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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

404-406

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Czakó, István

Titel/Untertitel:

Geist und Unsterblichkeit. Grundprobleme der Religionsphilosophie und Eschatologie im Denken Søren Kierkegaards.

Verlag:

Berlin: De Gruyter 2014. X, 239 S. = Kierkegaard Studies. Monograph Series, 29. Geb. EUR 94,95. ISBN 978-3-11-030690-3.

Rezensent:

Walter Dietz

Der Band versammelt religionsphilosophische Studien des ungarischen Philosophen István Czakó, die am Kopenhagener Kierkegaard Forschungszentrum (unter Anleitung von J. Cappelørn und J. Stewart) entstanden. Die einzelnen Aufsätze wurden schon publiziert (zwischen 2001 und 2013); das Ganze stellt eine umgearbeitete Habilitationsschrift dar (Uni Szeged, 2011). Es geht um ein Verständnis der philosophischen Implikationen von SKs Werk im Kontext der dänischen Zeitgeschichte, geprägt durch die Hegelsche Philosophie und die »religionskritischen Ideen der radikalen Junghegelianer« (213).
C. beschränkt sich dabei keineswegs auf ungarische Beiträge der SK-Interpretation. Er zeigt das ambivalente Verhältnis SKs (genauer: von J. Climacus) zur natürlichen Theologie auf: Einerseits verwirft SK die Gottesbeweise (in der Linie von Kant, Fichte und Jacobi), andererseits setzt er eine »unbewusste Kenntnis von Gott« (6; cf. 55, Anm. 91) durchaus voraus. Im Blick auf die PB 1844 sieht C. eine apothatische, negative Theologie am Werk (Gott als das »Unbekannte« 19 f.47). Climacus vertrete einen Supranaturalismus, der sich »gegen die Aufhebung der Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz« wendet (26). Im Blick auf die These der Existenz Gottes handle es sich eminent »um einen existentiellen Satz« (28), der eines Beweises weder fähig noch bedürftig sei. Schon das Bedürfnis des Gottesbeweises spiegle einen Mangel an »innerer Gewissheit« (29). Im Blick auf das Offenbarungsverständnis SKs behandelt C. dessen Verhältnis zu Fichte und zu dem Hegelianer A. P. Adler. Nach SK könne gerade die Geschichtlichkeit der Offenbarung nur als »absolutes Paradox« (54) begriffen werden. Bei seinem Vergleich der Zeitkritik SKs 1846 (LA) mit Schleiermachers Monologen hebt C. hervor, dass sich beide als unzeitgemäße (zu früh gekommene) Gestalten verstehen (57; SK sieht sich 1845 als einen »prophetischen Vogel«, Schleiermacher als einer, der ganz »der Zukunft angehört« KGA I/3 36.9). Beide sieht C. verbunden in »der scharfen Kritik am Utilitarismus und Pragmatismus der Aufklärung« (71). Anders als Schleiermacher beziehe SK die Individualität jedoch nicht auf »die Unendlichkeit der Menschheit« (72).
Im Hintergrund des Vergleichs von SK und Feuerbach (Teil II) steht die Frage, ob nicht vielleicht SK selber als Linkshegelianer anzusehen sei. Dass Feuerbachs Denken in Kopenhagen präsent war, verdeutlicht C. am Beispiel des Kopenhagener Privatdozenten Andreas Frederik Beck, dessen Werk von 1842 SK gekannt hat (82, Anm. 12). So zeigt C., dass SKs Feuerbach-Kenntnis nicht erst von A. Ruge (1844) herrührt (gegen Malantschuk; 82). Obwohl SK die Christentumsauffassung Feuerbachs treffender fand »als die der sogenannten Kirche« (SKS 26; cf. 86, Anm. 3), stellt C. »keine inhalt-liche Übereinstimmung« (82) zwischen beiden fest. Es wäre also in der Tat falsch, SK (mit Löwith, Elrod u. a., 79) als einen Linkshegelianer zu verstehen. C. stellt heraus, dass gerade der späte SK Feuerbach als »Freidenker« loben kann, weil dieser unfreiwillig (indirekt) auf die Ärgernis-Pointe des Christentums verweise (93). Feuerbach komme trotz scharfer Kritik (dämonischer Atheismus) somit doch ganz gut weg, weil er »in taktischer Hinsicht eine brauchbare Figur« darstelle (94 f.; SKS 22,336: ab hoste consilium).
