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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

396-398

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Fischer, Klaus P., u. Siegfried Hübner

Titel/Untertitel:

Gott als Geheimnis des Menschen. Annäherungen an Karl Rahner.

Verlag:

Wiesmoor: Adlerstein Verlag 2015. 370 S. Geb. EUR 29,90. ISBN 978-3-945462-28-7.

Rezensent:

Albert Raffelt

Als Karl Rahner 1952 in einer Rezension schrieb, dass er »hier zum ersten und wohl zum letzten Mal der meistzitierte Autor in einem Buch« sei (Sämtliche Werke. Bd. 9, Freiburg 2004, 733), war nicht abzusehen, dass gut 60 Jahre später die Sekundärliteratur zu seinem Werk auf fast 5000 Titel angestiegen sein würde und dass schon Jahrzehnte vorher das »Meistzitiertsein« zumindest in ka­tholischen systematisch-theologischen Arbeiten eher der Normalfall sein würde.
Zu diesem Ergebnis haben die beiden Autoren des vorliegenden Aufsatzbandes – Oratorianer in Heidelberg bzw. Leipzig – Wichtiges beigetragen. Fischers Dissertation Der Mensch als Geheimnis (1974) war eine der ersten umfassenden theologischen Interpretationen des Rahnerschen Werks. Hübner ist von der DDR aus bei Rahner in Innsbruck promoviert worden. Seine großen Verdienste für die Verbreitung der Theologie Rahners in der DDR – etwa durch Publikationen in dem von ihm herausgegebenen Theologischen Jahrbuch – sind stärker im Hintergrund geblieben, vielleicht bis auf die Herausgabe der konzisen, im Westen aus urheberrechtlichen Gründen so nicht möglichen Sammlung der Rahnerschen Beiträge zur Christologie (1974). Dass anderes von kirchlichen (!) Autoritäten verhindert wurde (die von der staatlichen Zensur bedingten Änderungen Rahnerscher Texte im Theologischen Jahrbuch sind relativ gering, wie Vergleiche in Rahners Sämtlichen Werken zeigen), be­weist nur die Enge mancher Amtsträger, die der Rahnerschen Theologie nicht gewachsen waren.
Die Skizze des Umfelds dieser Arbeiten war nötig, um die Aufsätze richtig einzuordnen. Fischers Interpretation steht im Gefolge von Karl Lehmanns Rahner-Porträt von 1970 (heute erweitert und überarbeitet in K. Rahner: Sämtliche Werke. Bd. 1, 2015), der Rahners Theologie von der Zentralität der Gnadenerfahrung in seinem Werk her interpretiert. Diesen Ansatz hat Fischer aufgenommen, spezifiziert und erweitert. Dies ist nicht ohne Widerspruch geblieben, wie vor allem eine Kontroverse mit Peter Eicher im Jahre 1977 gezeigt hat. Es gibt eben doch durchaus verschiedene Interpretationsperspektiven zu dem so komplexen, vielschichtigen Werk Rahners, wobei die Interpretation Fischers m. E. einen zentralen Zu­gang zu Rahners Werk bietet. Auch im vorliegenden Band findet sich (190 ff.) eine Polemik gegen andere Interpretationsansätze, wo­bei bei dem angegriffenen Forschungsbericht von B. J. Hilberath und B. Nitsche die Verfasser eigentümlicherweise nicht genannt werden – anders die folgenden Bemerkungen zu Th. Pröpper und H. Verweyen. Hier – zum Verhältnis von Spiritualität, Theologie, Philosophie und der Eigenart und dem Rang Letzterer in Rahners Denken – wird die Diskussion zweifellos weitergehen.
Der vorliegende Band enthält sechs Aufsätze von Fischer, vier von Hübner. Im einleitenden Aufsatz skizziert Fischer seinen An­satz mit Rahners Begriff einer »ersten Reflexionsstufe« (so in Rahners Grundkurs des Glaubens), d. h. der existentiellen (bzw. »exis­tentialen«) Vergewisserung, die der »wissenschaftlichen« Selbst­reflexion vorausliegt, exemplifiziert an seiner Deutung des Gebets. Dem weiter nachzugehen würde eine komplexe Untersuchung verlangen; das Verhältnis von transzendental/kategorial bei Rahner wäre zu befragen, zu untersuchen wäre, ob der Sprachgebrauch Rahners hier nicht etwas zu sehr gedehnt wird etc. Das wäre für solch eine Einleitung etwas viel verlangt. Der interessierte Leser kann sich an die Dissertation Fischers selbst halten, für den vorliegenden Band ist hier eine Spur gelegt, in der in den folgenden Beiträgen facettenreich Rahners Werk erläutert wird.
