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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

287–288

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Munsonius, Hendrik

Titel/Untertitel:

Öffentliche Religion im säkularen Staat.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XVII, 161 S. Kart. EUR 19,00. ISBN 978-3-16-154799-7.

Rezensent:

Norbert Janz

Wenn Robert Lembke Recht hat, dass Religion die Versicherung im Diesseits gegen Feuer im Jenseits darstellt, dann kommt den staatlicherseits gesetzten »Versicherungsbedingungen« eine besondere Bedeutung zu. Das Verhältnis von Staat und Kirche ist seit jeher ein ganz eigenes und jede Gesellschaft muss diese Beziehung immer wieder aufs Neue klären. Denn – wie Hendrik Munsonius zutreffend eingangs seines Buches schreibt – »Religion ist ein Phänomen, das wie wenige andere höchst divergierende Haltungen und Reak-tionen auslöst – zwischen Identifikation, Selbstverständlichkeit, Gleichgültigkeit und Gereiztheit.«
M. ist Referent im Kirchenrechtlichen Institut der EKD in Göttingen. 2015 erschien von ihm ebenfalls im Verlag Mohr Siebeck »Evangelisches Kirchenrecht. Grundlagen und Grundzüge«. Er möchte mit dem anzuzeigenden Werk seinen Anteil an einer aktuellen Balance des Staat-Kirchen-Verhältnisses leisten. Der Sammelband fasst sechs essayartige jüngere Beiträge zusammen, die allesamt schon an unterschiedlichen Stellen veröffentlicht wurden.
Die vorangestellte titelgebende Einleitung »Öffentliche Religion im säkularen Staat« umreißt knapp das auszulotende Terrain: Von Staat und Gesellschaft über Individuum und Gemeinschaft führt der Weg zu Subsidiarität, Entwicklungen und schließlich Perspektiven. Ausdrücklich geht es M. dabei um eine Vermittlung zwischen dem Anliegen und Selbstverständnis der (evangelischen) Kirche und dem für Deutschland geltenden religionsrechtlichen Arrangement.
Im ersten Beitrag wird die Entwicklung der Religionsfreiheit in Deutschland kenntnisreich reflektiert. Indem die Ausführungen im Jahr 311 ihren Anfang nehmen, als das Christentum im Römischen Reich erstmals geduldet wurde, ist der Bogen denkbar weit gespannt. Viel Wissenswertes findet sich in den einzelnen Ab­schnitten, etwa zu den Friedensschlüssen des 16. und 17. Jh.s (Augsburger Religionsfrieden und Westfälischer Frieden) oder zu Preußen und der Aufklärung.
Im zweiten Beitrag (»Religion – Öffentlichkeit – Recht«) widmet sich M. zunächst der Frage nach der Religion im Recht. Dann skizziert er das geltende Religionsverfassungsrecht, um abschließend die vielfachen Wechselwirkungen zu erkunden. Religiöse Pluralität sei zwar anstrengend, aber um der Freiheit, der Demokratie und des Friedens willen nicht zu hintergehen. Hiernach untersucht M. reichhaltig und facettenreich die Menschenwürde und legt einen spezifisch evangelischen Blickwinkel an. Er weist auf die Ansätze eines christlichen Menschenwürdekonzeptes im Alten Testament hin. Durchaus originell wird die evangelische Theologie als die Kunst der rechten Unterscheidungen skizziert und dabei zur Be­gründung und Entfaltung der Menschenwürde herangezogen.
»Kirche und Staat: Grundlagen und aktuelle Entwicklungen« kommt aktuell daher. Nicht frei von Redundanzen werden die Grundlagen des Verhältnisses von Staat und Kirchen (erneut) um­rissen, um hiernach die Grundzüge des Religionsverfassungsrechts (erneut) zu beschreiben. Bei den aktuellen Entwicklungen sind viele Themenfelder angeschnitten. Eindringlich appelliert M. an die Stärke der Kirche. Sie werde sich auch unter veränderten Umständen unter den (verfassungs-)rechtlichen Rahmenbedingungen selbstbewusst und gelassen behaupten können.
Ein weites Feld stellen »Kirche und Politik in pluralistischer Gesellschaft« dar. Ob und wie die Kirche politisch sein soll/darf/ muss, ist seit jeher heftig umstritten. Ausgangspunkt der instruktiven Überlegungen ist die Erkenntnis, dass die Kirchen wie andere Akteure auch am breiten politischen Prozess im freiheitlichen Staat des Grundgesetzes teilnehmen. Ein besonderer Status in der Form eines besonderen politischen Mandats komme ihnen dabei – anders noch als in den 1950er Jahren – nicht zu. Jedoch seien be­deutsame Unterschiede zu den anderen Akteuren im politischen Diskurs auszumachen. Denn die Kirchen stünden aufgrund der Religionsfreiheit und ihres Selbstbestimmungsrechts unter besonderem staatlichen Schutz. Der kirchliche Einfluss hänge letztlich entscheidend von der Qualität der Beiträge ab. Dem prägnanten Ergebnis kann vorbehaltlos zugestimmt werden, entspricht dies doch – worauf M. zu Recht hinweist – gut reformatorischer Einsicht.
Der Rezensent goutierte besonders den abschließenden Beitrag »Quo vadis ›Staatskirchenrecht‹? Aktuelle Fragen an das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland«. Zu Beginn sind anschaulich und plausibel Herkunft und Wandel des Rechtsgebietes dargelegt. Innerhalb der Gegenwartslage finden sich geistreiche Gedanken zu den virulenten aktuellen Fragestellungen. So kritisiert M. überzeugend das Beschneidungsurteil des VG Köln und betrachtet dif-ferenziert die Forderung nach Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Insgesamt liegt hier auf engstem Raum eine überaus lesenswerte Zusammenschau der aktuellen staatskirchenrechtlichen Streitfragen vor. Am Ende steht ein Ausblick, der dem bestehenden Staatskirchenrecht – kaum überraschend – eine Zukunftsfähigkeit prognostiziert. Es sei unabdingbar, dass die rechtliche Rahmenordnung eingehalten und Toleranz gebildet werde, um die vorgegebene Trennung von Staat und Religion dauerhaft in ein freiheitsförderndes Verhältnis zu setzen.
Fazit: Die durchweg lesenswerten und engagiert geschriebenen Beiträge erweisen sich als ein anregendes Kompendium für alle am Staatskirchenrecht Interessierten. Ohne das jahrhundertealte konfliktträchtige Verhältnis von Staat und Kirche gänzlich neu zu vermessen, bilden sie doch ein anregendes state of the art, und das auf der Höhe der Zeit.