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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

495–500

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Goldingay, John

Titel/Untertitel:

Isaiah 56–66. A Critical and Exegetical Commentary.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2014. XXVIII, 527 S. = International Critical Commentary. Geb. US$ 102,00. ISBN 978-0-567-56962-2.

Rezensent:

Torsten Uhlig

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Goldingay, John: The Theology of the Book of Isaiah. Downers Growe: InterVarsity Press 2014. 158 S. Kart. US$ 20,00. ISBN 978-0-8308-4039-7.


John Goldingay, David Allan Hubbard Professor of Old Testament am Fuller Theological Seminary (Pasadena/Californien), hat bereits viel zur Interpretation des Jesajabuches, zur Hermeneutik und Theologie des Alten Testaments (u. a. dreibändige Theologie) veröffentlicht und legt mit »The Theology of the Book of Isaiah« ein Buch für einen größeren Leserkreis vor. Sein Anliegen, das er in den zwei Hauptteilen darstellt, besteht darin, zunächst die Theologie im Jesajabuch zu beschreiben durch die Wahrnehmung seiner einzelnen Abschnitte und daran anschließend die Theologie nachzuzeichnen, die aus dem Jesajabuch als Ganzem konstruiert werden kann.
Im ersten Teil beschreibt G. die verschiedenen Themen innerhalb der »fünf oder sechs« großen Abschnitte (»five or six collages«, 12), die er »Collagen« nennt – die ursprünglichen kurzen Aussprüche der Propheten, die durchaus kunstvoll aber eigenwillig zusammengestellt sind. Er rechnet einerseits mit fünf Hauptabschnitten (Jes 1–12; 13–27; 28–39; 40–55 und 56–66), andererseits mit einem parallelen Aufbau im Jesajabuch (jeweils gegenüberstehend Jes 1–27/28–66: Jes 1–12, Jes 28–39; Jes 13–23, Jes 40–55; Jes 24–27, Jes 56–66). Damit bietet G. einen durchaus eigenständigen Vorschlag gegenüber dem an der großen Jesajarolle von Qumran orientierten pa-rallelen Aufbau von Jes 1–33/34–66 bzw. der am häufigsten vertretenen groben Aufteilung in Jes 1–39; 40–55; 56–66.
Meist an der Reihenfolge ihres Auftretens orientiert, gibt G. in einer Art Nacherzählung zu jeder »Collage« die darin verhandelten Themen wieder. Lediglich zu Jes 56–66 weicht er entsprechend ihrem konzentrischen Aufbau davon ab (siehe unten zu Kommentar). Zu Beginn oder Ende jedes Abschnittes gibt ein Schema den mehr (so zu Jes 1–12; 13–23+24–27) oder weniger stark (so zu Jes 28–39; 40–55) differenzierten Aufbau jeder Collage wieder. Dabei ge­lingt es G. gut, die unterschiedlichen Themen differenziert darzustellen (so z. B. zu Assyrien in Jes 7–12, zu Babel in Jes 13–23 und Jes 39; zu Hiskia in Jes 28–32 bzw. 36–39; zu den Völkern und Fremden in Jes 56–66, zu den unterschiedlichen »Rollen« Jerusalems etc.) und die je eigenen Schwerpunkte der größeren Abschnitte herauszuarbeiten. Immer wieder nimmt er auf dem Gang durch das Jesajabuch mögliche Vorannahmen der heutigen Leserinnen und Leser, die dem Verstehen der Texte im Wege stehen können, behutsam auf und bringt ihnen gegenüber eine den historischen und literarischen Kontext wahrnehmende Interpretation zur Geltung (so zu »Recht« und »Gerechtigkeit« in Jes 1–5, zu Jes 7,14; 9,1–6 und 11,1–9 oder schlicht im Blick auf die Vorstellung von einem nach heutigen Maßstäben geordneten und verfassten Buches des einen Propheten Jesaja).
