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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

418-421

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Görnandt, Ruth

Titel/Untertitel:

Die Metaphysikkritik Gerhard Ebelings und ihre Vorgeschichte.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XII, 339 S. = Beiträge zur historischen Theologie, 180. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-154357-9.

Rezensent:

Rainer Mogk

Warum und mit welchen Argumenten lehnt Gerhard Ebeling die Einbeziehung der Metaphysik in die Theologie so selbstverständlich wie entschieden ab? Ruth Görnandt arbeitet in ihrer bei Johannes Zachhuber und Notger Slenczka entstandenen Dissertation zunächst die Wurzeln solcher sich auf Martin Luther berufender Metaphysikkritik bei Albrecht Ritschl, Wilhelm Herrmann und Rudolf Bultmann heraus. Dann wird als zeitgenössischer Kontext von Ebelings Metaphysikkritik die Entmythologisierungsdebatte der fünfziger Jahre aufgezeigt und Ebelings Metaphysikbegriff in Auseinandersetzung u. a. mit Martin Heidegger geklärt. Schließlich wird die systematisch-theologische Bedeutung der Metaphysikkritik für Ebelings dogmatischen Ansatz mit ständigem Blick auf seine theologischen Wurzeln beschrieben.
Albrecht Ritschl (15–61) akzeptiert die Metaphysik für die Theologie nur in Form einer »Ontologie«, die er wiederum als Erkenntnistheorie engführt (28.31.60.173). Metaphysik setzt für ihn noch vor der Unterscheidung in natürliche und geistige Phänomene an. Während das wissenschaftliche Erkennen in der Natur endlos nach Ursache und Wirkung zurückfragt, erhebt sich auf dem geistigen Gebiet der Mensch durch die Sittlichkeit über die Natur. In diesem geistig-sittlichen Bereich verortet Ritschl die Religion. Erkenntnistheoretisch sind die Dinge für Ritschl nur in ihren Erscheinungen zugänglich. Angewandt auf die Theologie bedeutet dies: Auch Gottes Wesen ist nur aus seinen heilsamen Wirkungen auf uns erkennbar. »Dass Gott ausschließlich als Liebeswille und damit nur als Korrelat des Vertrauensglaubens zu erkennen ist, erhält durch die Natur des Erkennens eine metaphysische Begründung, die darin besteht, dass Sinneserfahrungen auf den ihnen zugrunde liegenden Gegenstand hin objektiviert werden, und zwar in präskriptiven Eigenschaften und nicht als ein hinter oder über den aus den Wirkungen abgeleiteten Eigenschaften liegendes eigentliches Wesen.« (51)
Wilhelm Herrmann (62–129) schließt sich Ritschls eher beiläufiger Metaphysikkritik an und arbeitet diese in seinem Frühwerk erstmals explizit aus. Eine als Erkenntnistheorie gefasste Metaphysik hilft der Theologie, den materiellen vom geistigen Bereich zu unterscheiden. Die Einheit der beiden Gebiete kann nur im sittlichen Zweck gefunden werden, nicht in einer metaphysischen Schlusshypothese. Die Metaphysik erweist sich als grundsätzlich ungeeignet, geistige Phänomene überhaupt zu erfassen. Gegen den Absolutheitsanspruch gegenständlichen Erkennens stellt Herrmann die Realität des Selbstgefühls, von dem ausgehend der Mensch sein Menschsein auf dem Weg der Sittlichkeit mit Hilfe des Glaubens realisiert. Weil die Verwirklichung der Sittlichkeit nicht in der Hand des Einzelnen liegt, kann Herrmann die Allgemeingültigkeit der Religion, die früher mit Hilfe der Metaphysik bewiesen wurde, für sittliche Menschen aufzeigen. Die Religion knüpft also an »eine problematische Wirklichkeitserfahrung an, die mit dem Menschen als solchem gegeben ist,« und kann so allgemeinverständlich gemacht werden (128). In seiner Spätphase stützt sich Herrmann auf eine existenziell bestimmte Analyse des Vertrauenserlebnisses bzw. der Hingabe, die er den »Weg zur Religion« nennt. So wird das begrüßenswerte Anliegen hinter der Einbeziehung der Metaphysik in die Theologie, nämlich die Anbindung der Religion an die Wirklichkeit, vom theoretischen Welterkennen zum subjektiven Erlebnis hin verschoben. Damit stellt Herrmann die entscheidende Brücke für die Auseinandersetzung mit der Metaphysik von Ritschl zu Bultmann und Ebeling dar (126). Auf die Gotteserkenntnis angewandt führt dieser Ansatz zu Herrmanns bekanntem Diktum, das Bultmann und Ebeling aufgreifen: »Von Gott können wir nur sagen, was er an uns tut.« (117)
