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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

442-443

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klie, Thomas, u. Ilona Nord [Hrsg]

Titel/Untertitel:

Tod und Trauer im Netz. Mediale Kommunikationen in der Bestattungskultur.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2016. 224 S. m. 26 Abb. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-17-029250-5.

Rezensent:

Thomas Zeilinger

Kern des vorliegenden Sammelbands sind die Beiträge zur Tagung »Gottesäcker und ihre Simulacren. Mediale Kommunikationen in der Sepulkralkultur« (Funerale 4), die im Herbst 2014 an der Universität Rostock stattfand.
Mit dem Titel der Tagung überschreiben die Herausgeber Ilona Nord und Thomas Klie ihre programmatische Einführung in den Band, in dem es ihnen darum geht, »die Art und Weise der Visualisierungen von Tod, Abschiedsprozessen und Bestattungsritualen im Cyberspace praktisch-theologisch wahrzunehmen und in in­terdisziplinärer Weite zu diskutieren.« (7)
Das leicht anders geartete Tagungsthema bringt es freilich mit sich, dass nicht alle Beiträge auf das einleitend wie im Buchtitel angesprochene Thema Internet (»Cyberspace«, »Netz«) einzahlen. Wer den Band in die Hand nimmt, um Aufschluss über netzspezifische Kommunikationen zu Tod und Trauer zu gewinnen, dürfte ihn deshalb tendenziell enttäuscht aus der Hand legen. Wer sich dagegen für das von den Herausgebern aufgeblätterte »weite(s) heterogene(s) Feld medialer Inszenierungen« (12) öffnet, wird darin einen reichen Schatz an Anregungen für eine multiperspektivische Wahrnehmung medialer Kommunikationen in der Bestat tungskultur entdecken. Anders gesagt: Der Untertitel (ent)hält mehr, als der Titel verspricht.
Seine – praktisch-theologisch höchst relevante – mediale Pointe findet der Band nämlich nicht mit dem im Titel genannten Netz, sondern in der Relevanz visueller Kommunikation in der Bestattungskultur. Die bildtheoretischen Überlegungen ziehen sich durch fast alle Beiträge und liefern so den roten Faden für die geistreiche Zusammenfassung, die Thomas Klie in seiner kritischen Relektüre »Leibhaft und erdenschwer« zum Abschluss des Bandes bietet. Hier wird – leider sehr knapp – das Potential sichtbar, das die zusammenhängende Lektüre der einzelnen Beiträge für die praktisch-theologische Perspektive bildet.
Die ersten vier Beiträge zeigen den Wandel in medialer Kommunikation und soziokulturellen Kontexten der Beerdigung an der Wahrnehmung des Todes im Internet: So unterschiedliche Felder wie das Phänomen des QR-Codes auf Grabsteinen (I. Nord), Online-Gedenkstätten (A. Offerhaus), der Umgang mit Verstorbenen auf Facebook (S. Luthe) und die Wahrnehmung des Todes in Computerspielen (J. Palkowitsch-Kühl) werden untersucht und dargestellt. Von den zahlreichen interessanten Aspekten erscheinen in praktisch-theologischer Perspektive dabei die von Ilona Nord herausgearbeiteten Vernetzungsprozesse von kulturellem Gedächtnis (kurz: der Grabstein) und kommunikativem Gedächtnis (kurz: das persönliche Online-Archiv) besonders anregend: mobile Endgeräte ermöglichen eine neue Form der »Mixed Reality« von Bestattungskulturen im digitalen Zeitalter.
In eher historischer Perspektive zeigt ein zweites Bündel von Beiträgen an Beispielen aus der Malerei (Caravaggio), der Literatur (Uwe Timm), der (Toten-)Fotografie sowie von Fernsehen (vor allem Serien) und Film (Arthouse-Filme), wie sehr die Wahrnehmung von Tod und Bestattung immer schon medial strukturiert, vor allem visuell geprägt ist. Die facettenreichen Ausführungen werden teilweise durch Abbildungen illustriert, die am Ende des Bandes auf Farbtafeln wiedergegeben sind.
Zur in den Beiträgen immer mit verhandelten Frage der Konstruktion von »virtueller« und »realer« Realität geben die beiden der abschließenden Relektüre von Thomas Klie vorausgehenden Beiträge instruktive Hinweise: Der Filmemacher Julian Sengelmann reflektiert unter dem Titel »Das orthodoxe Holy Fire – Über die virtuelle Dimension der frohen Botschaft im Heiligen Land« auf ein Projekt, in dem er das Ritual um die wundersame Entzündung des Feuers in der Osternacht in der Jerusalemer Grabeskirche filmisch eingefangen hat. Und Sieglinde Sparre greift am Beispiel von Be­gräbnisstätten in (teilweise entsprechend umgewidmeten) Kirchen ihrerseits die Metapher der »Mixed Reality« auf, um den Off-line wie Online sich ereignenden Wandel von Realität rund um Tod und Bestattung zu skizzieren.
Für beide Beispiele, wie für den Band insgesamt, formuliert Thomas Klie ebenso zusammenfassend wie treffend: »Das macht den Charme und die verwirrende Vielgestaltigkeit der Phänomene aus, mit denen sich die Beiträge in diesem Band auseinandersetzen. Es gibt das Begräbnis auf dem Friedhof und das Grab im Netz, es gibt das Kolumbarium in der gemeindlich nicht mehr genutzten Kirche und eine Online-Präsenz auf seiner Webseite, es gibt den Grabstein mit QR-Code, der wiederum auf die entsprechende Ge­dächtnis-Domain verweist.« (211)
Dieser Vielgestaltigkeit auf die Spur zu kommen, ermöglicht das vorliegende Büchlein in reichem Maß, in dem es zahlreiche anregende Einblicke in kulturelle Prozesse der Entwicklung der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Tod und Bestattung eröffnet. Leider fallen demgegenüber die Reflexionen aus der postulierten kulturoffenen praktisch-theologischen Perspektive knapp aus. Immerhin: Was diese leisten könnte, deutet die von Klie zum Ende vorgelegte Relektüre an.