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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

504–506

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Vries, Pieter de

Titel/Untertitel:

The Kābôd of YHWH in the Old Testament. With Particular Reference to the Book of Ezekiel.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2016. XIV, 440 S. = Studia Semitica Neerlandica, 65. Geb. EUR 186,00. ISBN 978-90-04-30322-5.

Rezensent:

Thomas Wagner

Mit The Kābôd of YHWH in the Old Testament legt Pieter de Vries seine 2010 an der Universität Amsterdam eingereichte Dissertation in einer leicht überarbeiteten und ins Englische übersetzten Fassung vor. Zwischenzeitlich erschien mit Thomas Wagner, Gottes Herrschaft. Bedeutung und Verwendung von kabod im Alten Testament (2012) eine weitere Abhandlung zum Thema. Dies nahm der Vf. zum Anlass, das Profil seiner Darstellung stärker zu konturieren. Der Vf. stellt seine Arbeit als extensive semantische Analyse des Begriffs דובכ sowie seiner wichtigsten Synonyme, zu denen er auch den aramäischen Begriff רקי zählt, vor (29). Sein Werk versteht er als synchrone Studie, in der die Begriffsentwicklung nicht weiter betrachtet wird (30). Dieses Vorhaben setzt er in sechs Kapiteln um. Nach einer Einführung, in der auch der methodische Ansatz erläutert wird, wendet er sich dem semantischen Wert des Begriffs דובכ durch einen Vergleich der in den einschlägigen Wörterbüchern dargebotenen Übersetzungen dar. Dann klassifiziert er die alt-tes­tamentlichen Belegstellen, indem er zunächst unterschiedliche Begriffskonstellationen und anschließend Verwendungsbereiche von Nomen und Verb darstellt (52–117). Im Anschluss an die Forschungen von Weinfeld und Mettinger verwundert es nicht, dass der Vf. den Begriff דובכ aus der königlichen Tradition ableitet. Wiederholt deutet er den Begriff als Hypostase Gottes, ohne jedoch Kriterien für eine solche Bestimmung zu benennen.
Im 4. Kapitel (118–232) befasst der Vf. sich mit allen Belegstellen außerhalb des Buches Ezechiel, die er in literarischer Reihenfolge auf ihren Begriffsgehalt hin befragt. Dies erfolgt schwerpunktmäßig im Pentateuch, im Buch Jesaja sowie in den Psalmen. Dort, wo sich Rückbezüge zu dem in Kapitel 5 (233–348) untersuchten Er­scheinen des göttlichen דובכ zeigen, nimmt er diese auf und verlässt damit sein Vorhaben einer rein synchronen Betrachtung.
Die Analyse des Ezechielbuches stellt den Schwerpunkt seiner Untersuchung dar. Zunächst hält der Vf. fest, dass der דובכ JHWHs nur in den Visionsberichten erwähnt wird, dass die anderen Textbereiche des Buches jedoch auf die Visionen bezogen sind und der Begriff damit tragend für das gesamte Buch ist. דובכ erscheint im Buch Ezechiel als Manifestation göttlicher Gegenwart in Form einer Hypostase. Der Vf. geht von der Existenz eines himmlischen Heiligtums aus, so dass er den דובכ Gottes als zwischen der himmlischen Sphäre und der Erde vermittelnde Emanation versteht. Die Verwendung des untersuchten Begriffs im Ezechielbuch stellt der Vf. im sechsten Kapitel (249–273) schließlich in Relation zum gesamten weiteren Alten Testament. Dabei weist er vier Aspekte aus: 1. דובכ und דבכ Nif’al werden vorzugsweise bezogen auf religiös-sakrale Aspekte verwendet. 2. Wie im Pentateuch so wird auch in Ezechiel der Kosmos als Heiligtum verstanden, in dem der דובכ erscheint. 3. Ezechiel weist mit seiner דובכ-Theologie eine enge Verbindung zur Bundestheologie auf, indem Ezechiel und Mose jeweils in einem engen Verhältnis zum דובכ Gottes stehen. 4. Das Buch Ezechiel zeigt, dass das Erscheinen des göttlichen דובכ mit einer priesterlichen Reinheitstheologie verbunden ist, in dem der דובכ kultische Reinheit bewirkt.
Eine kurze Zusammenfassung aller Ergebnisse (274), mehrere Anhänge mit Wortstatistiken, ein Literatur-, ein Stellen- und Schlagwortverzeichnis schließen das Werk ab.
Im Vergleich zu bereits vorliegenden Studien zum Thema liegt die Fortentwicklung durch diese Abhandlung im Bereich der semantischen Analyse, die jedoch auf biblische Texte beschränkt bleibt. Ostsemitische und nord-westsemitische Parallelen werden nicht bedacht. Eine solche Ausweitung wäre ebenso wünschenswert wie eine tiefergehende Reflexion des methodischen Vorgehens. Der Vf. bezeichnet seinen Ansatz als synchronen; in der Lektüre seines Werkes stellt sich dieser jedoch als a-diachron dar, in dem die Analyse auf eine semantische beschränkt bleibt. In einer synchronen Analyse wäre zu erwarten gewesen, dass der Vf. die Verwendung von דובכ in Relation zum literarischen Entwurf der einzelnen Schrift setzt, um die Bedeutung des Begriffs für das literarische Konzept aufzuzeigen. Dieser Mangel fällt vor allem bei der Analyse des Jesajabuches, der Psalmentexte, aber vor allem des Ezechielbuches auf. Der Vf. konzentriert sich auf eine Deutung einzelner im Text erscheinender Aspekte. Der Text als Ganzes verschwindet hinter der Motivdeutung. Die Querverweise zu weiteren alt-testamentlichen Texten, in denen die Motive erscheinen, führen zu einer Indifferenz in der Darstellung, da die Motivverwendung je­weils synthetisch gedeutet wird. Differenzen in der Verwendung, die oftmals von Textstrategien und Aussageabsichten bestimmt sind, werden nicht hinterfragt.
Nach zwei breit angelegten Studien in kurzer Zeit stellt sich die Frage nach einer möglichen Fortentwicklung des Themas in der Forschung. Die in dieser Studie wiederholt anklingende Differenzierung zwischen Texten, in denen der דובכ als Emanation (Hypos-tase) Gottes zu verstehen ist, und denen, in denen dies nicht der Fall ist, legt nahe, die Texte unter zwei Aspekten zu betrachten: Zum einen ist stärker nach der Ableitung des Begriffs aus einer konstellativen Anthropologie heraus zu fragen, da die in den Texten für דובכ verwendeten Motive als Teile einer solchen interpersonalen Relation erscheinen. D. h. das Thema ist stärker aus der Anthropologie als aus einer religiösen Phänomenologie heraus zu entfalten. Zum anderen ist schriftenspezifisch nach der jeweiligen Textstrategie und der zugrunde liegenden Kosmologie zu fragen. Ihre Fortentwicklung und jeweils spezifische Ausformung führen zu einem differenzierten Verständnis des göttlichen דובכ. Zukünftige Arbeiten zum Thema sollten diese Aspekte auf jeden Fall in den Blick nehmen.