Im zweiten Teil seines Buches führt G. die unterschiedlichen Themen unter 13 Überschriften zusammen als der Theologie, die aus dem Jesajabuch hervortritt (»emerges«): Die Themen umfassen: »6. Revelation: Words from Yahweh Mediated Through Human Agents« (Prophetenwort; Verhältnis von Vision und Rede; Figur des prophetischen Gottesknechts); »7. The God of Israel the Holy One, Yahweh Armies« (das zentrale Thema in Jes; diskutiert auch Unterschied zwischen dem Monotheismus in Jes 40–55 und der Philosophie); »8. Holy as Upright and Merciful« (ein besonders starkes Kapitel; da­rin auch das Verhältnis von JHWH zu Recht und Gerechtigkeit); »9. Israel and Judah« (die verschiedenen Referenzen von »Israel«; Verhältnis zum Gottesknecht); »10. Jerusalem and Zion Critiqued and Threatened«; »11. Jerusalem and Zion Chastised and Restored« (die unterschiedlichen Referenzen von »Jerusalem« bzw. »Zion«); »12. The Remains« (versch. Begriffe und der Restgedanke); »13. The Nations« (differenzierte Darstellung der Völker und ihre Ähnlichkeit mit Ergehen Israels in Gericht, Restgedanke und Er­neuerung); »14. The Empires and Their Kings« (wichtige Implikationen für polit. Theologie); »15. Divine Sovereignty and Human Responsibility« (Bemerkungen zu Verstockung als ironisches Mittel; Verhältnis von »Gerechtigkeit wahren« und »Heil empfangen «– siehe dazu unten Kommentar); »16. Divine Planning and Human Planning«; »17. David« (Behandlung der gemeinhin als »messia-nische Prophezeiungen« angesehenen Texte – vor allem Jes 7; 9; 11; 32, aber ohne Jes 16,4b–5; zu kurze Verhältnisbestimmung zum Gottesknecht); »18. Yahweh’s Day« (Eschatologie, Apokalyptik und der Tag des Herrn). Ein zusammenfassender Abschnitt fehlt leider.
Eine große Stärke der Darstellung von G. hat auch einige Grenzen: Durch den nacherzählenden Stil kann er die zentralen Themen des Jesajabuches gut verständlich nachzeichnen. Das ist für interessierte Laien ebenso nachvollziehbar, wie es für die Aufbereitung im Unterricht – besonders im Rahmen von Überblicksveranstaltungen – hilfreich ist und selbst im Anschluss an stark differenzierte Einzelexegesen für die Zusammenfassung als Orientierung dienen kann. Jedoch gerät mit der narrativen Aneinanderreihung der einzelnen Themen aus den Augen, wie die Themen untereinander zusammenhängen.
So findet man z. B. keine Ausführungen, wie sich Kyrus, der Knecht und Zion-Jerusalem in Jes 40–55 zueinander verhalten. Nicht erwähnt werden in diesem Zusammenhang die Züge, die ihnen gemein sind und entsprechend fehlen Ausführungen, wie diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Kyrus, dem Knecht und Zion-Jerusalem zu interpretieren sind. Ebenso müsste eine Klärung des Verhältnisses des angekündigten Königs (Jes 9; 11; 32) zum Gottesknecht über die bloße Erwähnung einer Veränderung des Bildes des davidischen Herrschers in Jes 52,13–53,12 hinausgehen. Außerdem würde man sich wünschen, dass geklärt wird, wie die verschiedenen »Rollen« von Zion bzw. Jerusalem sich zueinander verhalten und mit dem jeweiligen Kontext verbunden sind. Wie verhält sich Jes 56–66 zu 40–55? Was teilen beide Abschnitte, worin unterscheiden sie sich?
Der narrative Stil übergeht auch manche Differenzierungen innerhalb eines Themas einer »Collage«: Im Blick auf das Verstockungsmotiv z. B. versteht G. Jes 6 als Ironie, mit der die Adressaten gerade zu einer Umkehr und Reaktion gereizt werden sollen (ohne auf die Differenzierung zwischen V. 9 und V. 10 einzugehen), um dann zu Jes 42,18–25 schlicht zu bemerken, dass Jesajas Botschaft Verstockung gewirkt hat. Wie aber verhalten sich dann beide Texte zueinander?
