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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

369-371

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Fürst, Alfons, u. Christian Hengstermann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Origenes Humanista. Pico della Mirandolas Traktat De salute Origenis disputatio.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2015. 464 S. = Adamantiana, 5. Geb. EUR 62,00. ISBN 978-3-402-13715-4.

Rezensent:

Andrea Villani

Origenes hätte sich kaum einen besseren Anwalt wünschen können, heißt es oft, wenn es um die Apologie geht, die der junge Graf Giovanni Pico della Mirandola 1487 für ihn – und vielleicht auch für sich selber – verfasst hat. Dieser Band ermöglicht es, dies bestens nachzuvollziehen, indem die Personen und Themen vorgestellt werden, die in den Fall Picos involviert waren, und die Originaltexte, mit Hilfe derer diese Geschichte rekonstruiert werden kann, wiedergegeben werden. Wenn auch der Fokus auf Pico und dessen Verteidigung des Origenes bleibt, erläutern die Beiträge doch den allgemeineren historischen und theologischen Kontext, in den Picos Text einzuordnen ist. Damit bieten sie wichtige Einblicke in den Origenismus der Renaissance, wie es der auf den ersten Blick etwas enigmatische Titel schon andeutet, welchen man auf zwei Arten verstehen kann: Pico als der neue Origenes unter den Humanisten – oder auch die Wiederbelebung des Origenes im Humanismus. Beides trifft zu.
Die Ergebnisse aller anderen Beiträge vorwegnehmend und teilweise auch bereichernd skizziert A. Fürst im einleitenden Beitrag (11–98) auf lebendige Weise die Geschichte der Wiederentdeckung des Origenes in der italienischen Renaissance, von Valla (der an einem solchen »revival« noch unbeteiligt bleibt und sich ganz im dominierenden Augustinismus bewegt) über Ficino bis zu Pico, ohne es dabei zu unterlassen, auf die wichtigsten Ausgaben einzugehen, die Origenes zwischen dem 16. und 17. Jh. breiteren Kreisen wieder zugänglich gemacht haben.
Dieser letzte Aspekt steht auch im Fokus des darauffolgenden Aufsatzes, in dem A. Dreßen untersucht, welche Texte des Origenes sich in den Florentiner Bibliotheken der Frührenaissance befanden (99–111). An zwei Orten lassen sich die größten Bestände an origeneischen Schriften ausfindig machen, und zwar im Dominikanerkloster von San Marco und in der Badia Fiesolana, wo sich Pico und dessen Freund Poliziano eine Zeit lang aufhielten. Während die meis­ten exegetischen Schriften vorhanden waren, ist von den Traktaten nur De principiis nachweisbar. Seltsamerweise scheint die Schrift Contra Celsum, welche 1481 in Rom publiziert wurde, nicht vorhanden gewesen zu sein. Es kann dagegen wenig verwundern (pace Dreßen), dass in Florenz kein Exemplar von De oratione auffindbar war, da der einzige noch erhaltene Codex dieses Textes erst Mitte des 17. Jh.s in der Bibliothek der Königin Christine von Schweden von P.-D. Huet wiederentdeckt und bekannt gemacht wurde.
Die Philosophie des Marsilio Ficino (zusammen mit einem kurzen Einblick in die Philosophie Pomponazzis) wird von Th. Leinkauf im Hinblick auf origeneische Elemente untersucht (113–140). Das Ergebnis ist in diesem Fall eher negativ: Obwohl eine gründliche »Ho­rizontaffinität« zwischen Ficino und Origenes angenommen wird, die aus dem gemeinsamen platonischen Hintergrund hervorgeht, glaubt der Autor in Anknüpfung an eine alte Forschungstradition, dass ernsthafte Einflüsse des Letzteren auf Ersteren nicht zu beweisen seien. Hierbei hätte sich eine Auseinandersetzung mit der jüngst erschienenen Monographie von Terracciano gelohnt (Omnia in figura. L’impronta di Origene tra ’400 e ’500, Rom 2012, besonders 45–74), in der die vielen dem Leiter der platonischen Akademie in Florenz gewidmeten Seiten die Schlussfolgerung annehmen lassen, dass man bei Ficino zuweilen, wie z. B. in der Eschatologie, deutliche Anklänge – wenn auch nicht eine direkte Abhängigkeit – an den Alexandriner erkennen kann. Leider scheint diese aufschlussreiche Studie, wahrscheinlich wegen des der Tagung zeitnahen Erscheinungsdatums, allen Autoren unbekannt geblieben zu sein.
