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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

296–298

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Riedl, Andrea, u. Nino Sakvarelidze[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der sichtbaren Gemeinschaft entgegen. Impulse junger orthodoxer und katholischer Theologinnen und Theologen.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Herder 2015. 208 S. = Forum Ökumene, 1. Kart. EUR 16,99. ISBN 978-3-451-34763-4.

Rezensent:

Reinhard Thöle

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Mathew, Biju (Fr Dhanyananda Oozhikattu MSJ): The Role of the Petrine Ministry in the Ecumenical Relationship be-tween the Malankara Orthodox Syrian Church and the Catholic Church. Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2014. 451 S. Geb. EUR 82,95. ISBN 978-3-631-65460-6.
Marte, Johann [Hrsg.]: Herausforderung sichtbare Einheit. Beiträge zu den Dokumenten des katholisch-orthodoxen Dialogs. Hrsg. unter Mitarbeit v. F. A. Kadzieława. Würzburg: Echter Verlag 2014. 258 S. = Das Östliche Christentum. Neue Folge, 60. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-429-04187-8.


Der orthodox-katholische Dialog ist eine große Herausforderung und eine mühsame Aufgabe zugleich. Beim historischen Treffen zwischen Patriarch Kyrill und Papst Franziskus am 12. Februar 2016 in Havanna auf Kuba formulierten beide Kirchenoberhäupter: »Wir sind getrennt durch Wunden, die durch Konflikte in ferner oder naher Vergangenheit hervorgerufen wurden […]«. Auch das Ökumene-Dokument »Beziehungen der orthodoxen Kirche zu der übrigen christlichen Welt« der panorthodoxen Synode auf Kreta 2016 formuliert eine klassische Schwierigkeit. Einheit kann »nicht einfach das Produkt theologischer Übereinstimmungen sein, sondern sie muss auch auf der Einheit im Glauben beruhen […] der in der Einheit des Glaubens in der Orthodoxen Kirche gelebt wird.« Umso erfreulicher ist es, dass eine Fülle von Studien sich weiterhin mit der Problematik dieses Dialoges beschäftigt, rezipiert, diskutiert, Konzepte entwickelt, historische Zusammenhänge beleuchtet und trotz aller Schwierigkeiten einen langen Atem und einen Grundoptimismus anzeigt.
Der syro-malabarisch katholische Theologe Biju Mathew untersucht die syro-malankarisch orthodoxe Theologiegeschichte (westsyrische Tradition) im Hinblick auf die Ausbildung ihrer Identitätsgeschichte und Errichtung von hierarchischen Strukturen. In der vorportugiesischen Periode gab es drei Verantwortungsebenen, die lokale Ebene des Palliyogam, die gemeinschaftliche Ebene des Erzdiakons von ganz Indien und den Heiligen Sitz des Heiligen Thomas mit dem Metropoliten von ganz Indien. Es gibt keinen wissenschaftlich belegten Konsens, ob sich zu dieser Zeit das Thomas-Christentum jurisdiktionell an Alexandrien oder an Rom angebunden gesehen hat. Jedenfalls haben die Kontroversen des Römischen Reiches keinen Einfluss auf die südindische Christenheit ausgeübt.
Die Ankunft der portugiesischen Missionare änderte die Situation. Die Synode von Diamper (1599) kennzeichnete den Anfang der Bemühungen, die Thomaschristenheit unter römische Jurisdiktion zu stellen, und führte zur Latinisierung der lokalen gottesdienstlichen Traditionen. Die Gegenreaktion der orthodoxen Gemeinden war der Eid vom Coonan-Kreuz (1653). Die Malankarische Orthodoxe Syrische Kirche entwickelt im Laufe ihrer Ge­schichte ein eigenes Katholikat mit dem malankarischen Metropolitansitz (in der Verfassung von 1934) und sieht den syrisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochien nur noch als Ehrenoberhaupt an (1958). Der Vf. stellt dann die klassische römisch-katholische Be­gründung des Petrusamtes dar. Er konstatiert auch, dass die römische Position zum Primat nach dem Vaticanum II eine gewisse Offenheit und Bereitschaft zur Evaluation und Neuerarbeitung des Petrusamtes andeutet, dass aber bisher dafür noch keine tragfähige ökumenische Vision vorhanden sei. Seine Arbeit geht nun in einen Teil über, in dem er die Positionen der syro-malabarischen katholischen Kirche (ostsyrische Tradition) untersucht, die als größte katholische Ortskirche die Communio-Tradition des 1. Jt. nach dem Vaticanum II wiederentdeckt habe. Er geht dabei von dem Konzilsdokument Orientalium Ecclesiarum aus. Unter der Leitung des Groß-Erzbischofs von Ernakulam-Angamaly sei es zu einer großen Restaurations- und Rückkehrbewegung von einer la­tinisierten zu einer Kirche, die ganz ihren eigenen südindischen Wurzeln verbunden bleibt, gekommen. Obwohl diese Kirche glaubt, dass der Primat des Petrus zum apostolischen Glauben gehört, habe es jedoch auch Verzögerungen durch Rom selbst bei diesem Prozess gegeben. Der inoffizielle Dialog, u. a. die Bemühungen der Stiftung Pro Oriente, leiste eine große Hilfe bei der Redefinition und Re­strukturierung des Petrusamtes und bei der Reflexion historischer und systematischer Ansätze von Konziliarität und Communio. Abschließend geht der Vf. wieder zur ursprünglichen Aufgabenstellung im Gegenüber zur (westsyrischen) Malankarischen Orthodoxen Syrischen Kirche über. Er meint, dass der Traum von der Einheit der Christen eine universale Struktur benötigt, die ein Primat des Petrus, wie es im Neuen Testament gefunden würde, realisieren könnte.