Schließlich würde man sich neben der Diskussion einer ganzen Reihe weiterer Themen, die ebenfalls im Rahmen einer Theologie des Jesajabuches besonderes Augenmerk verdienen, vor allem weitere hermeneutische Reflexionen wünschen, und zwar hinsichtlich des eigenen gewählten Ansatzes und hinsichtlich des Verhältnisses von »collagenartigem« Prophetenbuch und dessen Vermittlung in einer theologischen Nacherzählung.
Bei allem Verständnis für den begrenzten Raum wäre das Thema »Recht, Gerechtigkeit, Heil« einen extra Abschnitt wert (die hilfreichen Ausführungen zu Jes 1–12 und unter 8. bieten einen guten Ansatzpunkt). Auch zu »Schöpfung und JHWH als Schöpfer« (nur kurz unter 7. angesprochen), »Jesaja und die Weisheit«, den zusammenhängenden Bereich von »Kommunikation, Erkenntnis und Verstockung« oder der Bedeutung von Lobpreis (bzw. traditionell »Hymnus«) für Aufbau und Theologie des Jesajabuches vermisst man etwas ausführlichere Bemerkungen.
Im Blick auf hermeneutische Voraussetzungen wird in der »Theology« nicht deutlich, welchen Ansatz der Interpretation G. selbst für zielführend hält: Wie verhält sich seine Interpretation zu redaktionskritischen, kanonischen oder rhetorischen Ansätzen? Wie versteht G. das Jesajabuch als Ganzes? Für wen ist es vorrangig geschrieben? Welche Rezeptionsvoraussetzungen sieht er (eher für die wenigen literati oder als Vorleseliteratur in öffentlichen Kontexten)? Worin sieht er die Kontinuität in den Adressaten, wenn er die Datierung so weit und eher vage zwischen 500 und 200 v. Chr. fassen kann?
Besonders aber vermisst man einige Reflexionen darüber, wie sich der collagenhafte Charakter des Jesajabuches und der Modus der nacherzählenden Darstellung in G.s »Theology« zueinander verhalten. Das Wesen der bruchstückhaften, poetischen, teilweise zirkulären und unabgeschlossenen Collagen in Jes ist ja gerade, die Ordnung eines Narrativs zu stören, ihr geradezu zu trotzen. Nach welchen Kriterien bringt G. dann diese Collagen in die Ordnung des von ihm gewählten Narrativs?
Bei all diesen Anfragen muss man es jedoch so dezidiert sagen: Hier schlagen sich Jahrzehnte intensiver wissenschaftlicher (exegetischer, hermeneutischer, theologischer) Beschäftigung mit dem Jesajabuch nieder: kein Thema, das im Jesajabuch anklingt, das G. nicht benennt, keine Differenzierung innerhalb jeglichen Themas, die G. nicht zur Sprache bringt. Wenn man droht, den Wald des Jesajabuches vor lauter Bäumen exegetischer Beobachtungen, Differenzierungen und Pluralität der Ansätze nicht mehr zu sehen, kann man zu diesem Buch zurückkehren und eine Synthese finden, die es so selten gibt. Bei aller Kritik im Einzelnen und dem verständlichen Wunsch, zu einzelnen Themen mehr und weiter Differenziertes zu lesen: Hier begegnet eine ausgereifte Zusammenstellung der Theologie, wie sie aus den »Collagen« im Jesajabuch hervortritt. – Was kann demgegenüber der für die detaillierte, wissenschaftliche Beschäftigung mit Jes 56–66 konzipierte Kommentar leisten?
Die Kommentarreihe »International Critical Commentary« hat im angelsächsischen Sprachraum eine ähnliche Stellung als Standardwerk, wie im deutschen Sprachraum etwa der »Biblische Kommentar. Altes Testament«, wenngleich sie andere Schwerpunkte setzt.
