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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

483–484

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kumpmann, Christina

Titel/Untertitel:

Schöpfen, Schlagen, Schützen. Eine semantische, thematische und theologische Untersuchung des Handelns Gottes in den Psalmen.

Verlag:

Göttingen: Bonn University Press bei V & R unipress 2016. 446 S. m. 4 Abb. = Bonner Biblische Beiträge, 177. Geb. EUR 70,00. ISBN 978-3-8471-0530-5.

Rezensent:

Beat Weber

Mit der vorzustellenden, für die Publikation leicht überarbeiteten Dissertation wurde Christina Kumpmann an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn promoviert (Erstgutachter: Ulrich Berges). Gegenüber den in der Psalmen- und Psalterforschung üblichen redaktionsgeschichtlichen und kom­positions-kritischen Zugangsweisen wählt die Vfn. einen thema­tisch-theologischen Ansatz: Gottes Handeln wird erarbeitet und dargestellt. Das Buch der Psalmen wird dabei wird aufgrund seiner Exemplarität innerhalb des Alten Testaments als Untersuchungsgröße ausgewählt.
Der Anstoß zur Thematik ging vom oft gehörten Vorwurf des »gewalttätigen« Gottes des Alten Testaments aus. Entsprechend führt die Vfn. eine Analyse des Gottesbildes (beschränkt auf die Psalmen) anhand der mit Gott (JHWH) als Subjekt verbundenen Verben und Partizipien durch (ausgespart bleiben u. a. passive Formen, Nominalsätze, Titel). Methodisch getragen wird die breit angelegte Studie von Wort- bzw. Verbstudien. Angezielt sind Ge­samtaussagen; der jeweilige Psalmkontext wird nicht bedacht. Ausgehend von der wortgetreuen Elberfelder-Bibelübersetzung, überprüft am MT, kommt die Vfn. zu folgendem Befund: Es liegen in den biblischen Psalmen 1703 Belege von finiten Verben (und 64 Infinitiven) von 375 verschiedenen Verbalwurzeln sowie 203 Partizipien von 102 Verbalwurzeln vor, bei denen Gott als Subjekt erscheint. Damit wird durchschnittlich in zwei von drei Psalmversen – nämlich 1767 Handlungen (rund 500 im Modus der Aufforderung) bei 2527 Psalmversen – eine Handlung Gottes genannt. Am häufigsten sind Belege von ןתנ »geben« (66-mal), השׂע »tun« (41-mal – zudem das häufigste Partizip mit Gott als Subjekt), בושׁ »umkehren« (38-mal), weiter von Begriffen für »Retten« (עשׁי 43-mal, לצנ 37-mal) sowie »(Zu-)Hören, Antworten« (עמשׁ 42-mal, הנע I 36-mal).
Auswertung und Darstellung des Befunds erfolgen unter zehn Leitkategorien: 1. Handeln, 2. Schöpfen (gemeint ist das Erschaffen der Welt [sic!]), 3. König sein/herrschen (mit Abschnitten zu Theophanie und Chaoskampf), 4. Gewalttätig sein, 5. Retten (und Kontraste dazu: vertreiben, zerstreuen, verstoßen, auch: schützen und einengen), 6. Richten (inkl. prüfen, vergelten, vergeben, Gerechtigkeit), 7. Leiten (inkl. lehren), 8. Stellung zuweisen (u. a. mit Ehre/ Schande, erwählen), 9. Kommunizieren (wahrnehmen, sprechen, gedenken/vergessen, zuwenden), 10. Emotionen zeigen (u. a. zürnen, sich reuen lassen, erbarmen, gnädig sein, lieben, hassen). Für die Einzelheiten ist angesichts der Fülle der Belege und Ausführungen auf die jeweiligen Abschnitte selbst zu verweisen. Exemplarisch sei hier nur kurz auf das 4. Kapitel »Gewalttätig sein« (147– 189) hingewiesen. Nach Hinweisen zur Aktualität sowie Be-griffsklärungen (u. a. Differenzierung zw. potestas und violentia) konzentriert sich die Vfn. auf Gottes physische Gewalttätigkeit. Stichworte sind u. a. zurüsten, kämpfen, ausrotten/vernichten, (zer-)schlagen, nieder-, zerreißen, verschlingen (Gott als Raubtier), verbrennen. Auch gegenläufige Gotteshandlungen wie heilen