdeckung von J. Schultheß, dass ausgerechnet der sittenstrenge Zwingli in jungen Jahren Vater eines unehelichen Kindes geworden war (49 f.), rechne ich dazu.
Freilich bleiben solche Gelegenheiten zum Schmunzeln die Ausnahme. Die Darstellung der Professoren ist recht unterschiedlich und aufs Ganze gesehen nicht sehr ergiebig. S. beschränkt sich dafür zu oft auf magere Karrieredaten. Ein positives Beispiel für eine gute Charakteristik ist das Kapitel über L. Ragaz. Da war viel Anschauliches über die Lebensumstände zu berichten, eher wenig über theoretische Sachprobleme. Das ändert sich, sobald solche Probleme im Zentrum der Arbeit eines Gelehrten stehen. Bedeutende Vertreter ihres Fachs wie E. Brunner (120–124) oder G. Ebeling ( 141–145) werden zwar biographisch ausführlicher behandelt als weniger gewichtige. S. nennt auch ihre wichtigsten Arbeitsthemen. Doch erfährt man kaum etwas über ihre sachliche Position und ihren Ort in der zeitgenössischen Diskussionslage. Etwas besser steht es verständlicherweise bei den Alttestamentlern. Aber auch hier begnügt S. sich mit dem Allernötigsten zu Arbeitsgebieten und Lehrmeinungen. Man vergleiche etwa die knappen Ausführungen über F. Hitzig (47 f.), immerhin eine der »prägendsten Gestalten« der Universität, mit dem viel lebensvolleren Kapitel bei Schultheß-Rettberg (26–34). Dieser vermittelt einem ein anschauliches Bild von dem Menschen und von Art und Grenzen seiner Wirkung auf die Zeitgenossen.
Statt einer ausführlichen Darstellung theologischer Inhalte bietet das Buch unter anderem lange Zitate amtlicher Dokumente zu Berufungsfragen wie zur Wahl Conzelmanns (134–138) oder zur Umwidmung von Ebelings systematisch-theologischem Lehrstuhl in allgemeine Religionsgeschichte (186, fast eine ganze Seite). So etwas wird gewiss fakultätsintern auf Interesse stoßen, aber kaum darüber hinaus.
S. ist darin Recht zu geben, dass eine Fakultätsgeschichte, die lediglich die Lehrenden (und dann womöglich nur die Ordinarien) zum Gegenstand hätte, unzureichend wäre. Eine Fakultät ist eine Institution und muss als solche geschildert werden. Andererseits besteht aber eine Institution ja nicht nur aus ihren Einrichtungen, sondern ist konstituiert durch die Zusammenarbeit der Menschen, die in ihr tätig sind. Und da kommt nun einmal den Lehrenden eine entscheidende Funktion zu. Sie sind nicht einfach Bestandteile ihres Inventars, sondern für ihre Außenwirkung und damit für ihre raison d’être zuständig. Eine eingehende inhaltliche Beschreibung der von den Bedeutendsten unter ihnen vertretenen Positionen samt deren Bezug zum internationalen Kontext ist deshalb unerlässlich. Die vorliegende Darstellung dagegen beschränkt sich zu sehr auf die lokalen Verhältnisse und die Le­bensläufe der behandelten Personen. Sie verrät überdies zu wenig von dem Interesse an den übergreifenden theologischen Sachfragen, das den Entschluss zu ihrer Abfassung geleitet hat. Eine entsprechende Ausweitung des Konzepts hätte freilich eine weit intensivere Lektüre von Werken aus anderen theologischen Fä­chern erfordert und damit S. sehr viel länger als geplant von den Forschungsvorhaben auf seinem eigenen Fachgebiet abgehalten, nicht zuletzt auch den Umfang des Buches erheblich vergrößert. Aber sie wäre allemal der Mühe wert gewesen.
Den Anhang seines Werkes hat S. sorgfältig mit allem ausgestattet, was man für weitere Untersuchungen braucht: mit Listen der Professoren und Privatdozenten, die an der Fakultät gearbeitet haben, der Rektoren aus der Theologischen Fakultät und der Ehrendoktoren, einem Überblick über die Entwicklung der Studierendenzahlen, ausführlichem Literaturverzeichnis, Abbildungsnachweis sowie Namen- und Sachregister.