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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

379-380

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Ströbele, Christian

Titel/Untertitel:

Performanz und Diskurs. Religiöse Sprache und negative Theologie bei Cusanus.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2015. 405 S. = Texte und Studien zur Europäischen Geistesgeschichte. Reihe B, 12. Kart. EUR 56,00. ISBN 978-3-402-15998-9.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Diese Arbeit von Christian Ströbele wurde 2013 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Tübinger Universität als Dissertation angenommen und für den Druck gekürzt.
S. geht von der Frage aus, wie man angemessen von Gott sprechen kann. Er meint: »Wo ein allgemeiner Ausweis des Wahrheits- und Geltungsanspruchs religiöser Rede ausbleibt und lediglich eine unmittelbare Ursprungsbeziehung zu Gott prätendiert wird, sind fideistische bis fundamentalistische Fehlformen eines Verständnisses von Religion und religiösem Glauben eine naheliegende Gefahr«. Von Gott angemessen zu sprechen, müsse »auf dem Forum kritischer Vernunft ausweisbar« sein, doch dürfe dies nicht dazu führen, einen »›Gott der Philosophen‹ zu dublettieren«. Um aus der Krise immanenter Deutesysteme herauszufinden, dafür gebe es nur Modelle. Ein solches sei die Ausarbeitung einer ›negativen Theologie‹. So, wie sie Cusanus versteht, sei sie »eine Rahmenreflexion von Möglichkeitsbedingungen religiöser Rede von Gott im Status philosophischer Propädeutik« (7,9).
S. diskutiert »die ontologischen (II), epistemologischen (III) und […] (IV) die sprachtheoretisch-methodologischen Grundlagen und Aspekte der cusanischen negativen Theologie«. Diese gründet aber in ›Affirmationen‹ (12,18). Die ontologischen, semantischen und epistemologischen Rahmenbegriffe seien unzureichend dafür, das Göttliche zu begreifen. Die negative Theologie liefere nicht nur Negationen, sie begleite vielmehr kritisch die »Versprachlichung« der Theologie bei ihrer Rede von Gott. Cusanus meint, diese Rede müsse » Ausdruck des Lobes ihres Urhebers« sein (36). Sich gegen den Vorwurf seines schärfsten Kritikers Johannes Wenck wendend, dass für ihn »Gott der Form nach alles ist«, betont er, dass Gott creator und formator der Dinge in ihren eigentümlichen Formen sei und in allem subsistiere: »Alles Wirkliche existiert ›in‹ Gott.« Alles Wirkliche ist unmittelbar in Gott. Alles ist in Gott Gott (De docta ign. II, c. 5, n. 118). Das Wirkliche kommt nur den Individuen zu, sie haben ein »Sein-an-etwas«. Ein Grundzug seines Denkens, der Ineinsfall negativer und quasi-positiver Aussagen wird hier deutlich. Cusanus spricht von Gott »als Prinzip allen Bestehens von Wahrheiten und aller Aussagbarkeit«, er kann dabei sogar den Seinsbegriff auf Gott anwenden, doch als »seiend in nicht-seiender Weise« (De mente, n. 153, 78).
Bei Cusanus nimmt die Epistemologie einen besonderen Rang ein, sie versucht, »die Grenzen des Wissbaren zu erfassen« und möchte das Wissen »vom Vielen zum Einen hin« orientieren. Der endliche Geist erfasst aber seinen ewigen Grund in Gott als nicht-erfassbar, so ist der Glaube»die höchste Stufe der belehrten Unwissenheit«, der »Denkvollzug ist nichts anderes als Explikation des Glaubens«. Der Intellekt erreicht nur eine relative Erkenntnis, er kann nur mutmaßen auf Grund dessen, was er erkennt, etwa durch »sinnlich-erfassbare Bilder«. Dabei erschaut der Mensch sich als Gottes Abbild. Indem ich erkenne, »dass Sichtbares vom unsichtbaren Gott geschaffen ist, damit er sich zeige, wende ich mich […] zum unsichtbaren Gott selbst als zur Ursache« (85–145).