Nach der Einführung (siehe dazu unten) enthält der Kommentar zu jedem Abschnitt eine Übersetzung mit ausführlichen textkritischen Anmerkungen und zum Teil ausführlichen Erläuterungen zur Wortbedeutung und Syntax in den Fußnoten. Diese intensive Berücksichtigung philologischer Aspekte stellt eine der Hauptmerkmale der Kommentarreihe dar und dürfte auch diesen Kommentar zu einem ganz wichtigen Hilfsmittel machen. In der sich daran anschließenden jeweiligen Einführung diskutiert G. die Textabgrenzung, mögliche ursprüngliche kleinere Einheiten und deren Gattung sowie deren Beziehung zueinander, führt gelegentlich poetische Stilmittel (so u. a. zu Jes 56,9–57,21; 58,1–59,8; später kaum noch) auf und zieht Bezüge zu anderen Teilen des Jesajabuches und darüber hinaus (besonders Jeremia und Ezechiel) zu Fragen der möglichen Datierung und vor allem im Blick auf ihre hermeneu-tischen Implikationen heran. Vorschläge anderer zu Segmentation, Datierung, innerbiblischer Bezüge etc. nimmt G. umfangreich wahr, die aktuellen redaktionsgeschichtlichen Arbeiten kennt G. und vermerkt sie auch durchgehend, allerdings geschieht neben den hermeneutischen Abgrenzungen in der Einleitung (siehe unten) eine Diskussion in der Einzelauslegung eher selten.
Dies ist auffällig gerade bei den Diskussionen um ursprünglich selbstständige Einheiten, die den größeren Abschnitten zugrunde liegen. Diesbezüglich legen aktuelle redaktionsgeschichtliche Ar­beiten vielfach einen starken Akzent auf den Nachweis, dass diese nur verständlich sind aus ihrem intertextuellen Bezug zu anderen Stellen im Jesajabuch und darüber hinaus (»innerbiblische Schriftauslegung«). Um der Auslegung der jeweiligen Stelle und um der Plausibilisierung des gewählten Ansatzes willen wäre eine intensivere Auseinandersetzung am konkreten Text wünschenswert.
Zu einigen Abschnitten thematisiert G. das besonders vieldiskutierte Verhältnis zu Jes 40–55 und wendet sich darin häufig ge­gen eine direkte Verwendung der ursprünglichen Stelle und favorisiert eher ein assoziatives Anknüpfen an einzelne Formulierungen und Zeilen (so z. B. 249 zu Jes 60, wo G. neun Bezugnahmen zu Texten in Jes 40–55 auflistet, sich aber gegen ein Zitieren oder Ak­tualisieren wendet!).
Auf die Einführung folgt jeweils eine detaillierte Vers-für-Vers-Exegese. Hier diskutiert G. die Bedeutung von Wörtern unter Einbezug ihrer weiteren Vorkommen, nimmt ausführlich die poetischen Charakteristika vor allem auf Versebene wahr, und bezieht auch Überlegungen zur Rhetorik mit ein. Dabei führt G. zu den einzelnen Abschnitten auch neueste Sekundärliteratur mit an, während es im gesamten Aufbau und Ansatz des Kommentars wohl nicht möglich war, diese durchgängig zu berücksichtigen (so z. B. J. Stromberg, Oxford 2011; auffallend ist freilich das völlige Fehlen der wertvollen Arbeit von Judith Gärtner, WMANT 114). Die gründliche Exegese auf Versebene und Wahrnehmung der Beziehungen zu anderen Texten im Jesajabuch und darüber hinaus mündet in ein Fazit zum jeweiligen Abschnitt, das diesen zusammenfasst und gelegentlich mit weiteren theologischen Themen und theologischen Interpretationen (häufig Kirchenväter) ins Gespräch bringt.
Im Rahmen des begrenzten Raumes dieser Doppelrezension kann hier nur paradigmatisch auf zwei markante Beispiele eingegangen werden: G. arbeitet die für Jes 56–66 insgesamt (wie Jes überhaupt!) zentrale Rolle von Jes 56,1 heraus, der den Duktus von Jes 1–39 (Recht bewahren) und Jes 40–55 (Heil Gottes erfahren) zusammenfasst und in unauflösbarer Ambivalenz behält, was G. an verschiedenen Stellen immer wieder betont (siehe auch unten zur Einleitung) und hat eine Stärke darin, dass er die komplexen, spannungsvollen Aspekte in Jes 56–66 zusammenhält und theologisch gewichtig auswertet.