Die Beiträge des Pro-Oriente Sammelbandes »Herausforderung sichtbare Einheit« gehen auf die offiziellen orthodox-katholischen Dialogbegegnungen ein. Athanasios Vletsis hofft, dass trotz des »heißen Eisens« der Behandlung des Petrusamtes in den Jahrtausenden zukünftig noch intensivere Gesten der Gemeinsamkeit, vielleicht sogar eine gemeinsame Eucharistiefeier zwischen den Kirchen möglich sein würde. Er sieht den Dialog als eine Lebensaufgabe der Kirchen selbst an. Johannes Oeldemann führt an, dass es eine Reihe positiver katholische Stellungnahmen gibt, orthodoxe Ortskirchen als »Kirchen im vollen Sinne des Wortes« anzuerkennen, und dass es keine offizielle negative orthodoxe Erklärung zum ekklesiologischen Status der katholischen Kirche gebe. Evgeniy Pilipenko und Rudolf Prokschi behandeln die Dokumente von 1982, 1987 und 1988 und unterstreichen deren Verbundenheit zur eucharistischen Ekklesiologie, die brüderliche Gemeinschaft als Teil der Theologie des Bischofsamtes und das Prinzip der Synodalität. Ernst Christoph Suttner untersucht die Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der Uniatismusfrage zu einer sechsjährigen Unterbrechung des Dialoges geführt haben. Auch Radu Preda widmet sich dem »unierten Patienten«. Der Uniatismus als Methode habe ausgedient, seine Früchte hingegen seien noch immer da. Theresia Hainthaler fordert pragmatisch eine Zusammenarbeit beider Kirchen auf allen Ebenen. Gegenseitiges Vertrauen und Zusammengehörigkeitsbewusstsein müssten aufgebaut werden. Widerstände, tief verwurzelt in Mentalitäten, brauchen Zeit zur Bewältigung. Rezeption dürfe nicht nur auf der Ebene der Hierarchen stattfinden. Grigorios Larentzakis diskutiert den Begriff »Protos« des Vorsitzenden des Bischofskollegiums, der als Wesenselement der Ge­samtkirche wie auch jeder Teilkirche angesehen würde. Er kann sich vorstellen, dass der Bischof von Rom als »Protothronos« anerkannt werden könnte.
Nach drei Tagungen der von Pro Oriente neu gegründeten »Kommission junger orthodoxer und katholischer Theologinnen und Theologen« werden nun im dritten hier vorzustellenden Sammelband »Der sichtbaren Einheit entgegen« Ergebnisse ihrer Ar­beit vorgestellt, die Satzung dieser Kommission ist im Anhang beigefügt. Maria Wernsmann und Rade Kisic beschäftigen sich mit Einheitsvorstellungen und Methoden als Herausforderungen im orthodox-katholischen Dialog. Sie stellen dabei das Ravenna-Do­kument von 2007 in den Mittelpunkt, welches darstellt, dass der Primat auf allen Ebenen der Kirchen eine Praxis sei und Primat und Konziliarität wechselseitig voneinander abhängig sind. Kritisch bemerken die jungen Theologen, dass innerorthodoxe Spannungen den Dialog beeinflussen und die Idee einer »strategischen Allianz« gegen viele Erscheinungen der modernen Welt eigentlich dialogfremd ist.
Deutlich wird ausgesprochen, dass theologische Traditionen beider Kirchenzweige in ihrer heutigen Ausformung ohne Reformen nicht kompatibel sind. Regina Augustin, Julia Lis, Andrea Riedl und Nino Sakvarelidse sichten den Dialog unter dem Begriff der Schwesterkirchen, der Vergewisserung der Wurzeln, der Zielrichtungen und Stolpersteine und der Rezeption als konstitutivem Element der Dialoge. Sie mahnen eine Einheit christlicher Existenz an als evangeliumsgemäße Form christlicher Gemeinschaft. Sie wollen mehr zwischen theologischen und nichttheologischen Faktoren unterscheiden und nach Gründen einer ausbleibenden Re­zeption fragen. Stefan Gugerel, Ioan Moga, Nikodemus C. Schnabel und Florian Schuppe beklagen einen Stillstand seit dem Vaticanum II. Sie versuchen, die Wirklichkeit der verschiedenen Kirchen auf der Basis der durch das Wort gedeuteten Zeichenhandlungen zu erfassen. Die »Filioque« Silbertafeln aus Rom von 809, die »konfes-sionsverbindenden Ehen«, gemeinsames Märtyrergedenken, ge­meinsames Auftreten der Kirchen und die Klöster werden im übertragenen Sinn als geeignete Orte für eine gelebte Ökumene identifiziert. Michaela C. Hastetter und Stefanos Athanasiou beklagen ein biblisch historisches Defizit in Bezug auf das »Petrusereignis«. Die biblische Urformel müsse lauten »Petrus und die Zwölf«. Primatialität und Synodalität sind unabdingbar und untrennbar aufeinander verwiesen und garantieren die pfingstliche Einheit der Kirche.