Der frühe Rudolf Bultmann (130–172) führt den späten Herrmann fort, indem er an die Existenz des Menschen anknüpft, um den Glauben plausibel zu machen. Dabei versteht er Religion zunächst als jenseitige Überwindung der Spannung zwischen Natur und Kultur (136). Wie bei Herrmann erfolgt die Vermittlung von Glauben und Wirklichkeit über das Subjekt (140). Unter Einfluss der Dialektischen Theologie, die Veränderungen in Richtung Wort Gottes und Kreuzestheologie, aber keine Wende mit sich bringt (141), kritisiert Bultmann dann den Versuch der natürlichen Gotteserkenntnis, einen Standpunkt außerhalb von Gottes Allmacht und seinem Anspruch an uns einzunehmen, als Sünde (146). Den Fehler der Metaphysik in Gestalt griechischer Philosophie bzw. des Idealismus erblickt Bultmann darin, bei der Ewigkeit statt beim Augenblick anzusetzen (149). Der christliche Glaube bezieht sich im Widerspruch auf das Menschsein, seine Fragwürdigkeit und seine Suche nach Eigentlichkeit. »Das Existenzverständnis des Glaubens negiert und ersetzt das alte Verständnis, indem es an einem Problem desselben ansetzt.« (155) So nimmt Bultmann Heideggers Existenzanalyse zur Beschreibung der Grundfrage des Menschen auf und sichert mit diesem Anknüpfungspunkt die Verständlichkeit der Theologie. Die Antwort des Glaubens erweist sich als eine Problemlösung, die aber dem bisherigen Existenzverständnis widerspricht, damit »Gott der Verfügbarkeit des Menschen entzogen bleibt« (165).
Im Hauptteil des Buches weist G. zunächst darauf hin, dass sich Gerhard Ebeling (181–307) erstaunlicherweise noch in den 60er Jahren gegen eine Übermacht von Theologen kämpfen sieht, die sich auf die Metaphysik gründen (183–185). Es handelt sich bei genauerer Betrachtung um die Bultmann-Kritiker aus dem lutherischen Lager, die sich in der Entmythologisierungsdebatte auf objektive Heilstatsachen berufen. Ihnen wird von Ernst Fuchs und dann auch von Ebeling ein cartesischer Dualismus mit fataler Subjekt-Objektspaltung und darin eine überholte Metaphysik vorgewor-fen (190). Dem setzt Ebeling im Anschluss an Heidegger, aber vor allem in der Spur seiner theologischen Vorgänger (206.237), ein ursprüngliches In-der-Welt-Sein des Subjekts bzw. die Existenz des Men­schen entgegen. So geißelt Ebeling die Metaphysik in ihrer Vermischung von Glauben und Welterkennen als »überholt, ungeschichtlich, situationsvergessen und heillos« (201) und her­meneutisch fehlerhaft (239). Auch sein eigener hermeneutischer Ansatz beim Wort »Gott« und einem – weit gefassten – Verständnis von Sprache werden herausgearbeitet. Das Reden von Gott kann nur verstanden werden in einer den Menschen selbst treffenden Situation (225). Ebeling greift den aus dem Positivismus stammenden Begriff der »Verifikation« auf, transformiert ihn aber hermeneutisch so, dass Gott selbst in seinem Wort die Wahrheit theologischer Aussagen erweist (245 f.295 f.304 f.). Es geht im Sinne des hermeneutischen Ansatzes um einen wechselseitigen Auslegungsprozess vom in der Schrift fixierten Wortgeschehen und menschlicher Wirklichkeit (266). Dabei knüpft der Glaube wie bei Bultmann in Widerspruch an die als »Gesetz« verstandene natürliche Wirklichkeitserfahrung an.
Den behandelten Theologen gemeinsam ist ihr Bezug auf Martin Luther, den sie gegen ihre zeitgenössischen neulutherischen Gegner ins Feld führen, und ihre Berufung auf das eigentliche Grundanliegen der Reformation, das sie zum Ausscheiden der Metaphysik aus der Theologie nötige. Und doch erweist sich der Bezug zu Luther stets sekundär gegenüber dem je eigenen Religionsbegriff mit seiner Metaphysikkritik (56.59.61.129.172 f.177 f.200).