Aus einer der Rahner-Festschriften stammt Fischers Beitrag zu Rahners Theologie des Todes. Trotz inzwischen über 30 jüngeren Titeln unter dem Stichwort »Tod« in der Datenbank der Sekundärliteratur zu Rahner bleibt er lesenswert, u. a. da die kritisierten Fehlinterpretationen immer noch ohne Korrektur publiziert werden. Fischer fügt der Rahner-Interpretation pastorale Folgerungen an, die die Verankerung in seiner eigenen Tätigkeit zeigen.
Der dritte Aufsatz von Hübner, aus einer Vorlesung erwachsen, ist als Einführung in Rahners Werk geeignet. Er bietet zu zentralen Themen ausführliche Textpassagen und ist sozusagen ein kleines »Rahner-Lesebuch« mit Lektürehilfen.
In »Philosophie und Mystagogie« geht es um Rahners Denken des »Geheimnisses« in Gegenüberstellung zum und Weiterführung durch das Denken R. Schaefflers.
Die weiteren Artikel behandeln das Theologoumenon vom »ano­nymen Christen«: die Frage nach dem Verhältnis der Evolutionstheorie zur christlichen Theologie und Dogmatik; die »Programmschrift« für die Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance, die auch gegenwärtig ihre Aktualität bewahrt bzw. sogar neu gewonnen hat; Rahner als »Rufer und Helfer zum Glauben« (gleichzeitig wieder eine Einführung in die spirituelle Dimension seiner Theologie); die Theodizeefrage bei Rahner und eine Meditation über das Alter, wobei neben Rahner Joseph Wittig und Carlo Kardinal Martini SJ als Kronzeugen herangezogen werden.
Die Aufsätze bieten perspektivenreiche »Annäherungen an Karl Rahner«, wie es der Untertitel verspricht. Sie sind aus persönlicher Nähe geschrieben, trotzdem nicht unkritisch, und können dazu beitragen, das Interesse an Rahners Theologie wachzuhalten und seine ungebrochene Aktualität deutlich zu machen.
Hinzuweisen ist noch auf die parallele Veröffentlichung von K. P. Fischer: Auf der Suche nach Glauben (2016), im gleichen Verlag, der überhaupt eine Reihe weiterer Rahner-Interpretationen im Programm hat, die zum Teil aus praktischer pastoraler Arbeit mit Rahners Theologie erwachsen sind. Das kleine Bändchen kann ebenfalls als Einstieg in die Beschäftigung mit Rahner dienen. Zur Theodizeefrage gibt es hier eine Parallele.
Es wäre nicht falsch gewesen, die im Wesentlichen »unverändert und ungekürzt« (7) dargebotenen Aufsätze formal doch etwas aufzufrischen, zumal man dies zumindest hinsichtlich der Rechtschreibung getan hat. Hinweise auf die Sämtliche[n] Werke Rah-ners – wie bei Hübners abschließendem Aufsatz – wären dank der Bibliographie Rahners im Internet durchweg leicht möglich und sinnvoll gewesen, da die praktisch abgeschlossene Gesamtausgabe heut­zutage den leichtesten Überblick über das Gesamtwerk bietet. Seite 8 überlässt den »Abgleich der in diesem Band vereinigten Zitate aus Rahners Schriften samt ihrer thematischen Einordnung mit den Texten und Perspektiven, wie sie die neu herausgekommenen Bände Sämtliche Werke Karl Rahners bieten«, großzügig den »Studierenden« dieser Aufsätze. Auch die Übersetzung größerer griechischer und lateinischer Zitate (im zweiten Beitrag) wäre für den vermutlich angezielten Leserkreis nötig gewesen, der doch wohl nicht nur aus Fachtheologen besteht. Schließlich lässt die Typographie erheblich zu wünschen übrig, was angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten in der Satzherstellung nicht recht verständlich ist. Dass plötzlich mitten im Band Endnoten statt Fußnoten auftauchen, ist nicht sehr praktikabel, und der Druckfehlerteufel war auch reichlich tätig. Doch das sind nur formale Einwände, die eigentlich eher ein Lektorat beträfen, das es in der früher üblichen Form heute freilich kaum noch gibt. Die inhaltliche Empfehlung für diesen Band beeinträchtigen sie nicht.