Die von vielen ebenso vertretene Ansicht eines chiastischen/ konzentrischen Aufbaus von Jes 56–66 verstellt an einigen Stellen eher den Blick auf die einzelnen Abschnitte, als dass es deren Verständnis erhellt. So problematisiert G. im Blick auf Jes 59,9–15a die für ein wirkliches Schuldbekenntnis fehlende Bitte um Vergebung (wie es in Psalm 51 konstitutiv ist). Dies kann jedoch nur verwundern, wenn man Jes 59,9–15a wegen der (angeblichen) Konzentrik in Entsprechung zu Jes 63,7–64,11 isoliert liest. Nimmt man deren Funktion innerhalb von Jes 58,1–59,21 wahr (beachte die Klammer Jes 58,1 – Jes 59,21), zeigt sich, dass in der Vergebungsbitte nicht das vorrangige Ziel von Jes 59,9–15a liegt. Nach Jes 58,1 soll der Prophet seinem Volk seine Übertretungen bekannt machen, was mit dem zur Verfügung gestellten Gebet in dem markanten Wechsel zur 1. P.Pl. in den Versen 10 und 12 zum Abschluss kommt. Diese engen terminologischen Berührungen entgehen G. zum großen Teil. Hier hat offensichtlich der Sys­temzwang des konzentrischen Aufbaus die Wahrnehmung der jeweiligen Perikope beeinträchtigt.
Dürfte sich der Kommentar allein schon mit der ausführlichen philologischen Arbeit, der gründlichen Vers-für-Vers-Exegese un­ter Einbeziehung aktueller und sehr umfangreicher Sekundärliteratur und der Diskussion vielfältigster Bezüge zu anderen Teilen des Jesajabuches als neues Standardwerk (neben den großen Kommentaren von Willem Beuken und Jan Koole) für die Auslegung von Jes 56–66 etablieren, so ist es doch die Einleitung zum Kommentar mit ihren vielfältigen Anfragen, die für alle zukünftige Arbeit an Jes 56–66 besondere Herausforderungen stellt sowie für die Leser seiner »Theology of the Book of Isaiah« so manche hermeneutischen und exegetischen Grundlagen transparenter macht:
In der Einführung zum Kommentar gibt G. eher kurz seine Grundannahmen bezüglich der Kapitel 56–66 wieder und stellt sie in den Kontext einer verschiedene Ansätze diskutierenden hermeneutischen Grundlegung (59 Seiten): Für G. sind die Kapitel 56–66 auf dem Hintergrund des Falls von Babylon und der sich daran anschließenden persischen Oberherrschaft zu verstehen, wobei eine genauere Datierung nicht möglich ist. Ebenso hält er es für möglich, dass Jes 56–66 sukzessive entstanden sind, doch lassen sich diese Entstehungsphasen am Text selbst nicht mehr nachweisen. Anders als Jes 40–55 (linear) ist Jes 56–66 konzentrisch aufgebaut (Jes 60–62 als Zentrum, sich jeweils entsprechend: 1. Ring: Jes 59,15b–20(21), Jes 63,1–6; zweiter Ring: Jes 59,9–15a, Jes 63,7–64,11; dritter Ring: Jes 56,9–59,8, Jes 65,1–66,17 sowie als Rahmen: Jes 56,1–8, Jes 66,18–24). Diese Kapitel haben für G. nie für sich bestanden, sondern setzen Jes 1–55 voraus, wobei sie – paradigmatisch eingeleitet durch Jes 56,1 – die Ambiguität von Forderung nach Gerechtigkeit (wie Jes 1–39) und Zuspruch des Heils Gottes (wie Jes 40–55) wahren. Dieser Wahrung von Ambiguität dient auch der konzentrische Aufbau (im Zentrum Jes 60–62: Zuspruch des Heils; um dieses herum korrelierend: die Forderung nach Gerechtigkeit). Diese Grundannahmen versucht G. unter 6 Überschriften gegenüber verschiedenen Hauptströmungen der Exegese von Jes 56–66 zu bewähren, wobei für den deutschsprachigen Raum vor allem der 1. und 4. Ab­schnitt von besonderer Bedeutung und Kontroverse sein dürfte.