und Frieden schaffen werden angeführt. Objekte der Gewalt sind in erster Linie die (in den Psalmen omnipräsenten) Feinde des Beters. Diesen Feinden kommt nicht selten ein generalisierendes und typisierendes Moment zu; im Gegenzug fehlt (anders als heute) eine »abstrakte« Behandlung von Bösem und Gewalt. Auch der/die Beter und sein Volk sind von Gottes Gewalthandlungen betroffen, zugleich »profitieren« sie (Rettung, Schutz) von Gottes Handeln gegenüber den Feinden. Die Vfn. bilanziert, »dass Gott sich persönlich, aktiv (also individuell) gewalttätig gegen individuelle Gewalttäter wendet, nicht gegen strukturelle Gewalt. Er zerstört nicht Gewalt, sondern Gewalttäter, nicht die Ungerechtigkeit/ Lüge/Gottlosigkeit etc. sondern den Ungerechten/Lügner/Gottlosen etc.« (187)
Das Schlusskapitel »Mit Gott um sein Handeln ringen« bietet nicht nur eine Bilanzierung des Ertrags, sondern greift auch Besonderheiten und Entdeckungen heraus, die der Vfn. im Zuge der Untersuchung aufgegangen sind. Aus der (für die heutigen Leser ungewohnten) Konkretheit der Gewalthandlungen Gottes ist in der Neuverwendung der Gebetstexte »daran festzuhalten, dass lebensbedrohende Mechanismen nicht von sich aus wirken, sondern dass sie immer von handelnden Menschen ausgelöst und gestützt werden. Die Formulierung der Psalmen widersteht der Versuchung, durch Abstrahierung Verantwortung abzuweisen« (445).
Dieser Band verdient aufgrund seines bibeltheologisch breiten und wichtigen Inhalts über den alttestamentlichen Fachbereich hinaus wahrgenommen und verwendet zu werden. Aufgrund der begrifflich-thematischen Erarbeitung biblischen Gotteshandelns vermag er Brücken zu andern Fachdisziplinien zu bauen und zudem Dienste in kirchliche, schulische und gesellschaftliche Bereiche hinein zu leisten. Die Fülle von Belegen und Beobach-tungen ist eindrücklich und vermittelt teils neue, überraschende Sichtweisen. Ist der Psalter auch eine »Kleine Biblia« (Luther), wird man sich gleichwohl hüten (das tut die Vfn. auch), den Ertrag 1:1 ins Alte Testament zu übertragen. Dass in diesem so kommunikativen Buch, das aus (sehr oft an Gott adressierten) Reden besteht, die Kapitel 9, aber auch 5, 8 und 10 besonderes Gewicht haben, ist leicht ersichtlich. Ist der Vfn. für diese Theologie der Psalmen zu danken, so sind über unterschiedliche Einschätzungen zu einzelnen Stellen hinaus einige Mängel im methodischen und didaktischen Bereich zu erwähnen.
Dass – gerade bei hochpoetischen Texten wie den Psalmen – ein semantisch-thematischer Zugang ohne das sorgfältige Bedenken der jeweiligen Kontexte ein heikles und wissenschaftlich riskantes Unternehmen ist, weiß die Vfn. selbst. Redundanzen aufgrund von Themenüberschneidungen könnten reduziert werden (Beispiel: Gottes Königsein äußert sich wesentlich in den Handlungen, welche die nachfolgenden Kapitel separat ausführen). Über formale und stilistische Ungereimtheiten (»Schöpfen« für [Er-]Schaffen, teils unsorgfältige Bibliographierung und fehlende Einträge im Literaturverzeichnis, vgl. etwa Anm. 830) hinaus richtet sich meine Kritik insbesondere gegen den Umstand, dass eine klassifizierende Listung aller Belege fehlt (ebenso ein Stellenregister). Damit ist nicht nur die Nachprüfbarkeit der Ergebnisse kaum möglich, sondern auch die Nutzbarkeit ist deutlich beeinträchtigt. Eine Spezialkonkordanz zum Handeln Gottes mit durchnummerierten Belegen wäre dem Band als Nachschlagewerk förderlich gewe-sen.
Ungeachtet dieser Anmerkungen sei der Vfn. für ihre fleißige und verdienstvolle Arbeit gedankt und dem Werk eine gute Aufnahme gewünscht.