Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

481–483

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kremser, Konrad

Titel/Untertitel:

Augustins Auslegung des Psalms 131 (130) im Horizont neuzeitlicher Bibelwissenschaft.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2015. 142 S. = Stuttgarter Bibelstudien, 234. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-460-03344-3.

Rezensent:

Clemens Weidmann

Dieser Band der Stuttgarter Bibelstudien ist aus einer von Ludger Schwienhorst-Schönberger betreuten Diplomarbeit an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien hervorgegangen (http://othes.univie.ac.at/19700/). Konrad Kremser, der heute als Kaplan in Wien wirkt, stellt sich die Aufgabe, Augustins Enarratio in Psalmum 130 mit modernen Auslegungen in Hinblick auf deren unterschiedliche Zugänge und Schwerpunktsetzungen zu vergleichen.
Augustins Erklärung des 131. (130.) Psalms ist im Kontext der Enarrationes in Psalmos in zweierlei Hinsicht ungewöhnlich: Einerseits ist sie sehr reich an Abschweifungen, in denen mehrmals der syntaktische Faden unterbrochen wird, ein klares Indiz für den oralen Charakter des Texts; andererseits findet sich – abgesehen vom Speculum – in keinem anderen Werk Augustins ein Zitat dieses Psalms, ein Zeichen für die exegetischen Schwierigkeiten, die dieser Psalm dem Bischof von Hippo bereitete.
Das Buch ist in sieben Abschnitte gegliedert: Im ersten (A) informiert K. über die Entstehungsgeschichte der Enarrationes in Psalmos und der Predigt auf Psalm 131 (130). Eine synoptische Darstellung der hebräischen, griechischen und der variantenreichen la-teinischen Fassungen sowie moderner Übersetzungen aus dem He­bräischen veranschaulicht die unterschiedliche Ausgangslage der Erklärer.
Den umfangreichen zweiten Abschnitt (B) nehmen Text und Übersetzung von Augustins Enarratio in Psalmum 130 ein. Grundlage ist der abgesehen von einigen Druckfehlern unverändert übernommene kritische Text von Franco Gori (CSEL 95/3, Wien 2001), dem synoptisch in einer zweiten Spalte eine gut lesbare, im Allgemeinen sehr zuverlässige, aber doch bisweilen fehlerhafte deutsche Übersetzung zur Seite gestellt wird. Jedem Kapitel des Augustinustexts folgt eine knappe Zusammenfassung dessen Inhalts.
Nach einer allgemeinen Gegenüberstellung neuzeitlicher Bibelwissenschaft und patristischer Schriftauslegung (Abschnitt C) präsentiert K. Beispiele für moderne Auslegungen des Psalms (Abschnitt D), deren Spektrum von historisch-kritischen Interpretationen des 19. Jh.s (Delitzsch, Gunkel) über Deutungen als Text der Volksfrömmigkeit (Quell, Seybold) bis hin zur Interpretation als weisheitlicher Text (Beyerlin, Zenger) reicht, und stellt die Charakteristika der verschiedenen Auslegungen sowie die exegetischen Schwerpunkte (»leitende Fragen« und »kritische Anfragen«) moderner (Abschnitt E) und patristischer Deutung (Abschnitt F) einander gegenüber. Er ge­langt so zur abschließenden, wohl etwas anachronistischen Frage, ob Augustins Erklärung als wissenschaftliche Schriftauslegung gelten kann (Abschnitt G). Die Antwort lautet, dass ihm »viele Fragestellungen und Methoden der modernen wissenschaftlichen Exegese durchaus bekannt waren« (133). Wenn er Augustins Erklärung wegen der nicht namentlichen Nennung einer benutzten Quelle die Wissenschaftlichkeit abspricht (zu § 12 f. und S. 121), tut er ihr aber insofern Unrecht, als diese dem Genus Predigt angehört und als pastoraler Text Wissenschaftlichkeit gar nicht beansprucht. Als gemeinsames Motiv aller Interpretationen wird die Demut, als wesentlichste Un­terscheidungsmerkmale der augustinischen Exegese werden das Sprechen über Gott, die figurative Deutung sowie das Fehlen eines historisch-kritischen Zugangs benannt, die die Entstehungsgeschichte der biblischen Texte völlig außer Acht lässt.
Im Detail finden sich – bedingt durch Unkenntnis neuerer Literatur – einige Mängel. So geht der Versuch, die Perikope um Mt 22,23 als Tagesevangelium zu reklamieren, ins Leere (34 und 113); ein Blick in die Untersuchung der augustinischen Perikopen durch Michael Margoni-Kögler, der mit soliderer Argumentation (538–540) Phil 3,12–15 und Mt 21,12–17 als Lesungen wahrscheinlich macht, hätte ihn vor diesem Irrweg bewahrt.
Weiter stößt man auf die eine oder andere sachliche Ungenauigkeit, die oft den Eindruck erwecken, dass die Quellen missverstanden wurden oder nicht kritisch hinterfragt wurden. Zwei chronologische Fehler, die Datierung des Indiculum auf das Todesjahr Augus­tins (13) und die des donatistischen Schismas auf 393 (110), das Jahr, in dem das maximianistische Schisma entstand, gehen wohl auf falsche Synchronismen zurück. Warum die in dieser Predigt eher allgemein vorgestellten Häretiker und deren Ausschluss aus der katholischen Kirche einen »deutlichen Hinweis« auf die Donatisten bieten sollen (110), ist kaum nachzuvollziehen, zumal sie allgemein We­senszüge arianischer Christologie (§11 und 13) tragen, die in übertriebener Neugier die göttliche Ordnung übertreten.
Trotz einiger derartiger Mängel bietet das verdienstvolle Buch einen wichtigen Beitrag zu dem viel zu wenig untersuchten Spannungsfeld zwischen spätantiker und moderner Bibelexegese.