Th. Kobusch nimmt die berühmte Oratio de hominis dignitate unter die Lupe (141–159), um deren patristische und besonders origeneische Elemente hervorzuheben, ausgehend vom Thema der zentralen Stellung des Menschen im Kosmos, das sowohl die Oratio als auch die antike christliche Philosophie, als deren Initiator Kobusch Origenes sieht, durchzieht. Vor allem in den Überlegungen über die Grundidee der Freiheit des Menschen, d. h. die Fähigkeit, seine Natur selber zu bestimmen, lässt sich Origenes hinter Picos Zeilen erahnen. Kobusch versteht es aber auch, mehrere Einzelaspekte von Picos Denken und Methodik auf Origenes zurückführen, nicht zuletzt – um nur ein Beispiel zu nennen – den Begriff der Theologie als die Spitze der Philosophie.
Dass nicht nur Picos Schriften, die direkt mit dem Fall Origenes verbunden sind, interessante Zeugnisse von dessen Origenismus sind, zeigt der Beitrag von Ch. Hengstermann, der dem Genesiskommentar gewidmet ist, welchen Pico mit dem Titel Heptaplus versehen hat (161–195). Wie der Autor erklärt, werden im Heptaplus einige Themen, die in der Oratio – gemäß der Gattung einer Rede – nur kurz behandelt wurden, ausgebreitet und erweitert. So erlebt z. B. im Heptaplus das in der Oratio umrissene »origeneische Konzept der Freiheit als dynamischer Selbstschöpfung« »eine eingehende spekulative Entfaltung« (163). Aber hier greift Pico auch auf hermeneutische Grundlinien zurück, die auf Origenes zurückgehen, was die Gegenüberstellung von Genesisauslegungen von Origenes und Pico mittels mehrerer Beispiele verdeutlicht.
In seinem zweiten Beitrag zum Band untersucht A. Fürst ausführlich und detailliert Picos Apologie (De salute Origenis disputatio, 197–238). Nach einer kurzen Schilderung der historischen Ereignisse, die zur Verfassung des Textes geführt haben, und dessen Einordnung in die zur Renaissancezeit schon alte Debatte über die Verdammung bzw. das Seelenheil des Origenes folgt ein kurzer aufklärender Abschnitt, in dem die Geistesverwandtschaft zwischen Pico und Origenes erläutert wird. Hierbei geht Fürst auf die spezifischen Argumentationsweisen der zwei Autoren ein, deren Ähnlichkeit er in der Betonung der Vernunft als Basis jedes philosophischen oder theologischen Diskurses sieht. Die darauffolgenden Seiten führen die wichtigsten Punkte von Picos Verteidigungsschrift an, erörtern die Themen der origeneischen Theologie sowie die kirchenrechtlichen Fragen, die bei Pico zur Sprache kommen, um dann am Ende eine kurze Skizze von Picos Origenes zu zeichnen.
N. Köster hat sich die Aufgabe gestellt, die Figur des Pedro Garcia, des Gegners Picos, zu beleuchten, und seine Abhandlung gegen Pico vorzustellen (239–275), die schon von Crouzel als ein Beispiel großer Unwissenheit bezeichnet (und kritisiert) wurde. Bildhaft und zutreffend werden die Argumentations- und Denkweisen Picos und Garcias als die Gegenüberstellung von Renaissance und Mittelalter charakterisiert. Während der junge Graf sich ganz auf die Vernunft und die freie wissenschaftliche Forschung stützte, bediente sich dagegen der päpstliche Kommissar in scholastischer Manier nur des Autoritätsprinzips; damit war ein Disput schon von Anfang an ausgeschlossen. Ein letzter kurzer Paragraph schildert Picos Rehabilitation durch den Papst Alexander VI., und einige interessante Addenda bieten die Möglichkeit, Picos Verhältnis zu den von der Auseinandersetzung betroffenen Päpsten, Innozenz des VIII. und Alexander des VI., anhand der Originalquellen (oder deren deutschen Übersetzungen) zu erfassen.
Im zweiten äußerst begrüßenswerten Teil des Bandes werden Picos Apologie (280–369) und Garcias Traktat (370–429) in einer neuen kritischen Ausgabe und einer ersten deutschen Übersetzung wiedergegeben. Dem Text ist ein ausführlicher Apparat beigefügt, der die wichtigsten Varianten aus vorherigen Ausgaben, von der Inkunabel 1487 bis Crouzel 1977 wiedergibt (seltsamerweise scheint allerdings die neueste kritische Ausgabe der gesamten Apologie von P. E. Fornaciari, Florenz 2010, nicht berücksichtigt worden zu sein). Die Übersetzung – soweit ein nicht deutscher Muttersprachler dies beurteilen darf – erweist sich als flüssig und originalgetreu. Zahlreiche Anmerkungen, die den Kommentar Crouzels bereichern und teilweise korrigieren, machen den Text auch Laien besser verständlich. Ein Quellenverzeichnis und mehrere Register runden den Band ab.
Zum Schluss bleibt nur den Wunsch auszusprechen, dass sich kein am Origenismus, Humanismus oder der Renaissance interessierter Leser die Lektüre dieses lehrreichen und anregenden Bandes entgehen lasse.