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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

366-368

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Dirschlmayer, Michaela

Titel/Untertitel:

Kirchenstiftungen römischer Kaiserinnen vom 4. bis zum 6. Jahrhundert. Die Erschließung neuer Handlungsspielräume.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2015. 268 S. = Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsbände. Kleine Reihe, 13. Geb. EUR 44,00. ISBN 978-3-402-10920-4.

Rezensent:

Christiane Kunst

Die Dissertation von Michaela Dirschlmayer ist aus dem Exzellenzcluster »Die Herausbildung normativer Ordnungen« an der Goethe-Universität Frankfurt hervorgegangen und vom renommierten Althistoriker Hartmut Leppin betreut worden. Sie steht im Kontext einer in den letzten 20 Jahren zu beobachtenden intensiveren Erforschung der Rolle und Verortung der Frauen des rö-mischen Kaiserhauses und wendet sich deren Stiftungen von Kirchen in der Zeit zwischen der Kaisermutter Helena (gest. 330) und Sophia, Ehefrau des oströmischen Augustus Iustin II. (565–578), zu.
Trotz punktuell belegter Gebäudestiftungen seitens kaiserlicher Frauen im Principat sieht D. die vielfach belegten Kirchenstiftungen spätantiker Kaiserfrauen als neuen Aspekt weiblichen Handelns und eng mit dem Wandel des Kaisertums in der Spätantike verbunden. Die ältere Forschung hat auf der Basis der Aussagen des Eusebios von Caesarea im Wirken von Constantins Mutter Helena die Blaupause für Kirchenstiftungen kaiserlicher Frauen gesehen.
Vor diesem Hintergrund geht D. der Frage nach, ab wann und in welchen Quellen Kirchenstiftungen kaiserlicher Frauen überhaupt konkret nachweisbar sind. Hierfür wertet sie Informationen literarischer Quellen ebenso aus wie den epigraphisch-archäologischen Befund. Ein zweiter Fragenkomplex richtet sich auf die aus den Kirchenstiftungen ableitbare Stellung einer Kaiserfrau und die damit einhergehenden Handlungsspielräume, die sich nach An­sicht D.s aus dem religiösen Wandel ergaben.
Nach einer Einleitung (I), die neben der Fragestellung knapp den Forschungsstand sowie die methodischen Überlegungen D.s referiert, gliedert sich die Arbeit in drei chronologische Abschnitte, in denen in biographischer Perspektive die Stiftungen der Kaiserfrauen der Reihe nach besprochen werden. Der erste Abschnitt (II) ist dem 4. und 5. Jh. im Westen mit den Metropolen Rom, Mailand und Ravenna gewidmet, während die Teile zwei (III) und drei (IV) die Entwicklung(en) in Konstantinopel im 5. und 6. Jh. beleuchten. Methodisch orientiert sich D. an der von Egon Flaig (1992) für den Principat konzipierten Theorie, dass kaiserliche Herrschaft auf der Akzeptanz von Heer, Senat und stadtrömischer Bevölkerung be­ruht habe. Diese ist zuerst von Steffen Diefenbach (1996) auf die oströmische Herrschaft übertragen worden – erweitert um die Komponente der Frömmigkeit als Herrschertugend. Darüber hinaus akzeptiert D. die von René Pfeilschifter (2013) diskutierte Geistlichkeit als vierte Akzeptanzgruppe des spätrömischen Kaisertums. D. sieht die Kirchenstiftungen kaiserlicher Frauen als Medien zur Herstellung von Herrschaftsakzeptanz und betont ihren Charakter als kaiserliche Repräsentationsbauten zur Kommunikation der Herrscherfamilie mit der Stadtbevölkerung der jeweiligen Herrscherresidenz. Während aus dem gewählten theoretischen Rahmen kaum neue Erkenntnisse geschöpft werden, bedeutet die handwerklich gut gemachte quellenkritische Betrachtung des Ma­terials eine deutliche Innovation und gehört zu den Stärken des Bandes. Sehr überzeugend kann D. zeigen, wie der Wertediskurs der antiken an die zahlreichen inter- und intrareligiösen Diskurse gebunden ist und die Erwähnung bzw. Zuschreibung von Kirchenstiftungen beeinflusst hat. Ein nizänisch geprägtes und auf den Osten gerichtetes Interesse der Autoren erklärt die deutliche Diskrepanz in der Befundlage zu den individuellen Stiftungen einzelner Frauen.
Auf der Basis ihrer vorbildlichen Quellenauswertung gelingt es D. ferner, die gängige These, Helena habe als Vorbild für spätere Kirchenstiftungen gewirkt, zurückzuweisen. Stattdessen legt sie dar, dass es sich um retrospektive Zuschreibungen handelt, die auf der Basis eines von Eusebios begründeten Diskurses über Kirchenstiftungen beruhen, der wiederum eingebettet ist in die Herrscherpraxis der Armenfürsorge und damit als Akt der Frömmigkeit gewertet wird. Im 5. Jh. – so D. – nimmt dieser Frömmigkeitsdiskurs erheblich an Fahrt auf und stilisiert die oströmischen Kaiserfrauen zu dessen Trägerinnen, wobei ihnen immer stärker die Rolle der »Ansprechperson« in religionspolitischen Belangen am Hof zugewiesen wird. D. sieht in dieser dezidiert gesteigerten Einbindung der Kaiserfrauen in die Herrscherrepräsentation einen Beleg für ihren erweiterten Handlungsspielraum. Allerdings, räumt sie ein, sind Kirchenstiftungen gerade dort anzutreffen, wo kein Herrscher das Geschehen aktiv bestimmte oder bestimmen konnte. Pulcheria, scheint es, nimmt eine Sonderstellung ein, indem sie sich in besonderer Weise der Frömmigkeit bemächtigte und ihre Position neben dem Herrscherpaar in der Nachfolge Mariens inszenierte. D. arbeitet darüber hinaus anschaulich die Kooperation der Kaiserfrauen mit den Bischöfen der jeweiligen Residenzen heraus. Daraus scheint jedoch kein eigenes Netzwerk der Kaiserfrau ableitbar, sondern D. zeigt, dass eine funktionierende Kooperation auf dieser Ebene stets herrschaftsstabilisierend wirkte und auch von den Kaisern praktiziert wurde. Die Tatsache, dass Theodora nicht als alleinige Stifterin auftrat, sondern stets zusammen mit ihrem Gatten Iustinan handelte, wertet D. als Aufstieg an die Seite des Herrschers. Ob die Kaiserfrauen tatsächlich ihre Handlungsspielräume erweiterten, bleibt dennoch fraglich, es sei denn, man be­trachtet ihre gesteigerte Präsenz, sei es als Stifterinnen oder Vermittlerinnen in religiösen Konflikten, als strukturelle Aufwertung ihrer Rolle. Hier lohnt es sich, weiter zu diskutieren. Unbestreitbar ist: Dort wo der Kaiser fehlt oder zu jung ist, kann die Kaiserfrau als Vertreterin der Dynastie eigenständigen Handlungsspielraum be­anspruchen. An seiner Seite kommt ihr vorrangig eine komplementäre Rolle zu und dazu gehört auch, dass sie zur »Repräsentantin« religiöser Minderheiten wird, denen auf diese Weise bewusst Gehör am Hof verschafft wurde, um sie in die Herrschaft integrierbar zu machen.
D. hat mit ihrer Dissertation ein lesenswertes Buch vorgelegt, das der Diskussion um die Rolle der Kaiserfrauen einen wichtigen Mosaikstein hinzufügt und dessen bleibender Wert in der soliden Dokumentation überlieferter Stiftertätigkeit liegt.