Teil III analysiert Unsterblichkeitskonzeptionen bei Kant und Hegel. Letzterer habe die Unsterblichkeit nicht explizit geleugnet (109; ähnlich schon J. L. Heiberg, 131 ff.; zur Kritik an ihm vgl. P. M. Møller, 134 ff.), aber an das Erkennen gebunden (113 f.). Für SK stellt C. die Differenz zur spekulativen Behandlungsweise heraus (142 ff.). Nach SK (AUN 1846) kann die »existentielle Gewissheit der Unsterblichkeit […] nie Folge theoretischer Deduktionen sein« (146). In seiner Hegelkritik sieht C. eine Affinität zu P. M. Møller (149). C. stellt heraus, wie die Unsterblichkeitsproblematik »zum integralen Kern seines Denkens gehört«, allerdings nie abstrakt-spekulativ erörtert wird, sondern pointiert christologisch (160 f.).
Im Teil IV finden sich »Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie SKs«, wobei der Zusammenhang mit SK eher beiläufiger Art ist. Es wäre interessant gewesen, hier z. B. Tillich und Pannenberg darzustellen. Warum K. Jaspers und K. Rahner gewählt wurden, bleibt offen. Im Blick auf K. Jaspers diskutiert C. die Rationalität des Glaubensbegriffs von SK. Mit W. Anz geht er davon aus, dass Jaspers einen entscheidenden Beitrag zur verstärkten Rezeption SKs in Deutschland geleistet hat (182 f.). Zwar stimmten beide, SK und Jaspers, darin überein, den Glauben »exis­tentiell« aufzufassen (184), aber Jaspers stehe »der Kantschen Idee des reinen Vernunftglaubens näher« als SK (165), weshalb er SKs paradoxen Glauben »leidenschaftlich ablehnt« (186). Zu Recht verweist C. darauf, dass gerade das Paradox als Hinweis auf die »Chiffren der Transzendenz« ganz im Sinne von Jaspers gedeutet werden könnte. Im Blick auf den Inkarnationsglauben SKs zeige sich allerdings ein »unaufhebbarer Gegensatz« zwischen beiden (189).
K. Rahner wird von C. als neuthomistischer Ansatz unter Aufnahme der Philosophie Heideggers interpretiert (190 ff.). Seine Kritik an der Theologie der Krisis (früher Barth) trennt ihn auch von Climacus. Wenn Rahner die mystische Grenze zur These der Erkennbarkeit Gottes (nach Hegel, cf. 193-196) in dem Gedanken festhält, quoad nos bleibe Gott »immer der Unbekannte« (200), markiert dies nach C. eine Parallele zu SK (PB 37/SKS 4,245). SKs Ansatz wird im Anschluss an D. R. Law als apophatische Theologie verstanden (203). Die Einsicht, dass »Gott nie ein Objekt des kategorialen Wissens werden kann«, verbinde beide – bei Rahner jedoch ohne Ausschluss der Möglichkeit natürlicher Theologie (206).
Die Aufsätze sind nicht zusammengehalten durch eine große These oder eine gemeinsame Thematik, sondern leben von vielen interessanten Einzelbeobachtungen. Dabei wird der zeitgeschichtliche Kontext schön ausgeleuchtet. Der gedankliche Zusammenhang ist stets locker gestaltet. Die Forschungsliteratur wird punktuell mit einbezogen (einige Beiträge komplett weggelassen, z. B. von J. Hennigfeld, W. Janke, J. Ringleben, L. Hühn u. a.; in der Hegel-SK-Debatte dominieren bei C. noch Malantschuk und Thulstrup, die hierzulande als überholt gelten). Schwierig ist für manche Leser, dass dänische SK-Zitate meist nicht übersetzt werden (z. B. 30, Anm. 73; 160, Anm. 74; anders 44 bei Anm. 47: Hier fehlt umgekehrt der Originaltext). Gut ist, dass der Band über ein gegliedertes Literaturverzeichnis, Personen- und Sachregister verfügt. Bezüge zu Fichte, Hegel, Feuerbach und Schleiermacher stehen im Vordergrund seines Interesses.