Im umfangreichsten Kapitel untersucht S. die sprachtheore-tischen und methodologischen Gesichtspunkte der cusanischen Rede vom Göttlichen (146–342). Schwierig ist, dass uns die Worte fehlen, um auszudrücken, was wir meinen, wenn es um Gott geht, wir können nicht einmal meinen. Darum bleibt es die Aufgabe der negativen Theologie zu erschließen, worin religiöse Rede gründet. Sie könne nur im Lob Gottes erfolgen; Theologie versteht Cusanus darum als »Wissenschaft des Lobes« (146 f.). S. will dabei die These von Christiane Fischer in ihrer Dissertation »Deus incomprehensibilis et ineffabilis« präzisieren, sie habe behauptet, »alle ›Benennung‹ Gottes« bestehe »im Benennen seiner Unbenennbarkeit«, weil sie in ihrer Arbeit sein Predigtwerk ausgespart habe. In seinen Predigten habe er Namen Gottes unterschieden und ihre Aussagbarkeit thematisiert. Doch weist sie auf einige Predigten hin: XX, XXII, XXIII, XVLIII (149 f.). Auch wenn Cusanus in frühen Predigten sich bereits mit der Sprachproblematik befasst und dabei die religiöse Praxis theologisch reflektiert, für ihn bleibt es bei der Unerkennbarkeit des göttlichen Wesens. Auch ändert daran nichts, dass er auf der via eminentiae vom »Überbesten« oder auf der via negationis vom »nicht der beste« spricht. Alle Namen für Gott, um die er ja zeitlebens ringt, sind unpassend, keiner sei wirklich ange-messen. Der »wahre Name« Gottes bleibe unserem Begreifen und Sprachvermögen ebenso entzogen wie ein wahres Erkennen des Göttlichen. Sicher trifft das zu, doch hat sich Gott in seinem Wort dem Menschen offenbart und gibt sich ihm so zu erkennen. In Idiota de sapientia spricht er darum von einer theologia sermocinalis, in der die vis vocabuli betont und so zu einer theologia facilis (186. 199.234 ff.321 f.) wird. Das müsste deutlicher hervorgehoben werden. Auch mit der Bezeichnung »Possest« ist Gott »über jedem Na­men, mit welchem das, was sein kann, benennbar ist«, Gott ist über Sein und Nichtsein.
Schon in der antiken jüdischen Theologie wurden anthropomorphe Redeweisen auf Manifestationen des Göttlichen bezogen und vor allem von Ps.-Dionysios adaptiert. Diese Traditionslinie greift Cusanus auf, wenn er davon spricht, dass wir von Ähnlichkeiten im Geschaffenen zu dem aufsteigen, was alles übersteigt (246–248). Jesus hat uns Gott geoffenbart, aber als nichtsichtbar. Via negationis und via eminentiae ergänzen sich, Gott kommt kein eigentlicher Name zu, ein solcher müsste über jedem verfügbaren Namen stehen; auf beiden Wegen gibt es kein vollkommenes Wissen von Gott. Gott ist allnennbar und zugleich unnennbar, alle Namen sind endlich (264.269.272). So ist Gott auch nicht einfach der »Zusammenfall der Gegensätze«. Cusanus zieht aber die via negationis als den »wahreren Weg« vor (297.300). Es bleibt dabei, »Gott wird nicht auf andere Weise als im Glauben gesehen«; »die Glaubensmysterien (sind) letztlich strikt ›unaussprechlich‹« (340). Die negative Theologie kann am ehesten zur »Höhe der Einsicht« führen und ist so eine philosophisch-theologische Propädeutik (354. 358). Zuletzt erörtert er, wie das Thema in der heutigen Theologie und Philosophie aufgenommen wird.
Die grundgelehrte Untersuchung von S. ist umfassend, die einschlägigen cusanischen Schriften werden herangezogen; dabei fällt aber auf, dass seine letzte Schrift (De apice theoriae), in der Cusanus mit dem Namen »posse ipsum« meint, die höchste mögliche Stufe der Gotteserkenntnis, die »Schau des Unbegreifbaren« (n. 11,3) er­reicht zu haben, kaum herangezogen wird. S. geht in seiner Arbeit nicht chronologisch vor, das ist zu bedauern. Doch ergänzt er die Arbeiten anderer Autoren (Fischer, Theruvathu u. a.).
Die Schrift ist nicht leicht lesbar – vor allem, weil Wichtiges in den Fußnoten steht. Dazu kommen eigenwillige Wortschöpfungen. Register sind nicht beigegeben.