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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

283–285

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther

Titel/Untertitel:

Versöhnung. Soteriologische Fallstudien.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 376 S. = Studium Systematische Theologie, 9. Kart. EUR 50,00. ISBN 978-3-525-56713-5.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Mit diesem Buch greift der emeritierte Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München und Leiter der Wolfhart Pannenberg-Forschungsstelle an der Münchener Hochschule für Philosophie SJ ein nicht nur in theologischer Hinsicht bedeutsames Thema auf. Angesichts der vielen politischen, gesellschaftlichen und privaten Konflikte, in die Menschen mehr oder weniger teils aktiv, teils passiv involviert sind, ist die Frage nach der Möglichkeit und Wirklichkeit von »Versöhnung« bleibend aktuell und existentiell dringlich. Im engeren religiösen Sinn kommt hier eine elementare Erlösungssehnsucht und Heilsbedürftigkeit zur Sprache, die üblicherweise dem dogmatischen Topos der Soteriologie, der Lehre von der »Rettung« zugeordnet wird.
Vielleicht liegt es, abgesehen von ganz kontingenten Gründen der Entstehung dieser Texte, in der Natur der Sache, dass Gunther Wenz mit diesem Studienbuch keine in sich geschlossene, abgerundete, im wahrsten Sinne des Wortes »systematische« Abhandlung des Themas Versöhnung bietet, sondern lediglich historisch orientierte »Fallstudien«, die je für sich stehen und mit Gewinn auch einzeln gelesen werden können. Denn aller Erfahrung nach ist Versöhnung immer nur fragmentarisch gegeben, ständig ge­fährdet und neu zu begründen.
Vor diesem Hintergrund sind in diesem Buch ausgewählte und repräsentative soteriologische Konzepte der Theologiegeschichte – von den Anfängen des Christentums, der Zeit der Alten Kirche, des Mittelalters, der Reformation, der frühen und späten Neuzeit sowie der Moderne – kenntnisreich, detailliert und mit sensiblem Problembewusstsein zusammengestellt, wobei jedes einzelne Kapitel zu Beginn mit umfangreichen Literaturhinweisen versehen ist. All diese Kapitel bieten immer wieder neue Anregungen und Motive zu bedenken, was Versöhnung ausmacht und worin sie transmoralisch gründet, ohne dabei in ethische Engführungen des Themas zu geraten. Eine Leithinsicht für den Einstieg in diese komplexe Thematik bietet die Einleitung (8–22), die allerdings ihrerseits ohne weitere Einführung zur Relevanz des Themas, zur Intention dieses Studienbuches, zur angesprochenen Zielgruppe oder zur Position W.s etc. sehr unvermittelt mit einer Episode aus der Theologiegeschichte des 19. Jh.s beginnt. Aus der hier angesprochenen Auseinandersetzung zwischen F. Chr. Baur und A. Ritschl entwickelt W. einige wichtige Begriffsklärungen wie z. B. eine Differenzierung zwischen »Versöhnung«, »Erlösung« und »Rechtfertigung« (15), die für eine systematisch interessierte Lektüre der »Fallstudien« aufschlussreich sind. In diesem Zusammenhang kommt dann auch gleich ein, wenn nicht sogar das zentrale Problem einer christlichen Vorstellung von Versöhnung zur Sprache, nämlich die damals wie heute anstößige Rückführung der Versöhnung auf das Leid, das Kreuz und den Tod Jesu und die damit einhergehende Spannung zwischen Gerechtigkeit und Liebe im Heilshandeln Gottes (19 ff.131 u. ö.).
In seiner besser zu Beginn des Buches zu platzierenden 13. Fallstudie (»Heil. Soteriologische Nomenklaturen«, 258–277) nimmt W. nochmals ähnlich systematisch relevante Begriffsklärungen auf und weitet sie auf die ebenfalls spannungsgeladene Thematik von »Heil« und »Opfer« aus.
 In diesen Kontexten werden wichtige Fragen bis hin zum Theodizee-Problem (93 ff.318 ff.) und zur Vorstellbarkeit einer postmortalen Existenz (Kapitel 17: »Soteriologie und Eschatologie«, 338–365, besonders 353 ff.) gestellt und historisch aspektreich erläutert, allerdings kaum systematisch verbindlich beantwortet. Aber vielleicht ist dies gerade die Absicht eines Studienbuches, nämlich die Ermöglichung und Vorbereitung eigenen Nachdenkens zur Findung einer argumentativ vertretbaren Position. Aber gerade dann wäre es hilfreich, noch deutlicher als in einem manchmal umständlich ausführlichen historischen Überblick z. B. systematisch-theologische Alternativen zu einer traditionellen theologia crucis – schon gar im Rahmen einer problematischen Trinitätslehre (81), deren Anliegen, wie es W. beschreibt, nämlich die Wahrung des unergründlichen Geheimnisses und der Unbegreiflichkeit Gottes in seiner Liebe (85.87), auch anders als in bloß selbstreferentiellen trinitarischen Formeln aufgenommen werden könnte – oder zu spätestens seit Kant (202) fremd gewordenen kultisch orientierten Sühne- und Stellvertretungs-Vorstellungen als existenzial oder phänomenologisch zu begründende Voraussetzungen für die Notwendigkeit, theologisch von Versöhnung zu sprechen, anzubieten und zu diskutieren.
Eine solche Alternative könnte z. B. die Vorstellung von einer Allversöhnung (apokatastasis panton) sein, die W. nur erstaunlich kurz (362) erwähnt, obwohl sie in Bezug z. B. auf Origenes, Schleiermacher, Barth und Tillich zum historischen Überblick gut ge­passt hätte, um sie gleich wieder beiseite zu legen. Hier wäre es interessant, Argumente z. B. von Duns Scotus in der Auseinandersetzung mit Anselms Satisfaktionschristologie (149) oder kritische Bedenken der »Sozinianer« gegenüber späteren reformatorischen Interpretationen des Todes Christi als Strafleiden (192 ff.) oder Op­fer (198) nicht nur zu referieren, sondern zu gewichten. Der bloße Hinweis auf die dogmatische Relevanz historischer Komplexität (260), ohne diese Relevanz dann zu benennen, ist letztlich – wie etwa in Bezug auf Dalferths differenzierten Zugang zur Opfer-Thematik (271) – doch zu wenig. So ist dieses Buch von W. eine exzellent aufgearbeitete, gelehrte theologiegeschichtliche Materialsammlung, aber nicht unbedingt ein Studienbuch zum Thema »Versöhnung« in systematisch-theologischer Hinsicht.