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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

473–475

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bauschke, Martin

Titel/Untertitel:

Der Freund Gottes. Abraham im Islam.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2014. VIII, 200 S. Geb. EUR 29,95. ISBN 978-3-534-26416-2.

Rezensent:

Hannelies Koloska

Martin Bauschke hat sich mit dem Buch zum Ziel gesetzt, die Figur Abrahams, wie sie im Koran erscheint und wie sie sich in der islamischen Tradition entwickelt, religionshistorisch und religionsvergleichend zu beleuchten. Er möchte dem Leser zeigen, auf welche Art und Weise der Koran eine »spätantike arabische Fortschreibung der antiken jüdischen Abrahamsgeschichten« ist. Des Weiteren ist es B.s Anliegen, die Spiegelbildlichkeit Abrahams als alter ego Muh.ammads zu beleuchten. Besondere Betonung legt B. zudem auf die Schwierigkeiten, die mit der Figur Abrahams als Identifikationsfigur in den verschiedenen monotheistischen Traditionen verbunden sind. Den größten Raum nimmt der Abschnitt »Abraham im Koran« ein.
B. wählt acht Hauptmotive aus, die die Darstellung Abrahams im Koran bestimmen: 1.) Abraham und seine Gäste, 2.) Abrahams Auseinandersetzung mit seinem Vater, 3.) Abrahams Gotteserkenntnis, 4.) Abraham als Vorbild, 5.) Abraham und die Sohnesopferung, 6.) Abrahams Frage nach der Auferstehung, 7.) Abraham und das mekkanische Heiligtum, 8.) Abrahams Erben. Den Kapiteln sind Exkurse zugeordnet, die wichtige Einzelthemen weiter erläutern. Der zweite Teil des Buches widmet sich dem Thema »Abraham im Islam«, wobei B. insbesondere diejenigen Themenkomplexe bearbeitet, die Leerstellen abdecken, welche die koranischen Abrahamsdarstellungen lassen: 1.) Abrahams Geburt, 2.) Abrahams Tod, 3.) Abrahams Beschneidung, 4.) Hagar, 5.) Abraham im Jenseits. Hauptaugenmerk wird auf Traditionen gelegt, die Bestandteil der erbaulichen und weithin bekannten qiṣaṣ al-ʾanbiyāʾ (Prophetengeschichten) sind. Der dritte Teil »Abrahams Erbe« ist inhaltlich und auch vom Umfang her eher eine Schlussbetrachtung. B. kommt auf die Ambivalenz der Abrahamsfigur als Chiffre für eine gemeinsame Verständigung zwischen den Religionen als auch als Paradigma für bedingungslosen Gehorsam und Opferbereitschaft zu sprechen und gibt am Ende Raum für drei meditative Betrachtungen Abrahams aus jüdischer, christlicher und muslimischer Perspektive. Im Anhang präsentiert B. hilfreiche Übersichtstabellen zu seinen Ausführungen.
B.s Monographie erscheint zu einer Zeit, in der die Beschäftigung mit den Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Eigenheiten der abrahamitischen Religionen ein grundlegender Bestandteil des interreligiösen Dialogs geworden ist und auch im akademischen Bereich einen breiten Raum einnimmt, vor allem in der vergleichenden Religionswissenschaft und in den Studien zu spätantiken Kulturen und Religionen. Die historisch orientierte Koranforschung sollte wegen ihrer Komplexität als eigenständiges Fach anerkannt werden, wird aber in Deutschland häufig als Bestandteil dieser Forschungsgebiete betrachtet. B.s Ausführungen sind ebenfalls aus einer vergleichenden religionswissenschaftlichen Perspek­tive geschrieben. Dadurch wird der Leser von den verschiedenen Fragen verschont, die die Arbeit mit dem Koran mit sich bring t– etwa zu seiner Entstehung oder Umwelt. Zugleich jedoch erweisen sich die seinen Ausführungen zugrunde liegenden Prämissen als in der Koranforschung sehr umstritten, teilweise auch bereits überholt – etwa die Ansicht, dass Muḥammad Autor des Korans sei, oder die Bearbeitung von Einzelabschnitten im Koran ohne die Berücksichtigung des unmittelbaren Kontexts der Sure. Es er­staunt vor allem, dass maßgebliche Sekundärliteratur nicht hinzugezogen wurde: So finden etwa die Arbeiten Angelika Neuwirths (z. B. »Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang«, Berlin 2010) keine Erwähnung: Sie stellt dar, dass der Koran als eine Art Mitschrift eines Kommunikationsprozesses und Dokumentierung einer Gemeindeentstehung zu verstehen ist. Aus dieser Sicht ist ein Selbstporträt Muh.ammads in Abraham, wie B. es nahelegt, einer zu starren Autor-Buch-Vorstellung unterworfen, die dem Koran historisch nicht gerecht würde. Ebenso fehlt eine Auseinandersetzung mit der Publikation von Nicolai Sinai, die sich direkt mit der Figur Abrahams im Koran und die Bezüge der Korantexte zu spätantiken Traditionen beschäftigt (»Fortschreibung und Auslegung. Studien zur frühen Koraninterpretation«, Wiesbaden 2009). Die vielfältige Teilhabe der arabischen Halbinsel an einem spätantiken Kultur- und Denkraum findet leider auch nur marginale Beachtung, so dass der Eindruck entsteht, die vorislamische Ge­schichte läge im Dunkeln und viel ließe sich über das vorislamische Arabien nicht sagen. Die vor allem archäologischen und epigraphischen Funde und darauf basierenden Forschungsarbeiten etwa von Christian Robin haben das Bild in vielfacher Hinsicht geschärft und auch maßgeblich verändert.
Es bleibt zu vermuten, dass B. mit Bedacht keinen Bezug zur derzeitigen Koranforschung setzt. Seine Ausführungen erscheinen dadurch für Koranforscher eher solipsistisch, durchaus aber anregend. Immer wieder lässt B. traditionelle und moderne islamische Interpretationen zu Wort kommen und schlägt Bögen zu Aussagen christlicher, jüdischer und muslimischer Theologen und Philosophen. Die Ausführungen sind dadurch einer subjektiven Wahrnehmung unterworfen – ein Sachverhalt, den B. auch ausdrücklich betont. Er hält deswegen mit seiner Meinung über schwierige Sachverhalte in der Abrahamsgeschichte auch nicht zurück. Da­durch ist das Buch sehr lebendig und stellenweise auch provo-kativ– im Sinne eines Ringens B.s mit den Texten und ihrer Wirkung. Die Einordnung von Texten in einen historischen Erwartungshorizont wird deswegen häufig von rezeptionsgeschicht-lichen Ergänzungen durchbrochen. Wer Interesse an der Vielfältigkeit der Bezüge der Abrahamsüberlieferungen hat, wird hier fündig. Wer mehr Interesse an den Eigenheiten des Korans hat und die spezifischen Entwicklungen verstehen will, dem sei Nicolai Sinais Buch empfohlen.