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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

421-423

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Gregersen, Niels Henrik [Ed.]

Titel/Untertitel:

Incarnation. On the Scope and Depth of Christology.

Verlag:

Minneapolis: Fortress Press 2015. 397 S. Kart. US$ 44,00. ISBN 978-1-4514-6540-2.

Rezensent:

Christian Danz

Der von dem Kopenhagener Systematischen Theologen Niels Henrik Gregersen herausgegebene Band Incarnation. On the Scope and Depth of Christology geht auf eine Tagung zurück, die vom 26. bis 29. August 2011 in Elsinore stattfand und die von der John Templeton Foundation gefördert wurde. Im Fokus des Interesses steht die dogmatische Christologie. Sie wird von den Beiträgern vor dem Hintergrund der modernen Naturwissenschaften und der ökologischen Krise traktiert. Das Stichwort »deep incarnation«, es geht auf Niels Henrik Gregersen zurück, ist also durchaus als Programmformel gemeint. Es zielt auf eine Reformulierung des Inkarnationsgedankens mit Konsequenzen für die Entfaltung des christologischen Lehrstücks. »In this view, the Logos of God (the eternal Son) ›becames flesh‹ in Jesus, assumed a particular body and mind in him, and hereby also conjoined the material, living, and mental con­ditions of being a creature in any epoch.« (7) Dementsprechend lautete die Leitfrage für das Symposium, »Is God incarnate in all that is?« (IX).
Theologiegeschichtlich wird von den Autoren des Bandes die Ausweitung des Gottesgeistes aus der zweiten Hälfte des 20. Jh.s, also die Loslösung des Wirkens des Heiligen Geistes von seiner traditionellen soteriologischen Bindung an Christus und das Wort der Schrift, aufgenommen und auf die Christologie übertragen. Die alte, soteriologische Fassung des dogmatischen Lehrstücks, die Zu­spitzung des Christusbildes auf den Glaubensvollzug, wie sie von der protestantischen Theologie im letzten Jahrhundert ausgearbeitet wurde, wird in kosmologische und naturwissenschaftliche Bezüge erweitert. Jürgen Moltmann, der zu den Mitautoren des Bandes gehört, hatte eine solche Konzeption bereits in seinem Buch Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen (München 1989) vorgelegt. Mit der von den Beiträgern des vorliegenden Bandes auf unterschiedliche Weise ausgearbeiteten kosmologischen Reformulierung des Inkarnationsgedankens, die sich gegen John Hicks metaphorische Deutung richtet (vgl. 2 f.), wird freilich auch auf eine christologische Konzeption zurückgegriffen, die Adolf von Harnack in seiner Dogmengeschichte als Überlagerung der religiösen Dimension der Christologie in der Alten Kirche kritisiert und zurückgewiesen hatte.
Das Programm einer deep incarnation wird in den vier Hauptteilen des Bandes ausführlich traktiert. Die Einleitung des Herausgebers (1–21) stellt die Konzeption vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Debatten vor, umreißt das, was unter deep incarnation zu verstehen ist und strukturiert die Debatte durch eine Typologie von konzeptionellen Fassungen des Inkarnationsgedankens. Un­terschieden werden traditionelle altkirchliche Modelle, nachaufklärerische Konzeptionen, die bei dem von der Geschichtswissenschaft rekonstruierten historischen Jesus einsetzen, sowie solche Vorschläge, welche die Fleischwerdung des Logos nicht auf den Menschen Jesus beschränken und wo der Gottessohn also nicht nur Mensch, sondern gleichsam zum Universum und seinen materiellen Elementen wird (9–21). Aber bezieht sich der Inkarnationsgedanke wirklich auf alles, was ist? Die Antworten auf diese Leitfrage und die Deutungen der aus diversen Konfessionen und Fachgebieten kommenden Autoren des Bandes fallen unterschiedlich aus.
Der erste Hauptteil des Bandes behandelt »Creation and Incarnation: New Testament and Early Church Perspectives« (25–115). In vier Beiträgen wird die Funktion des Inkarnationsgedankens vor allem bei Athanasius und Maximus Confessor, aber auch vor dem Hintergrund neutestamentlicher kosmologischer Passagen nicht nur in historischem Interesse diskutiert. Zunächst thematisiert Richard Bauckham »The Incarnation and the Cosmic Christ« (25–57) und zieht einen weiten Bogen vom Kolosserbrief, der patristischen Inkarnationschristologie bis hin zu gegenwärtigen evolutionstheoretischen Fragen. Er beschränkt die Inkarnation auf den menschgewordenen Gottessohn, deutet diesen als neue Schöpfung (55). Gerald O’Collins rückt den alttestamentlichen Weisheitsgedanken in den Fokus und plädiert dafür, diesen als Rahmen für den Logosbegriff anzusetzen (»Word, Spirit, and Wisdom in the Uni-verse: a Biblical and Theological Reflection«, 59–77). »Saint Atha-nasius on Incarnation« (79–98) diskutiert John Behr, und Torstein Theodor Tollefsen »Saint Maximus the Confessor on Creation and Incarnation« (99–119). Beide Texte legen den Fokus auf die kosmologischen Implikationen der Inkarnationschristologie dieser patristischen Denker. Behr macht deutlich, dass der Inkarnationsgedanke bei Athanasius auf das Kreuz Christi zugespitzt ist und seine Pointe in »a reciprocal and transforming dynamic, effected through the paradoxical reversal of the cross« (96) habe. Die christozentrische Kosmologie (99) von Maximus arbeitet Tollefsen heraus.
