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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

447-448

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schließmann, Rosemarie

Titel/Untertitel:

Ein altersgerechtes Zuhause. Wandel in der Altenpflege als Herausforderung des Frankfurter Diakonissenhauses.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 288 S. m. Abb. = Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg, 55. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-04527-3.

Rezensent:

Christian Grethlein

Der demographische Wandel in Form eines wachsenden Anteils älterer Menschen an der deutschen Gesamtbevölkerung ist mittlerweile ein zentrales Thema in unterschiedlichen Diskursen. Ganz unmittelbar ist davon die Altenpflege, also ein Handlungsfeld der Diakonie betroffen. Die vorliegende, von dem emeritierten Heidelberger Diakoniker Heinz Schmidt betreute und an der dortigen Fakultät für Verhaltens- und Empirische Kulturwissenschaften an­genommene Dissertation geht den diesbezüglichen Veränderungen am Beispiel des Frankfurter Diakonissenhauses nach.
Zu Beginn (15) stellt Rosemarie Schließmann die »Architektur der Arbeit« in Form einer bienenwabenähnlichen Grafik vor (s. zu dieser Metapher ausführlicher: 215). Demnach stehen die einzelnen (acht) Teile »nicht unbedingt in einem kausalen Zusammenhang, haben aber gemeinsame Berührungsflächen« (14 f.). Dabei werden unterschiedliche historische und empirische Facetten der Thematik, immer wieder konkretisiert am Beispiel des Frankfurter Diakonissenhauses, vorgelegt. Ziel ist es, »Settings für alte Menschen und für Unterstützungwerke« (15) herauszuarbeiten.
Das 2. Kapitel skizziert knapp zwei methodische Ansätze: »in-stitutionalistischer Ansatz« und »funktionalistische Theorie«. Sie ergeben Gesichtspunkte, um die geschichtlichen Entwicklungen genauer wahrzunehmen.
Im 3. Kapitel (»Geschichtliche Entwicklungen in der Pflege und seine Auswirkungen auf das Frankfurter Diakonissenhaus«) werden die Faktoren herausgearbeitet, die zu Veränderungen der Arbeit im Frankfurter Diakonissenhaus führten und zugleich dessen Bestehen ermöglichten.
Mehrere empirische Befragungen bei Diakonissen, teils noch im Dienst, teils bereits Feierabendschwestern, werden im 4. Kapitel ausgewertet (zwei ausführliche Interviews finden sich im Anhang, 228–265). Dabei tritt u. a. die grundlegende Veränderung im Pflegebereich durch die Einführung der Pflegeversicherung hervor: »Der Zeitdruck erhöhte sich und die Dokumentation rückte an erste Stelle. Auch bekamen die Hausärzte eine entscheidende Rolle zugewiesen […] So wurden die Handlungsspielräume der Pflegekräfte eingeschränkt und die Pflege in einzelne Tätigkeiten zersplittert, die nicht den Pflegeaufwand in Gänze darstellen. Dies stand und steht dem ganzheitlichen Pflegeverständnis der Diakonissen entgegen.« (89 f.)
Das 5. Kapitel trägt verschiedene Einsichten zur alternden Ge­sellschaft zusammen, ohne dass es zu einer systematischen Erfassung kommt. Auf dem Hintergrund von u. a. Altersbildern und Bestimmungen von diakonischer Bildung erfolgt eine knappe Skizze der »Lebenswelten der älteren Generationen«. Eher weisheitlichen Charakter haben Ausführungen zur »Spiritualität im Älterwerden« (ohne dass aber der Diskurs »Spiritual Care« nur erwähnt wird). Spannend sind Hinweise zur Entwicklung der »Wohnformen im Alter« sowie zu neuen Versuchen, »Demenz im Alter« zu verstehen. Auch erwähnt die Vfn. Versuche auf dem Gebiet der Ro­botik, Pflege zu unterstützen. Insgesamt stellen sich dabei je­weils nicht zuletzt Probleme der Finanzierung. Hier sieht die Vfn. im Konzept der »Gemeinwohlökonomie« ein weiterführendes Konzept.
In einem weiteren, stark deskriptiven Schritt wird die Situation sozialen Handelns am Beispiel der Stadt Frankfurt dargestellt, wobei die Altenpflege nur ein Teil der hier sich stellenden Auf-gaben ist. Konkret werden die Konzeptionen »Soziale Stadt«, »Ge­meinwesendiakonie« und »Integrierte Versorgung« aufgerufen. Dabei zeigt sich jeweils erheblicher Koordinierungsbedarf: »Es fehlen ›Service-Intermediäre‹« (161).
Damit stellen sich Fragen der »Managementinstrumente«. Sie werden in fünffacher Hinsicht durch Referat (nicht Diskussion!) bestehender Ansätze behandelt: »Case und Care Management«, »Change Management«, »Netzwerkmanagement«, »Freiwilligenmanagement« und »Informationsmanagement«.
Einen neuen Horizont eröffnet das 8. Kapitel mit kurzen Darstellungen der Gesundheits- und Sozialsysteme in verschiedenen Ländern (Schweiz, Niederlande, Großbritannien, Deutschland, Spanien), wobei auch jeweils die Ausbildungsstruktur genannt wird. Inhaltlich liegt der Fokus jeweils auf der »sektorenübergreifenden Zusammenarbeit« der einzelnen Organisationen und Dienste.
Insgesamt liegt mit dem Band eher eine Aufsatzsammlung als eine kohärente Studie vor. In einzelnen Zugängen werden mehr skizzenhaft als diskursiv ausgeführte Beiträge zusammengetragen, die im Zusammenhang der Altenpflege Interesse verdienen. Dies zeigt sich auch im kurzen Schlussteil, in dem die Vfn. einen »Ausblick« versucht, der thetisch die eingangs in Aussicht gestellten »Settings für alte Menschen und für Unterstützungsnetzwerke« nennt. Nur teilweise wird dazu das Frankfurter Diakonissenhaus als Beispiel herangezogen. Auffällig für eine diakoniewis-senschaftliche Studie ist das Zurücktreten – bzw. der Ausfall – kri­tischer Reflexionen auf referierte Konzepte sowie das weitgehende Fehlen genuin theologischer Überlegungen.