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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

345-347

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bons, Eberhard

Titel/Untertitel:

Textkritik und Textgeschichte. Studien zur Septuaginta und zum hebräischen Alten Testament.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XI, 262 S. = Forschungen zum Alten Testament, 93. Lw. EUR 94,00. ISBN 978-3-16-150966-7.

Rezensent:

Siegfried Kreuzer

Eberhard Bons, Professor für Altes Testament in Strasbourg und Mitarbeiter sowohl am deutschen (Septuaginta-Deutsch) als auch am französischen (La Bible d’Alexandrie) Übersetzungs- und Kommentarprojekt zur Septuaginta, legt hier Aufsätze zu seinen hauptsächlichen Arbeitsgebieten vor, nämlich zu den Psalmen sowie zu Hosea, Amos, Daniel und Ruth. Im Vorwort verweist B. auf die intensive Entwicklung, die die Septuagintaforschung für sich, aber auch bezüglich ihrer Berücksichtigung in den Bibelwissenschaften in jüngster Zeit erfahren hat und auch verdient (ein Thema das in den einzelnen Beiträgen wiederholt aufgenommen wird), und er gibt Hinweise zu den folgenden Beiträgen.
Der erste Teil zu den Psalmen umfasst: »Der Septuaginta-Psalter – Übersetzung. Interpretation. Korrektur« (9–29). B. zeigt anhand einer Reihe ausgewählter Stellen die Eigenheiten und Besonderheiten der Psalmenübersetzung, wobei er nicht zuletzt vor zu einlinigen Festlegungen warnt:
»Der LXX-Psalter bietet in der Regel eine Übersetzung, die vom Konsonantentext nur wenig abweicht, was Wortarten, Wortfolge und Syntax angeht. Dieser Befund wird aber nicht zureichend interpretiert, wenn man hierin lediglich eine ›Wort-für-Wort-Übersetzung‹ erkennt, die zum hebräischen Text hinführt oder seinen Sinn weitgehend zu bewahren sucht. Der detaillierte Vergleich […] zeigt vielmehr, dass der Übersetzer keineswegs ›mechanisch‹ oder ›schematisch‹ vorgeht. […] Dass trotz aller ›Wörtlichkeit‹ der Übersetzung hier bereits ein gewisser Grad von Interpretation im Spiel ist, ist unverkennbar.« (27 f.) »Sowohl an Stellen, die obskur wirkten, wie auch in den Passagen, die als theologisch anstößig gelten konnten, fühlte der Übersetzer sich offenbar frei, vom Verfahren der Wort-für-Wort-Übersetzung abzuweichen und seine Vorlage zu korrigieren. Die von ihm gefundenen Lösungen spiegeln wohl kaum seine persönlichen Vorlieben wider, sondern die Überzeugungen und Traditionen, die er in seiner Gemeinde vorfand.« (28) »Möglicherweise kommt man der Wahrheit ziemlich nahe, wenn man annimmt, dass der Übersetzer zugleich interpres und expositor, Dolmetscher und Schriftgelehrter, war.« (29)
Die folgenden Beiträge exemplifizieren und differenzieren dieses Bild anhand verschiedener Formen, Texte und Themen: »Die Rede von Gott in den PsalmenLXX« (31–50). Der Übersetzer weicht in verschiedener Weise von seiner Vorlage ab, wobei die Wiedergabe hebräischer Begriffe sowohl differenzierend als auch vereinheitlichend erfolgte. Sowohl die Aussagen über Gott als auch die Aussagen über seine Verehrung und die Beziehung der Menschen zu Gott erfahren dabei diverse Neuakzentuierungen.
