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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

479–481

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schwenke, Heiner

Titel/Untertitel:

Transzendente Begegnungen. Phänomenologie und Metakritik.

Verlag:

Basel: Schwabe Verlag 2014. 318 S. m Abb. = Schwabe Mystica, 1. Geb. EUR 59,00. ISBN 978-3-7965-3259-7.

Rezensent:

Johannes Soukup

Nach einer kurzen Einleitung entfaltet Heiner Schwenke etwa in der einen Hälfte des Buches die Phänomenologie der transzendenten Begegnungen und in der anderen seine zugehörige Metakritik. Er beschreibt sehr viele transzendente Begegnungen mit detaillierten Literaturangaben; neutral, praktisch ohne eigenen Kommentar, unaufdringlich und vor allem nicht reißerisch. Da Intersubjektivität auf diesem sensiblen Gebiet kaum erreichbar ist, muss sich der Leser ohnehin ein eigenes Urteil bilden; bei mir fällt das eindeutig positiv aus; die Recherchen von S. wirken auf mich seriös. Vielleicht sollten wir auch im Hinterkopf haben, dass in den 1980er Jahren immerhin 25 % der Westeuropäer, 41 % der Amerikaner und 40 % der chinesischen Studenten die Frage, ob sie jemals das Gefühl hatten, in Kontakt mit einem Verstorbenen zu stehen, positiv beantworteten.
Nichtsdestotrotz war für mich der theoretische Teil mit seinen verschiedenen Versuchen, transzendente Begegnungen entweder zu erklären oder ihre angebliche Unmöglichkeit – aus exakt-wissenschaftlichen bzw. religiösen Gründen – aufzuweisen, der spannendere. Eine Einführung in die Begrifflichkeit der Thematik hilft Ihnen wahrscheinlich mehr als die Aufzählung spektakulärer Beispiele – die Sie dann glauben oder auch nicht – und dürfte zudem im Sinne von S. sein, dem es um Wissenschaft geht.
Unter Begegnung versteht S. »eine wechselseitige, bewusst erlebte und unmittelbare Verbindung zweier oder mehrerer Personen« (20). Es geht ihm also weder um Sinneswahrnehmungen noch um ir­gendwelche Mitteilungen oder Erscheinungen, sondern einzig und allein um den direkten Kontakt zwischen zwei (oder mehr) Bewusstseinen, und was dafür erforderlich ist.
Die Träger des Bewusstseins sind, einem üblichen Sprachgebrauch folgend, Personen, so dass wir auch von ausschließlich personalen Begegnungen sprechen können und dem Begegnungsbegriff von Martin Buber sehr nahe kommen, wie er ihn in »Ich und Du« entwickelt: »… keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie stehe zwischen ihnen.« »Nur wo alles Mittel zerfallen ist, geschieht Begegnung.« Transzendente Begegnungen schließlich »sind Begegnungen mit einer Person aus einer anderen Welt oder Sphäre, wie verstorbene Menschen, […] Tiere, Engel oder Naturgeis­ter« (21).
Um das Buch gewinnbringend lesen und den transzendenten Begegnungen offen gegenüberstehen zu können, brauchen wir uns nur des Folgenden bewusst zu sein: Einen unmittelbaren Zugang besitzen wir nur zum eigenen Bewusstsein. Trotz Gehirnchirurgie, Neurologie, Computertomographie, Lügendetektor usw. können nur wir selbst sagen, was sich in unserem Bewusstsein abspielt; es ist an die erste Person Singular gebunden. Aber wir haben nicht nur zu anderen Bewusstseinen keinen Zugang – oder besser: wenn wir ihn haben, ist es kein anderes (!) –, sondern auch nicht zu einer sogenannten objektiven Realität, die sich angeblich außerhalb aller Bewusstseine befindet und wozu insbesondere das Gehirn gehören soll.
Damit kann es prinzipiell weder eine exakte Wissenschaft vom Bewusstsein noch die dementsprechenden Erkenntnisse von ihm geben. Nicht zuletzt die heute sehr weit verbreitete Ansicht, das Bewusstsein müsse vom Gehirn produziert sein, stellt eine pure Voreingenommenheit schlechter Metaphysik dar und hat aber auch gar nichts mit Wissenschaft oder gar empirischer Wissenschaft zu tun. Das bedeutet jedoch, dass sich nicht allein die transzendenten Begegnungen, sondern ausnahmslos alle ebenso wie die Personen dem Zugriff der exakten Wissenschaft entziehen – weil dies das Bewusstsein tut. Entsprechendes gilt sogar für die Erklärungsversuche: In unserem heutigen Weltbild bleiben nicht nur die trans-zendenten Begegnungen, sondern wiederum ausnahmslos alle un­verständlich. Versuchen wir, uns diesen Punkt noch im Sinne von S. zu verdeutlichen.