Insgesamt wird gegen im Gestern verhaftete theologische Traditionalisten bzw. moderne Scholastiker (37.166.236) mit Hilfe einer zeitgemäßeren Philosophie anstelle einer überholten Metaphysik die Rede von Gott an Grunderfahrungen des Menschseins angebunden, um die Theologie vor Irrelevanz angesichts übermächtiger Naturwissenschaften, positivistischer Religionskritik bzw. Säkularisierung zu bewahren. Statt einer Anknüpfung an eine zeitlose, objektive Wirklichkeit wird an der mit der konkreten Erfahrung des Menschen gegebenen Wirklichkeit angesetzt (308).
Diese wirkmächtige, metaphysikkritische Linie von Ritschl über Herrmann und Bultmann bis zu Ebeling mit ihrem ethizistischen bzw. individuell-existentiellen Verständnis des Glaubens hat schon der frühe Wolfhart Pannenberg erkannt. Sie wird in der vorliegenden Arbeit anhand der Hauptschriften und zentraler Aufsätze der untersuchten Theologen klar, gründlich, begrifflich differenzierend und überzeugend herausgearbeitet.
Wir würden allerdings zögern, Ritschl und Herrmann aufgrund ihres sittlich-existentiellen Standpunkts bzw. ihres funktionalen Verständnisses von Metaphysik schon als hermeneutisch argumentierende Theologen (42.60. 64.77.97.115 f.141.144.175.206.237 f.308, vorsichtiger 53) zu bezeichnen und sie eher noch einem erkenntnis- bzw. kulturtheoretischen Ansatz zurechnen, insofern sie das Problem der Sprache, anders als Ebeling, noch nicht explizit im Blick haben.
Die Ausführungen zur Berufung der behandelten Theologen auf Luther konzentrieren sich meist auf den Aufweis der Quellen des Lutherstudiums und weniger auf die Rezeption Luthers im Detail oder auf Luthers eigene philosophische Grundlagen. Diese vielversprechende Spur könnte – weit über die vorliegende Fragestellung hinaus – zum Gegenstand einer eigenen Untersuchung gemacht werden. So bleibt aus unserer Sicht die Frage offen, inwieweit die von den Theologen empfundene enge Beziehung ihrer Metaphysikkritik zum reformatorischen Grundanliegen wirklich stichhaltig ist.
Hinsichtlich der zahlreichen philosophischen Positionen ergeben sich ebenso Vertiefungsmöglichkeiten: Die erkenntnis- und kulturtheoretische Auslegung Kants (z. B. 83 f.93.107) bei Ritschl und Herrmann könnte genauer als eine neukantianische Lesart Kants (28.134) dargestellt werden. Die prägende Kraft Lotzes – ist Lotze schon dem Neukantianismus zuzurechnen (27)? – könnte herausgearbeitet werden ebenso wie die Heidegger-Rezeption Ebelings (202, Anm. 99) oder die Tragweite des Gedankens der Verifikation für die Theologie.
Im Ausblick (310–316) reiht sich G. selbst in die von ihr dargestellte metaphysikkritische Traditionslinie ein und würdigt die durch Ebeling erreichte hermeneutische Klärung, fordert aber für den Wirklichkeitsbezug heutiger Theologie eine kritische Auseinandersetzung mit Naturwissenschaften und regt eine differenziertere Bestimmung der nur negativen Anknüpfung an die philosophische Wirklichkeitsbeschreibung an.
Insgesamt führt die Untersuchung der Metaphysikkritik Ebelings und seiner Vorgeschichte ins Herz der Systematischen Theologie, insofern es bei der Frage der Rezeption philosophischer Ansätze um nichts weniger geht als die grundsätzliche Verbindung von Gott und menschlicher Wirklichkeit im Glauben, dessen allgemeine Relevanz erwiesen werden soll. G.s Arbeit zeichnet hierzu eine zentrale theologiegeschichtliche Spur nach, die schlüssig als Schulrichtung verstanden wird. Auf das berechtigte Anliegen, aber auch auf Grenzen von Ebelings Metaphysikkritik fällt durch die plausible Einbettung in den zeit-, theologie- und philosophiegeschichtlichen Hintergrund ein sehr erhellendes Licht.