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Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1143–1146

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Schuler, Ulrike

Titel/Untertitel:

Die Evangelische Gemeinschaft. Missionarische Aufbrüche in gesellschaftspolitischen Umbrüchen.

Verlag:

Stuttgart: Medienwerk der Ev.-meth. Kirche 1998. 489 S. m. Abb. 8 = emk-Studien,1. ISBN 3-89725-002-0.

Rezensent:

Patrick Streiff

Die Vfn. legt im vorliegenden Band ihre Dissertation zum Dr. phil. des Fachbereichs Geschichte-Philosophie-Theologie der Bergischen Universität-Gesamthochschule Wuppertal vor. Ihre Forschungsarbeit ist der Evangelischen Gemeinschaft, einem deutschsprachigen Zweig des amerikanischen Methodismus, gewidmet. Nach den thematischen und methodischen Vorüberlegungen (Kap. 1) untersucht Sch. drei Umbruchsphasen, die für die Geschichte der Evangelischen Gemeinschaft (nachfolgend EG) wichtig sind: a) Die Gründungsphase der EG in Nordamerika um 1800 (Kap. 2); b) Die Anfänge der Deutschlandmission um 1850 (Kap. 3); c) Die EG im Nachkriegsdeutschland 1945-1961 (Kap. 4). Der Schwerpunkt der Forschungsarbeit liegt im dritten Zeitabschnitt, der umfangmäßig die Hälfte der Ausführungen umfaßt. Die Arbeit enthält einen dokumentarischen Anhang mit Texten und Bildern, die im wesentlichen der dritten Umbruchsphase gewidmet sind. Während die ersten beiden Zeitabschnitte bereits verschiedentlich in Monographien oder Biographien behandelt wurden, betritt die Vfn. mit ihren Untersuchungen zur EG nach dem zweiten Weltkrieg weitgehend Neuland. In allen drei Abschnitten beleuchtet Sch. die Wechselwirkung zwischen der EG und ihrem gesellschaftlichen Umfeld.

In der ersten Umbruchsphase wird die Entstehung der EG, ihre Ausbreitung und Konsolidierung im Kontext des gesellschaftlichen Gefüges in Nordamerika zu Beginn des 19. Jh.s dargestellt. Die Vfn. beleuchtet die Entstehung der Freikirchen und die Einwanderung von Deutschsprachigen in Amerika. Sie stellt fest: "Hierbei prägte die Vielzahl der vorwiegend pietistischen religiösen Gruppierungen das geistliche Klima der deutschen Pioniere in Pennsylvania, in dem sich auch die Evangelische Gemeinschaft später formiert hat" (62) und betont: "Diese Feststellung steht im Widerspruch zu den tradierten Beweggründen für die Gründung der EG ...", d. h. zur Darstellung einer "geistlichen toten Zeit und Umwelt" (Anm. 129). Daß die pietistischen Gruppierungen eine so prägende Kraft hätten entfalten können, scheint mir aber überzogen. Sch. zitiert selber gegenteilige Beispiele und Berichte (59; 63). Hier müßte differenzierter beurteilt werden.

In bezug auf den Vergleich zwischen Pietismus (Bsp. Spener) und Methodismus rächt sich, daß nur auf ältere Literatur zum Pietismus Bezug genommen wurde. Was Amerika in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s betrifft, unterstreicht Sch. zu Recht, daß die Kirchen generell unter den Einfluß der Erweckungsbewegung kamen. Diese Beeinflussung bereitete Lutheranern in Deutschland Sorge. Die warnenden Worte von Löhe (65 f.; leider fehlen die genauen Angaben im Literaturverzeichnis; Datierung?) machen den Widerstand gegen die Mission der EG in Deutschland verständlich. Die Entstehung der EG und ihre Beeinflussung durch die Bischöfliche Methodistenkirche (nachfolgend BMK) tritt deutlich zutage (allerdings entsprach der Entschluß der amerikanischen Methodisten, das Bischofsamt einzuführen, gerade nicht der Meinung Wesleys; Anm. 170). Da und dort könnten noch weitere Elemente methodistischer Beeinflussung aufgezeigt werden (z. B. Gründung einer Missionsgesellschaft). Sch. kann anhand der ersten Kirchenordnung der EG aber auch auf interessante Nuancen zur Ordnung der BMK aufmerksam machen und betont als unterscheidendes Merkmal der EG: "Worin sie aber von der BMK abwich, das war die allen Mitgliedern gemeinsame Herkunft - die deutsche Nationalität als wesentliches identitätsstiftendes Merkmal der Evangelischen Gemeinschaft" (93). Die gemeinsame deutsche Sprache und Kultur war für die EG einheitsstiftend, doch kann m. E. zu Beginn des 19. Jh.s noch nicht von einer deutschen "Nationalität" gesprochen werden.