»Beobachtungen zur Übersetzung und Neubildung von Parallelismen im Septuaginta-Psalter« (51–64): Der Umgang mit den Parallelismen erfolgte in verschiedener Weise, wobei neben der formalen Gestaltung auch inhaltliche Akzente gesetzt werden, zumal gelegentlich auch Parallelismen ergänzt bzw. neu gebildet wurden. Am Schluss des Beitrags verweist B. darauf, dass auch in Proverbia und auch in Matthäus und Lukas bei der Herstellung von Parallelismen ein ähnlicher produktiver Umgang mit der Tradition zu beobachten ist, was einen interessanten »Beitrag zum Studium der innerbiblischen Interpretationsverfahren darstellen kann.« (64)
»Psalm 7 in the Septuagint« (65–79): Neben vielen anderen Beobachtungen ist festzustellen, dass der Übersetzer auch dort, wo der hebräische Text unklar oder unverständlich war, »always tries to suggest a translation which fits the context. Even in places where he seems not to know a Hebrew word, the translation is never meaningless. On the contrary, an ›error‹ can be fruitful in engendering other readings of the text (cf. nos 3 and 10 above)« (78).
»Die Septuaginta-Version von Psalm 22« (81–96): B. erörtert insbesondere die Differenzen in V. 1 f. und, dass im griechischen Text der sogenannte Stimmungsumschwung (siehe V. 22b MT) an anderer Stelle und in anderer Weise erfolgt als im hebräischen Text. Hervorzuheben ist, »dass der griechische Psalmtext – sicherlich viel deutlicher als der hebräische – das Motiv der Gottesferne und Gottverlassenheit in den Kontext der Hoffnung und Rettung stellt […] Und damit bietet er den Anknüpfungspunkt für eine Rezeption, die ebenfalls im Neuen Testament, besonders im Lukasevangelium ihren Ursprung hat.« (95 f.) Es folgen »How Does Psalm 32 LXX Speak about Creation?« (97–106), »Psalm 33:7: nd oder nʼd: ›Deich‹ oder ›Schlauch‹?« (107–114) und »Translating and Annotating Psalm 72LXX« (115–131).
Zweiter Teil: Hosea – Amos – Daniel – Ruth: »Geschichtskonzeptionen des Hoseabuches – Ein Vergleich von Masoretentext und Septuaginta« (135–148): Neben dem Geschichtsbild in den beiden Textformen geht es um die Lenkung der Geschichte und deren Deutung: »Gott als παιδευτής: Die Funktion der Erziehungsidee in der Hosea-Septuaginta und ihre Nachgeschichte in der biblischen und parabiblischen Literatur« (146–148).
»A Mad Cow in the Bible? The Simile ὡς δάμαλις παροιστρῶσα παρ-οίστρησεν Ισραηλ (Hos 4:16LXX) and Its Literary Background« (149–155): Ist das den hebräischen Text steigernde Bild von dem von einer Pferdebremse gestochenen Rind eine Anspielung auf die Erzählung von Daphnis und Chloë und weitere griechische Literatur, womit der Übersetzer seine klassische Bildung zeigt? (154) Diese müsste dann auch zumindest einen Teil der Leserschaft kennzeichnen.
»The Significance of ὡς ἄρκος ἀπορουμένη in Hos 13:8LXX« (157–163) und »Seltene Wörter in der Septuaginta des Amosbuches (Am 3,5.15): ἰξευτής, σχάζομαι, θερινός, περίπτερος (165–176): Beide Beiträge zeichnen sich durch sorgfältige Analysen des Textes und umfangreiche Nachforschungen in der Literatur der Umwelt aus.
»Amos 5,26 – Überlegungen zur Textkritik, Textgeschichte und Übersetzung eines schwierigen Bibelverses« (177–187): Auch hier zeigt sich, dass der Übersetzer für einen schwierigen und uneindeutigen Text (bei dem auch moderne Übersetzungen Umstellungen vornehmen) eine sinnvolle Lösung gefunden hat.
»Filtered Wine. Some Comments on the Hebrew and Greek Texts of Amos 6:6a and the Meaning of the Phrase οἱ πίνοντες τὸν διυλισμένον οἶνον« (189–200): Gefilterter Wein galt als besonders köstlich und als ein Luxus. (Das wird jeder verstehen, der einmal Hans Moser »aber gerebelt, aber gerebelt, aber gerebelt muss er sein« singen gehört hat.)
