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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

506–508

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

John, Felix

Titel/Untertitel:

Der Galaterbrief im Kontext historischer Lebenswelten im antiken Kleinasien.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2016. 259 S. m. 20 Abb. = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 264. Geb. EUR 70,00. ISBN 978-3-525-54050-3.

Rezensent:

Stefan Krauter

Der Galaterbrief wurde und wird vielfach als Zeugnis einer theologischen Auseinandersetzung gelesen: Paulus verteidige sein Evangelium, dass Juden wie Nichtjuden allein durch den Christusglauben Glieder der Kirche und Teilhaber an der endzeitlichen Rettung seien, gegenüber einer Position, die von Christen nichtjüdischer Herkunft eine (teilweise) Übernahme jüdischer identitätsstiftender Rituale fordere. In den letzten Jahrzehnten formulierten mehrere Exegetinnen und Exegeten eine Alternative dazu: Der Galaterbrief sei als Brief an die Galater zu lesen, d. h. die im Brief angespro-chene Krise sei auf dem Hintergrund der spezifischen Si­tuation der Gemeinden in Galatien zu erklären.
Felix John nimmt in seinem Buch, einer überarbeiteten Fassung seiner Kieler Dissertation von 2015, das Anliegen auf, den Gala-terbrief von seinen Adressaten her zu lesen, weist aber völlig zu Recht darauf hin, dass das bedeute, die Ergebnisse der althistorischen Kleinasienforschung der letzten Jahrzehnte umfassend und gründlich zu rezipieren. Dieser Aufgabe stellt er sich.
Nach einer kurzen Einführung in die Forschungsgeschichte zum Galaterbrief und in die Problemstellung seines eigenen Vorhabens (11–32) ist darum folgerichtig der längste Teil seines Buches eine zusammenfassende Darstellung der »Grundzüge historischer Lebenswelten im römischen Galatien« (33–132). J. behandelt kurz die Assyrer und Hethiter, dann ausführlich die phrygische Prägung der Region, die Zeit des Hellenismus, die Einwanderung der keltischen Galater und vor allem die römische Provinzialisierung. Dabei li egt der Schwerpunkt weniger auf der politischen Geschichte als vielmehr auf der Sozial-, Kultur- und Religionsgeschichte. Man merkt diesem Abschnitt an, wie gründlich sich J. in die Kleinasienforschung eingearbeitet hat. Allerdings merkt man auch, wie schwierig es ist, ein so breites Forschungsgebiet für exegetische Zwecke zu bündeln: Der Bogen von den Assyrern bis zu den Rö­mern ist doch sehr weit gespannt und teilweise bleibt etwas un­deutlich, was das anspruchsvolle Konzept »Lebenswelt« angesichts der Quellenlage mehr sein soll als die Sammlung möglichst vieler und vielfältiger Informationen. Doch dessen ungeachtet bietet dieser Abschnitt eine solide Grundlage für die Bearbeitung der exegetischen Themen in den folgenden Kapiteln.
Als Erstes widmet sich J. noch einmal der vieldiskutierten und von einigen Forschern schon frustriert verabschiedeten Frage nach der Lokalisierung der galatischen Gemeinden (133–159). J. zeigt überzeugend, dass die südgalatische Lokalisierung (die sogenannte Provinzhypothese) die größere Plausibilität für sich beanspruchen kann. Nur in den Städten im Süden Galatiens fand Paulus eine Infrastruktur vor, die ihm seine Reisen und seine Gemeindegründungen in ähnlicher Weise wie in den anderen von ihm missionierten Gebieten erlaubte, und nur dort konnte er auf Menschen treffen, die ihn auf seine weiteren Reisepläne, insbesondere auf den Plan zur Mission in Spanien, bringen konnten.
Relativ knapp geht J. im nun folgenden Kapitel auf die Entstehung und den Charakter der galatischen Krise ein (161–193): Warum hatten die Christen in Galatien vor, sich beschneiden zu lassen, und in welchem Zusammenhang steht dies mit der Beachtung von bestimmten Festtagen? J. überprüft folgende Forschungsthesen: Die Briefadressaten wollten sich der Pflicht zur Teilnahme am Kaiserkult entziehen, indem sie sozusagen unter das Dach des Judentums schlüpften (B. W. Winter, J. Hardin, mit Modifikationen auch T. Wi­tulski und auch B. Kahl, deren These aber leider nicht berücksichtigt wird); die vorchristliche religiöse Prägung der Adressaten schlug durch, nämlich ihre typisch kleinasiatische Furcht vor den strafenden Göttern (C. E. Arnold) bzw. ihre Nähe zu den Selbstkastrationsriten im Meter-Kult (S. Elliott); die Adressaten seien von den kleinasiatischen Juden zur Beschneidung, d. h. zur Integration in die lokalen Synagogengemeinden, gedrängt worden (C. Breytenbach, M. Nanos). Das Ergebnis der Überprüfung ist in allen Fällen dasselbe und in allen Fällen überzeugend, nämlich negativ. Alle diese Forschungsthesen sind im Lichte einer gründlichen und nicht eklektischen, sondern möglichst breiten Aufarbeitung der historischen Kleinasienforschung mindestens unplausibel, einige abwegig. Letztlich also bestätigt J. die »klassische« Forschungsmeinung, dass Paulus sich in einem theologischen Konflikt mit von außen nach Galatien gekommenen »Gegenmissionaren« befindet. So sehr man dem Ergebnis des Ab­schnittes zustimmen kann, lässt dessen Argumentation an einigen Stellen doch Wünsche offen: Sie ist zu knapp. Zumindest exemplarische Arbeit an Texten (sowohl Abschnitten aus dem Galaterbrief als auch Quellentexten) hätte die Ausführungen untermauert.
Sehr knapp ist leider auch das letzte Kapitel »Die Lebenswelten der galatischen Christusgläubigen« (194–204). Nachdem J. im vorangehenden Abschnitt dargelegt hat, wie man Verbindungen zwischen den Themen des Galaterbriefes und Informationen über Galatien besser nicht herstellt, würde man nun erwarten, dass er zeigt, wie man das sinnvoll tun kann. Das ist aber nicht wirklich der Fall. Zwar reißt er verschiedene interessante Aspekte an, an denen klar wird, wie die Gemeinden einerseits in die galatischen Lebenswelten eingebunden waren, andererseits in einem gewollten Kontrast zu ihrer Umwelt lebten. Das wird aber kaum ausgeführt und bleibt wenig konkret. Soll man daraus schließen, dass eine von der spezifischen Lebenswelt der Adressaten ausgehende Lektüre des Galaterbriefes gar nicht so lohnenswert ist? Oder zeigt sich hier eher, wo zukünftige Exegese ansetzen und weiterarbeiten kann?
Den Abschluss des Buches bildet eine mustergültig klare und präzise Zusammenfassung (205–212). Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein hilfreiches Stellenregister runden das Buch ab.