Im zweiten Zeitabschnitt über die Anfänge der Deutschlandmission charakterisiert Sch. die angloamerikanischen Freikirchen als solche, die "wirkungsgeschichtlich Träger des modernen Gedankengutes und der demokratischen Gesellschaftsform gegenüber nicht ablehnend eingestellt" waren (121). Sie betont mehrfach die weitgehend demokratischen Strukturen der EG (108; 158; 212 ff.), überzeichnet aber m. E. die Bedeutung demokratischer Prinzipien im Methodismus (die methodistischen Strukturen entstanden im 18. Jh. unter Wesley, der aufkommende Demokratisierungstendenzen in der Gesellschaft verurteilte; der Methodismus nimmt ältere, synodale Modelle zum Vorbild; zu bedenken wäre z. B. auch der bis ins 20. Jh. andauernde Ausschluß von Laien auf der Ebene der Jährlichen Konferenzen und der Generalkonferenz). Der Beginn der Deutschlandmission und die Schwierigkeiten in bezug auf die Rechtslage, um als Freikirche in deutschsprachigen Ländern zu arbeiten, wird entfaltet. Sch. untersucht auch eine Reihe polemischer Schriften, die gegen die Tätigkeit der EG geschrieben wurden. Interessant wäre hier eine eingehendere Darlegung der Bedeutung der Heiligungsbewegung sowohl für die Ausbreitung der EG als auch für die dadurch hervorgerufene Opposition in den 70er und 80er Jahren des 19. Jh.s (über Anm. 508 hinaus).

Die These, daß die EG nur aufgrund der ihr entgegengebrachten Opposition sich als eigenständige Freikirche und nicht als landeskirchliche Gemeinschaft formierte, wird von Sch. vorsichtig kritisiert. Allerdings stellt sich mir die Frage, ob die Vfn. rückblickende Aussagen von Titus (Anm. 542) und Jäckel (Anm. 553) nicht zu sehr zum Nennwert genommen hat, denn alle anderen von ihr zitierten Quellen (Anm. 405, 406, 412, 414; die Arbeit Wollperts und die Europa-Visitation von Bischof Escher) ergeben m. E. potentiell kirchengründende Konsequenzen. Aufgrund des vorwiegend missionarischen Motivs der Mission wurden aber - wie so oft im Methodismus - die ekklesiologischen Implikationen der Deutschlandmission nicht im Vorfeld reflektiert, sondern traten erst durch die missionarische Arbeit als deutliche Konsequenzen zu Tage.

Ist bereits die Darlegung der ersten beiden Umbruchsphasen interessant, so gilt dies in besonderem Maße vom dritten Zeitabschnitt über die EG im geteilten Nachkriegsdeutschland. Dieses Kernstück der Forschungsarbeit beschränkt sich noch stärker als der vorgehende Abschnitt auf Deutschland und erwähnt die übrigen Missionsgebiete der EG in Europa nur in Zusammenhang mit Fragestellungen, die Deutschland betreffen. Besonders aufschlußreich sind die Abschnitte über die Entnazifizierung und über das "missionarische Aufbauprogramm der EG". In ersterem geht die Vfn. auf die Unterschiede zwischen den Besatzungszonen ein und stellt die Situation von drei Pastoren in leitender Stellung, die Mitglieder der NSDAP waren, dar. Sie macht deutlich, wie kirchenintern nur auf äußeren Druck (sei es von staatlicher, sei es von außer-deutscher EG Seite) die Vergangenheit einzelner Pastoren thematisiert wurde. Trotz vereinzelter klarer Worte und Schuldbekenntnisse, kommt Sch. zu der m. E. berechtigten Folgerung: "In der damaligen Unfähigkeit, sich mit der Vergangenheit detailliert auseinanderzusetzen, wurden die Rest-Kräfte auf die Bewältigung der Gegenwarts(Alltags-)aufgaben gelenkt und in wachsendem Maße Zukunftsplanungen verfolgt" (212). Letzteres wurde auch verstärkt durch das von der EG auf Weltebene 1946 lancierte "missionarische Aufbauprogramm".

Sch. stützt sich auf z. T. erstmals erforschtes Quellenmaterial über die Involvierung der EG in verschiedene deutsche Hilfswerke und über die "Dollar-Veredelungsaktion". Inbezug auf den "sich entfaltenden Willen zur ökumenischen Zusammenarbeit" (236) wäre jedoch nicht nur von der Nachkriegszeit zu reden, sondern gerade bei Kirchen methodistischer Tradition von einem viel früher einsetzenden Engagement für ökumenische Kooperation, was in der Art, wie die amerikanische Mutterkirche die Hilfsmaßnahmen initiierte, deutlich zum Ausdruck kommt. Inbezug auf den missionarischen Aufbau schildert die Vfn. vor allem die Situation der Jugendarbeit und evangelistische Initiativen. Ein letzter größerer Teil des dritten Zeitabschnittes ist der Identitätsfindung der EG im Bereich der DDR gewidmet. Sch. stellt heraus, wie in den fünfziger Jahren in zunehmendem Maß "die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Staat im Unterschied zu den westdeutschen Konferenzen in der Ostdeutschen Konferenz auffällig konkret und differenziert" erfolgte (300). Die zitierten Stellungnahmen aus dem Bereich der DDR sind wesentlich durch die herausragende Persönlichkeit des damaligen Superintendenten geprägt.

Formal ist die Arbeit sehr sauber gestaltet und hat erfreulich wenig Tippfehler. Die knappen biographischen Angaben in den Fußnoten und das Personen-, Sach- und Ortsregister sind hilfreich. Die Erforschung der Geschichte der Evangelischen Gemeinschaft hat durch die Dissertation von Ulrike Schuler wesentliche neue Einsichten gewonnen.