»Ein Ziegenhirt in der Politik? Beobachtungen zu Amos 7,10–17LXX« (201–206): Die von dem Priester Amazja gewählten Bezeichnungen für Amos (in etwa: Anführer eines Volksaufstandes) zeigt die zeitgenössische Wahrnehmung solcher Personen, während Amos in seiner Selbstbezeichnung auch in der Septuaginta ein einfacher Hirte bleibt.
«Azariah’s Prayer (DanielLXX 3:26–45) – Some Observations on Its Function in the Context« (207–216): Das Gebet des Azarias ist anerkanntermaßen eine gegenüber dem Kontext eigene Größe. B. fragt aber darüber hinaus nach der Funktion des Gebets im Kontext, nach Stichwortverbindungen und thematischen Gemeinsamkeiten. Es steht am Höhepunkt der Handlung und verzögert den Ablauf bzw. steigert die Spannung; es macht damit zugleich in besonderer Weise auf das durch Azarias Gesagte aufmerksam. Die Parallelität zum Gebet der drei Jünglinge im Feuerofen sollte beachtet werden. Das vor Nebukadnezar in 3,17 LXX noch zögerlich geäußerte Bekenntnis festigt sich und wird zur exis­tentiellen Erfahrung. Angesichts dieser Aussagen wird die Errettung der Jünglinge nicht bloß ein mirakulöses Ereignis, sondern sie wird zu einem Beispiel für das rettende Handeln Gottes: »the deliverance of the three youths is just one example of how God cares for the faithful« (216).
»Die Septuaginta-Version des Buches Ruth« (217–239): Bei aller Wörtlichkeit der Übersetzung findet sich doch eine Reihe von Varianten, Auslassungen, Zusätzen und Umstellungen sowie, an schwierigen Stellen, »aus dem Kontext abgeleitete Neuübersetzungen (›contextual guesses‹)« (232). Ein interessantes Phänomen ist auch, dass ein und dasselbe hebräische Wort unterschiedlich übersetzt werden kann, wie auch umgekehrt, dass verschiedene hebräische Wörter mit einem gemeinsamen griechischen Begriff wiedergegeben werden. Der Übersetzer bewältigt damit nicht nur sprachliche und exegetische Probleme, sondern er setzt auch eigene Akzente. B. folgt der seinerzeit durch D. Barthélemy vertretenen Zuordnung von Ruth zur kaige-Rezension (und zwar nicht als Revision, sondern als Neuübersetzung) und damit einer Entstehung vor 50 n. Chr. »Gegen den Entstehungsort Palästina sprechen keine wesentlichen Gründe.« (239)
»The Vocabulary of Servitude in the Septuagint of the Book of Ruth« (241–249): Der Beitrag exemplifiziert die oben genannten Eigenheiten der Septuaginta-Version des Buches Ruth an den fünf verwendeten Begriffen aus dem Wortfeld von Knecht, Magd, Dienstbarkeit. Die Begriffe sind auch durch Papyri aus Ägypten belegt, die allerdings auch in Palästina bekannt gewesen sein konnten. »We cannot exclude the possibility a priori that a competent translator, in Palestine or elsewhere was able to draw on several sources for his terminology: the Hellenized Jewish world, the Jewish diaspora and the pagan world.« (249)
Der gehaltvolle und informative Sammelband wird abgeschlossen und erschlossen durch den Nachweis der Erstveröffentlichungen (251 f.) und durch mehrere Register (253–262). Insgesamt ist zu würdigen, dass Bons bei aller Bemühung um philologische und textgeschichtliche Details doch auch immer wieder zu den theologischen Anliegen und Aussagen der Texte vordringt und auch diese überzeugend darstellt. Insofern geht es immer wieder um mehr als der Titel »Textkritik und Textgeschichte« vermuten lässt.