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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

395-396

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Cocksworth, Ashley

Titel/Untertitel:

Karl Barth on Prayer. L

Verlag:

ondon u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2015. 224 S. = T & T Clark Studies in Systematic Theology, 26. Geb. US$ 114,00. ISBN 978-0-567-65560-8.

Rezensent:

Thomas Fries

Die erklärte Absicht dieser als systematische Studie angelegten und als Dissertation verfassten Arbeit von Ashley Cocksworth ist es, nicht nur das Gebet an sich in Barths Theologie darzustellen – dazu gibt es bereits einige Arbeiten, die in vorliegendem Werk berücksichtigt werden –, sondern das In-Bezug-Setzen unterschiedlicher Gebetsformen zur theologischen Dimension wie auch die Herausarbeitung bislang unbeachteter Aspekte in Barths Verständnis des Gebets. Besonders hervorzuheben ist, dass der Vf. von Anfang an die wesentlichen inhaltlichen Punkte der Studie verdeutlicht und in Folge ausführt. Auf sehr übersichtliche und den Leser informierende Weise legt der Vf. ihre These dar, Barths gesamte Theologie a ls eine spirituelle Theologie verstehen zu wollen, was sich mit Barths Überzeugung begründen lässt, dass Theologie »auf den Knien« zu betreiben sei (vgl. 7). Bereits seine ersten wissenschaftlichen Arbeiten waren dem Vaterunser gewidmet, das auch in seinen Predigten und damit in der pastoralen Tätigkeit einen prominenten Platz erhielt. Daher weist der Vf. zu Recht darauf hin, dass das Gebet nicht nur Barths Denken, sondern auch sein Handeln beeinflusst hat. Für seine Zeit untypisch, gibt es für Barth einen engen Zusammenhang zwischen der Theologie (bzw. Ethik) und der spirituellen Praxis des Gebets (lex orandi, lex credendi); Glaube, Gehorsam und Gebet gehen für Barth ineinander über; zu beten bedeutet, Gott gehorsam zu sein. Verbindend zwischen Theologie/Ethik und Gebet ist der Bezug zur Schöpfung, zur Versöhnung wie auch zur Erlösung. Der Vf. verdeutlicht, dass für Barth das Bittgebet in Bezug stehe zur Schöpfung (bzw. der Geschöpflichkeit des Menschen) sowie die Anrufung Gottes zur Ethik der Versöhnung.
Nur in Auszügen kann hier darauf eingegangen werden, wie der Vf. auf das Gesamt der Studie betrachtet Barths Verständnis des Gebets entfaltet, das sich vom »Bittgebet« (Kapitel 3) auf sein späteres Werk hin zur »Anrufung« (Kapitel 4), die »Danken, Loben, Bitten« umfasst (vgl. 102), verändert und verfeinert. Auf den ersten Blick mag überraschen, dass die »Pneumatologie« (Kapitel 5), die im Vergleich zur Christologie bei Barth eine weniger stark ausgeprägte Rolle spielt, in der Studie als eigenes Kapitel behandelt wird. Aus dem Verständnis des Gebets heraus erklärt sich dies: Barth stützt sich zentral auf die Exegese von Röm 8; der Geist Gottes hilft beim Gebet; der Geist verleiht Anteil am Gebet Christi und führt ein in die Teilhabe am Leben der Dreifaltigkeit. Gebet ist bei Barth ein reziprokes, dialogisches Geschehen: Die empfangene Gnade und der Ruf Gottes verlangen vom Beter, auf den Anruf Gottes mit der Anrufung Gottes zu antworten, wobei Ps 50,15 für Barth inspirierend war. Mit der Anrufung Gottes im Gebet verlässt der Gläubige die Ebene des rein Geschöpflichen und transzendiert sich hin auf Gott (»Gotteskindschaft«), was dem Gebet eine eschatologische Perspektive verleiht.
Besondere Beachtung verdient, dass der Vf. die bisher wenig beachtete Frage behandelt, wie rezeptive Gebetsformen wie Meditation und Kontemplation bei Barth vorkommen (insbesondere Kapitel 2), legt dieser doch eine hohe Vorsicht an den Tag in Bezug auf »stille Gebetsformen« mit der Neigung zur Innerlichkeit. Gebet muss für Barth vor allem mündlich, kurz und regelmäßig stattfinden (15) und ist insofern »Handlung« (vgl. dazu auch seine Interpretation des »ora et labora«, auf S. 53 angeführt). Der Vf. deutet verschiedene Gründe an, weshalb Barth das kontemplative Gebet unter den Verdacht des »Mystizismus« gegen den »wahren evan-geli schen Glauben« stellt. Entsprechend unterzieht sie Barths An­sicht einer kritischen Analyse. Verständlich weist der Vf. auf Barths Kritik an Schleiermacher gegen eine allzu eng verstandene Innerlichkeit hin, wobei Barth die Gefahr sieht, Gott mit Projektionen der eigenen Innenwelt zu verwechseln. Wenn auch in diesem Punkt eine Anlehnung an Feuerbach zu erahnen ist, dient dieser »Projektionsgedanke« doch nur der Unterscheidung von Schleiermacher. Beim Wissen um die absolute (oder nach Schleiermacher »schlechthinnige«) Abhängigkeit des Menschen von der Gnade Gottes beim Gebet, steht Barth wiederum nahe beim deutschen Theologen. Zentraler Punkt der überzeugenden Analyse des Vf.s ist, dass die Kontemplation bei Barth wenn, dann vor allem durch den Bezug zur Theologie des Sabbats begründet werden kann (vgl. 37–50): Am Sabbat ist der Mensch dazu aufgerufen, Gottes Wort zu hören und in dialogischer Absicht darauf zu antworten: Dem Wort Gottes wohnt eine transformierende Kraft inne (vgl. 51–56). Dass die transformierende Kraft des Gebets, das Barth ja wesentlich als Handlung erachtet, nicht beim Beter stehen bleibt, wird anhand des Kapitels 6 verdeutlicht: Aufstand und Empörung angesichts von Unrecht und Unterdrückung erwachsen für Barth aus dem Gebet. Das heißt, dass das Gebet sich auf moralisches Verhalten und ethisches Entscheiden auswirkt und einen regelrecht sozialen Charakter erhält (vgl. insbesondere 151–167), was bei dem Vf. in der Feststellung mündet: »Christian life of prayer is demanding, costly and difficult« (167). Mit der kompakten Studie, die in den wesentlichen Schlagworten ein differenziertes Register umfasst, liegt ein übersichtliches und gut lesbares Werk zum Gebet bei Karl Barth vor, das dem interessierten Leser sehr zu empfehlen ist.