Unbestreitbar scheint mir, dass zu uns Personen ein Innen ge­hört. Alle unsere Empfindungen und Vorstellungen gehören beispielsweise hinein; auch die Hörungen. Dieses Wort klingt zwar eigenartig, ist aber analog zu den Empfindungen sowie Vorstellungen gebildet und muss auch so verstanden werden: Vollkommen unabhängig davon, ob es ein Gehörtes gibt oder nicht, befinden sich die Hörungen innen. Das ist bei den Sehungen anders; sie stehen uns immer gegenüber und befinden sich somit stets im Raum; das ist die übliche Bedeutung von »außen«. Wir sehen nicht z. B. den Baum dort, sondern sehen dort – z. B. den Baum.
Nun kommt – nach der Überzeugung von S. und meiner eigenen – ein entscheidender Fehler in unserem Weltbild: Wir identifizieren unser Bewusstsein mit dem eigenen Innen und übersehen dabei, dass zum Beispiel unsere Sehungen zwar dem Außen angehören, sich aber dennoch im Bewusstsein befinden – andernfalls wären es keine Sehungen, und wir wüssten nichts von ihnen. Dieser Fehler hat fatale Konsequenzen – nicht nur für unsere Begegnungen:
Wir kennen die Körper im Wesentlichen durch unsere Sehungen, so dass sie sich außen befinden oder dem Raum angehören; unsere Welt ist eine der Augen und keine der Ohren. Identifizieren wir nun das Bewusstsein mit dem Innen, so muss es sich im eigenen Körper befinden. Selbst für »ganz normale« immanente Begegnungen mit einem anderen Bewusstsein müssten wir also zwei Körperhüllen durchqueren, so dass sie in unserem Weltbild un­möglich werden.
Die Sehungen befinden sich zwar außen oder im Raum; aber dennoch gehören sie wie alles andere, was uns gegeben ist, in das Bewusstsein hinein. Nicht das Innen – wie wir traditionell dachten –, sondern die Einheit von Innen und Außen bildet unser Bewusstsein. Befindet sich der Körper aber nicht mehr außen, besteht nicht nur kein Grund, sondern wäre es sogar falsch, das Bewusstsein darin lokalisieren zu wollen: Das Bewusstsein als die Gesamtheit des uns Gegebenen kann nur das Ganze sein; alles uns Zugängliche, wozu auch unser Körper mit seinem Gehirn gehört.
Nach unserer Korrektur am traditionellen abendländischen Weltbild werden nun immanente Begegnungen denk- oder vorstellbar, weil es kein Gefäß (mehr) geben kann, in dem die Bewusstseine »eingesperrt« sind. – Aber wieso eigentlich nur immanente Begegnungen? Was unterscheidet denn die transzendenten von den im­manenten?
Der Träger des Bewusstseins, Hermann Schmitz’ »Bewußthaber«, kommt in beiden Fällen überhaupt nicht vor. Ich spreche die gesamte Zeit nur von meinem Bewusstsein; wovon sollte ich auch sonst sprechen (können)? Aber worauf bezieht sich dieses »meinem«? Sein Referent muss sich notwendigerweise außerhalb des Bewusstseins befinden, um nicht dem Baron Münchhausen zu entsprechen. Was sich außerhalb des Bewusstseins befindet, können wir aber nicht wissen, und da zum Wissen stets ein Unterscheiden gehört, das »einen Unterschied macht« (Gregory Bateson), ist es sinnleer, diesen Bewussthaber von jenem unterscheiden zu wollen. Es spielt keine Rolle, ob wir »Mensch«, »Tier«, »Engel« oder »Naturgeister« sagen, denn das sind nur leere Worte für unsagbare Personen.
Nur unmittelbar am Bewusstsein selbst – und nicht mittelbar an seinem angeblichen Träger – erkennen wir, ob es sich um eine im­manente oder transzendente Begegnung handelt, indem wir beispielsweise das Bewusstsein eines geliebten Verstorbenen – auch ohne »ihn« – als »sein« Bewusstsein identifizieren. Nicht weil wir doch Zugang zu Letzterem gefunden haben, sondern weil es partiell mit dem eigenen Bewusstsein übereinstimmt oder ein Teil von dem unsrigen geworden ist.