Der zweite Hauptabschnitt »Deep Incarnation: Perspectives from Contemporary Systematic Theology« (119–251) bietet einen Überblick über die diversen Ausformungen einer solchen Inkarnations-Christologie. In den Fokus rückt dabei weniger die soteriologische Dimension des Christusbildes, sondern die kosmologischen Implikationen der Fleischwerdung des Logos. Dies impliziere, wie Elisabeth A. Johnson in ihrem Beitrag »Jesus and the Cosmos: Sound­ings in Deep Christology« (133–156) ausführt, biologische Konsequenzen, die auf die Soteriologie dann zurückschlagen. »The sarx of John 1:14 thus reaches beyond the person and beyond all other human beings to encompass the whole biological world of living creatures and the cosmic dust of which they are composed.« (138) Der Wechsel von der Mensch- zur Fleischwerdung des Logos als Rahmen der Entfaltung des Inkarnationsgedankens meine freilich nicht, wie Moltmann (»Is God Incarnate in all that is?«, 119–131) und Niels Henrik Gregersen (»The extended Body of Christ: Three Dimensiones of Deep Incarnation«, 225–252) erklären, Gott sei auch in Henkern oder »the powers of chaos, the forces that are hostile to human beings and creation, the godless destructive forces of annihilation« (125) gegenwärtig. »Rather, the point is that the embodied Word of God shares from within the suffering of all who suffer from the powers of tsunamis, earthquakes, and hunger, and takes the side of the victims of the horror that human beings inflict upon on other.« (235; vgl. auch 2) Doch wer legt fest, wer Opfer und wer Täter ist? Eine theo-dramatische Variante einer Deep incarnation-Chris-tologie bietet Celia Deane-Drummond unter Aufnahme von Motiven Hans-Urs von Balthasars (»The Wisdom of Fools? A Theo-Dramatic Interpretation of Deep Incarnation«, 177–201), und eine semiotische Zuspitzung des Gedankens liefert Christopher Southgate (»Depth, Sign and Deity: Thougths on Incarnation«, 203–223). Beide rücken eine deep ecology, die sich aus der neuen Sicht der Christologie ergeben soll, in den Fokus und votieren, wie auch andere Beiträger, nicht nur für eine deep incarnation, sondern auch für eine deep resurrection, deep christology etc. Auch der Heilige Geist muss deep begriffen werden.
»Deep incarnation thus involves a pneumatological perspective no less than a christological view. It is therefore important to notice the difference be-tween the Son of God going down with his fellow creatures in anguish and death, on the one hand, and suffering presence of the Spirit of God in the depths of creation, on the other.« (242; vgl. auch 193–196: »Deep Incarnation as pneumatology«)
Die beiden letzten Hauptabschnitte des Bandes thematisieren »Divine Presence and Incarnation: Scientific and Philosophical Perspectives« (255–352) und abschließend »Concluding Reflections«, 355–379). Deutlich fällt die Kritik an den in dem Band vorgetragenen kosmologischen Erweiterungen der Christologie durch den Philosophen Holmes Rolston III (»Divine Presence – Causal, Cybernetic, Caring, Cruciform: From Information to Incarnation«, 255–287) aus: »is both biological and theological nonsense« (274). Der jüdische Biologe Stuart Kauffmann hingegen versucht, die Denkbarkeit einer solchen Inkarnationsvorstellung aufzuzeigen, auch wenn er sie als – für ihn – nicht glaubhaft hält (»Natural Incarna-tion: From Possible to the Actual«, 289–307), und Robert John Russell bietet schließlich eine physikalische Deutung einer natürlichen Inkarnation (»Jesus: The Way of all Flesh and the Proleptic Feather of Time«, 331–359). Etwas aus dem Rahmen der spekulationsfreu-digen Theologen, Biologen und Physiker fällt der Beitrag von Dirk Evers »Incarnation and Faith in an Evolutionary Framework« (309–329). Er schlägt eine Reformulierung der lutherischen Christologie vor, die auf den Gedanken der Einheit und Unterschiedenheit von Gott und Mensch im Glauben zugespitzt ist. Die beiden abschließenden Beiträge von John Polkinghorne (355–359) und Gregersen (361–379) enthalten zusammenfassende Reflexionen und Stellungnahmen zu den in dem Band vorgetragenen Thesen.
Der Band vermittelt einen interessanten Überblick über die christologischen Reflexionen in der anglo-amerikanischen Debatte. Ob allerdings eine kosmologische Ausweitung des Inkarnationsgedankens auf »all that is« für die Entfaltung einer modernegemäßen Christologie sowie das Verständnis von deren dogmatischer Funktion gegenüber deren (traditioneller) soteriologischer Fassung, wie sie in dem Band von Evers ausgeführt wird, sinnvoll ist, darüber wird man streiten können.