Unter »1. A Redaction-historical Reading« stellt G. seine Grundannahmen in Bezug auf Datierung, Autorschaft und Entstehungsprozess dar und grenzt sich vom redaktionsgeschichtlichen Ansatz ab, weil der Text die Anhaltspunkte für mögliche Wachstumsstufen verbirgt und aus dessen Verweis auf unterschiedliche Autoren oft lediglich die Rekonstruktion einer »Reihe von flachen Positionen« resultiert gegenüber seinem Anliegen, Spannungen zusammen zu lesen. Unter »2. A Sociological Reading« bestimmt er die möglichen Adressaten und verweist auf die Spannungen, denen sich diese ausgesetzt sahen. Hier wendet sich G. gegen verschiedene soziologische Interpretationen dieser Spannungen, lehnt u. a. Blenkinsopps Charakterisierung der Adressaten als »Sekte« ab und widerlegt dann anhand einzelner Texte emphatisch und besonders ausführlich Paul D. Hansons These von der sich in Jes 56–66 zeigenden Spaltung der nachexilischen Gemeinde (Ez 40–48 vs. Jes 56–66). Unter »3. A Textual Reading« wertet G. die theologischen Implikationen des chiastischen Aufbaus von Jes 56–66 aus und grenzt sich dann fair aber dezidiert vom kanonischen Ansatz (B. Childs, C. Seitz), redaktionskritischen Ansätzen (anhand von Westermann, P. Smith und J. Blenkinsopp), Forderungen nach einer theologischen Auslegung und andeutungsweise (»reading with the grain« statt »against the grain«) gegen postmoderne Lesarten ab. Besonders den Abschnitt »4. A Poetic Reading« sollte man unbedingt durchgearbeitet haben. Neben theologischen Konsequenzen der poetischen Sprache von Jes 56–66 sowie Ausführungen zur Bedeutung der pa-rallelen Ausdrucksweise (binäre Aspekte machen Kommunikation komplexer theologischer Sachverhalte möglich) bieten die Reflexio­nen über metaphorische Sprache (ermöglicht Herstellen von Beziehungen, wie die zwischen Unheil und Heil in Jes 60) und Mehrdeutigkeit (so etwa hinsichtlich Jes 60,1–3 und Jes 57) substantielle hermeneutische Erklärungen dafür, wenn G. in der Auslegung vieler Passagen sich gegen eine Vereindeutigung wendet (wie es z. B. der Versuch historischer Rekonstruktion beabsichtigt). Neben den vielen Abgrenzungen hebt G. unter »5. A Postcolonial Reading« positiv den wichtigen Beitrag postkolonialer Interpretationsan-sätze hervor (Jes 56–66 als »resistance literature«; darin Problemati-sierung der inzwischen gängigen Übernahme der persischen [!] Be­zeichnung »Jehud« in der Forschung). Im abschließenden Ab­schnitt »6. An Isaianic Reading« skizziert G. sein Verständnis von Jes 56–66 mit markanten Abweichungen zu seiner »Theology« (nicht der »Heilige Israels«, sondern das Ergehen Zion-Jerusalems als Hauptthema, das er dann auch unter expliziten Verweisen auf die historischen Referenzen auf das 8. Jh. v. Chr. [Jes 1–39], die Zeit kurz vor [Jes 40–55] und nach dem Fall Babylons [Jes 56–66] nachzeichnet).
Für Jes 56–66 dürfte damit ein neuer Standardkommentar vorliegen, der sich freilich mit äußerst bedenkenswerten hermeneutischen Überlegungen gegen manche Mehrheitsmeinung wendet, durch solide Exegese das Verstehen der einzelnen Verse von Jes 56–66 erschließt und sie in ihren Beziehungen zu dem gesamten Jesajabuch diskutiert. Dabei nimmt er intensiv und äußerst umfangreich die Flut an Sekundärliteratur wahr, enthält jedoch im Blick auf das Zusammenspiel der Abschnitte untereinander einige Lü-cken bzw. Entscheidungen, die man auch anders vollziehen kann. Dass Register (in der Reihe ICC) gänzlich fehlen, ist jedoch mehr als ein Wermutstropfen.
Mit beiden Büchern bereichert G. die Interpretationsgemeinschaft zum Jesajabuch enorm, und sie verdienen auch im deutschsprachigen Raum die intensive Auseinandersetzung.