Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1137 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Grieser, Heike

Titel/Untertitel:

Sklaverei im spätantiken und frühmittelalterlichen Gallien (5.-7. Jh.). Das Zeugnis der christlichen Quellen.

Verlag:

Stuttgart: Steiner 1997. IX, 299 S. gr.8 = Forschungen zur antiken Sklaverei, 28. Kart. DM 95,-. ISBN 3-515-07233-0.

Rezensent:

Bruno Bleckmann

In wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht vollzog sich in Westeuropa der Übergang von der Antike zum Mittelalter nicht in abrupter Form, sondern es überwogen die Elemente der Kontinuität, da sich die germanischen Invasoren mit den vorhandenen Strukturen arrangieren wollten und mußten. Besonders deutlich wird diese Kontinuität in der Sklaverei, die auch für die merowingische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung konstitutiv ist. Diese spätestens seit den Untersuchungen von A. Dopsch bekannte Eigentümlichkeit der merowingischen Epoche ist nun von Heike Grieser in ihrer vom Fachbereich Katholische Theologie der Universität Mainz angenommenen Dissertation auf einer erstaunlich breiten Basis zitierter Quellen und Literatur umfassend dokumentiert worden. Allein das Literaturverzeichnis, in dem nur die abgekürzt zitierten Titel auftauchen, umfaßt 34 eng beschriebene Druckseiten. G. stellt zwar in ihrer Arbeit, wie aus dem Untertitel hervorgeht, das Zeugnis der christlichen Quellen in den Vordergrund. Da aber so gut wie alle literarischen Quellen dieser Epoche christlich sind und G. darüberhinaus auch die z. T. christlich beeinflußten Rechtstexte berücksichtigt hat, ist diese Einschränkung, was den Umfang der untersuchten Quellen betrifft, kaum substantiell, auch wenn sie natürlich für die Fragestellungen, in denen das Quellenmaterial untersucht wird, eine gewisse Bedeutung hat. G. bemüht sich nämlich, nach einleitenden Vorbemerkungen und nach Hinweisen auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund (1-42, u. a. mit einer m. E. für den Gegenstand nicht notwendigen Skizze der verschiedenen merowingischen Herrschaftsteilungen) verschiedene Aspekte der Beziehungen zwischen christlicher Religion und einer alles andere als erbaulichen Realität zu skizzieren.

Im Überleitungskapitel "Sklavenbesitz als typisches Merkmal der römisch-merowingischen Gesellschaft" (43-50) wird deutlich, daß innerhalb der Kirche Sklaverei ebenso Realität war wie außerhalb der Kirche, und zwar einerseits, weil kirchliche Amtsträger über Sklaven (meist aus Familienbesitz) persönlich verfügten, andererseits die lokalen Bischofskirchen selbst in den Besitz von Sklaven gelangen konnten und über ihre familia verfügten. Im Kapitel "Sozialgeschichtliche Aspekte des Alltagslebens der christlichen familia" (51-89) stellt G. mit großer Detailfülle Angaben zum Zusammenleben zwischen christlichen Sklavenbesitzern und christlichen Sklaven zusammen. Die Realität dieses Zusammenlebens zeigt das bereits für die kaiserzeitliche Antike bekannte Spektrum, das von grausamen Formen der Ausbeutung bis zum (oft allerdings von beschönigenden Quellen gezeichneten) humanem Miteinander reicht. Auffälligerweise wird den Sklaven als Mitchristen auf religiöser Ebene kein anderer Rang zugewiesen als in der gesellschaftlichen Realität. Als eigenverantwortlich handelnde Christen werden sie lediglich in idealisierenden hagiographischen Quellen behandelt.

Ein weiteres Kapitel behandelt "Einzelfragen rechtsgeschichtlicher Art" (90-165). Es zeigt sich, daß hier im großen und ganzen das Regelwerk der hohen Kaiserzeit, vor allem aber der Spätantike übernommen wird. Bestimmte Phänomene, die gerade für krisenhafte Epochen zu erwarten sind, finden sich im frühmittelalterlichen Gallien ohne Zweifel häufiger als in der hohen Kaiserzeit. Dies gilt etwa für den Selbstverkauf in die Sklaverei. Nicht erstaunlich ist ferner die Tatsache, daß im merowingischen Gallien die seit konstantinischer Zeit ausgebauten kirchlichen Einflußmöglichkeiten in Rechtsfragen von großer Bedeutung sind, so daß etwa die manumissio in ecclesia alte Freilassungsformen verdrängt. Dort, wo die Sklaverei zum Objekt von Konzilsentscheidungen wird, werden bezeichnenderweise vor allem die Interessen der Kirche geschützt. So waren etwa extrem harte Strafen für den Fall vorgesehen, daß Personen nach langer Zeit sich als Eltern ausgesetzter Kinder offenbarten, was die Kirchen, die solche Findelkinder als Sklaven übernommen hatte, in Verlegenheit bringen konnte.

Nachdem G. in einem Exkurs auf Sklavenhandel und Gefangenenfreikauf (166-190) eingegangen ist, erläutert sie in einem letzten Kapitel "Ansätze zu einer christlichen Reflexion der Sklaverei" (191-220). Eine wirkliche Reflexion gab es von kirchlicher Seite aus so gut wie nicht. Das Gegensatzpaar dominus/servus wird metaphorisch gebraucht, um etwa das Verhältnis zwischen Gott und Gläubigen zur Sprache zu dienen. Als anstößig wird die Sklaverei von den christlichen Autoren Galliens nicht empfunden, weil letztlich alle wahren Christen Sklaven Gottes sind und weil die Erlösungstat des den Sklaventod gestorbenen Jesus Christus den Status der Sklaverei im irdischen Leben als irrelevant erscheinen läßt. In der theologischen Reflexion hat die gallische Kirche also nicht weniger als in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität und in der Gestaltung der Rechtsbeziehungen die Institution der Sklaverei stabilisiert. Eine Stimme wie die des Johannes Chrysostomus, der die Antiochener zur Freilassung ihrer Sklaven aufforderte (PG 61, col. 354), hätte sich in der brutalen Atmosphäre des merowingischen Gallien kaum erheben können.