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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

281–283

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Theobald, Christoph

Titel/Untertitel:

Selon l’Esprit de sainteté. Genèse d’une théologie systématique.

Verlag:

Paris: Les éditions du cerf 2015. 539 S. = Cogitatio Fidei, 296. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-2-204-10586-6.

Rezensent:

Jean Greisch

Christoph Theobalds neue Untersuchung ist mehr als eine Ergänzung zu seinem 2009 unter dem Titel Le Christianisme comme style erschienenen zweibändigen Entwurf einer systematischen Theologie. Das Buch vereinigt 18 Aufsätze, in denen der Vf. sein Verhältnis zur Theologie des 20. Jh.s klärt. Seines Erachtens bildet sie immer noch einen fruchtbaren Boden für die heutige Theologie, auch wenn diese in zunehmendem Maße mit Herausforderungen konfrontiert ist, die sich nur auf neuen, bisher noch unbetretenen Wegen erschließen lassen, die eine neue Weise des syn-theologein (ein Lieblingswort des Vf.s) erfordern. Worin dieses syn-theologein besteht, davon gibt die programmatische Einleitung des Buches, die sich fast wie eine eigenständige Programmschrift liest, eine gute Ahnung.
Der Untertitel des Buches: »Genese einer systematischen Theologie«, enthält keine contradictio in adiecto, denn es handelt sich darum, »die zugleich historischen und theologischen Bedingungen der möglichen Genese einer systematischen Theologie für unsere Zeit« (10) zu klären. Mit der Präzision eines Seismographen verzeichnet der Vf. die Erschütterungen, welche die Ausarbeitung einer systematischen Theologie erschweren und auf jeden Fall eine grundsätzliche Neubesinnung auf den Systembegriff verlangen. Sein Schlüsselbegriff der »gastlichen Heiligkeit« (»sainteté hospitalière«) ermöglicht eine Form der theologischen Urteilskraft, die sich im Zeichen der kantischen Unterscheidung des bestimmenden und des reflektierenden Urteils entwickelt, und die er in Analogie zu Chomskys Begriff der »generativen Grammatik« entfaltet.
Theologie als generative Grammatik des Glaubens: Ihre systematische Gestalt lässt sich nur im Spannungsfeld polarer Gegensätze (z. B.: der dreifache Gegensatz zwischen dem Evangelium vom Reich Gottes, der Katholizität der pluralen und doch einen Kirche und der Vielfalt der menschlichen Gesellschaften und Kulturen vor dem Hintergrund der einen Schöpfungswirklichkeit) verstehen (33). Bei diesem ebenso anspruchsvollen wie vielversprechenden An­satz geht es darum, die intellektualistische Engführung der Theologie zu überwinden, indem der Theologe den vielfachen Möglichkeiten, die Welt zu bewohnen, Rechnung trägt und den Grund der systematischen Theologie in der Selbstübereinstimmung Christi, und der durch sie ermöglichten »gastliche[n] Heiligkeit« findet, wobei Form und Inhalt unlöslich miteinander verbunden sind.
Der erste, geschichtlich orientierte Teil des Buches kreist um das Dreigestirn: Karl Rahner, Alfred Loisy und Hans Urs von Balthasar. Die Rolle, die hierbei Loisy zugeschrieben wird, mag manche Leser stutzig machen. Sie erklärt sich aber, wenn man beachtet, dass die historisch-kritische Exegese dem Vf. zufolge ein unerlässlicher Gesprächspartner der systematischen Theologie ist. Besonders be­eindruckend sind die drei Rahner gewidmeten Kapitel, in denen der Vf. die bleibende Fruchtbarkeit des Rahner’schen Ansatzes einer Pastoraltheologie aufzeigt, die ihre Wurzeln in einer be­stimmten Lektüre des Exerzitienbüchleins des heiligen Ignatius hat. Der Vf. begnügt sich nicht damit, Rahners Ansatz in bestechender Weise zu erläutern und dessen bleibende Aktualität zu unterstreichen. Ebenso eindringlich lenkt er die Aufmerksamkeit auf drei kritische Punkte, die ein Überdenken des Rahner’schen Ges­tus erfordern: das sowohl räumliche wie zeitliche Verhältnis der Pluralität der christologischen Ansätze zu ihrem Grund in der einzigartigen Beziehung des Glaubens und der Liebe zu Jesus, die Diversität und Komplexität der Gestalten des »Glaubens« und schlussendlich die Weise, wie man die Einzigartigkeit Christi innerhalb der Beziehung, die er zu allen Menschen unterhält, versteht (101). Auch die Auseinandersetzung mit Balthasars Theologie der Kultur ist der Ausdruck eines syn-theologein, das in diesem Fall auf ein grundverschiedenes Konzept der Apologetik hinausläuft.
Die unter dem Obertitel: »Neue Wege« gruppierten Aufsätze des zweiten Teils verdienen eine besondere Aufmerksamkeit, insofern der Vf. hier die Voraussetzungen seines stilistischen Zugangs zum christlichen Glauben offenlegt und sie zugleich an einigen Schlüsselproblemen erläutert: die Frage nach der christlichen Identität, die Tradition als schöpferischer Prozess, das Verhältnis des Alten und Neuen Bundes, die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Christologie und Soteriologie in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s, die neuen Paradigmen der Trinitätstheologie, usw.
»Das Bedenkliche in dieser unserer bedenklichen Zeit ist, dass wir immer noch nicht denken«: Dieser Satz Heideggers lässt sich unbedenklich auf die gewaltige theologische Denkarbeit anwenden, die diesem Buch zugrunde liegt. Der Leser, der den Vf. auf seinem anspruchsvollen Denkweg begleitet, merkt schnell, dass sich die Mühe lohnt, wie die im dritten Teil des Buches versammelten Aufsätze, insbesondere der 18., »Analogia regni« betitelte Aufsatz, bezeugen. Das oftmals missbräuchlich verwendete Prädikat: »bahnbrechend« ist in diesem Fall durchaus angebracht, weil es dem Vf. gelingt, die durch das Zweite Vatikanum ermöglichten Wege tatsächlich zu beschreiten und ihre Fruchtbarkeit unter Beweis zu stellen.
»Elemente einer Komposition«: Der Titel des dritten Teils erinnert daran, dass der Vf. dem Begriff des Systems einen musikalischen Akzent verleiht, den man auch als »Fuge« verstehen könnte. Die Grundgestalt dieser Fuge erläutert folgende Absichtserklärung: »In einer ›Welt‹, deren Kennzeichen ein ausgeprägtes Be­wusstsein ihrer spirituellen und religiösen Pluralität ist – eine Pluralität, aufgrund derer sie jeden Augenblick auseinanderzufallen droht –, besteht die Hauptaufgabe einer systematischen Theologie darin, die Einzigartigkeit Christi so darzustellen und zu be­denken, dass sie als ›Antwort‹ auf diese Beunruhigung aufgenom­men werden kann, eine Beunruhigung, die im Blick auf die eigene Zukunft sich mehr und mehr auf dem Globus ausbreitet« (343). Dem Vf. zufolge kann diese Herausforderung nur im Rahmen einer unzertrennlich mit einer theologischen Eschatologie der Schöpfung und insofern mit einer Pneumatologie verbundenen Chris-tologie bewältigt werden. Ebenso vielsprechend sind die da­mit zu­sam­menhängenden Beiträge zu einer theologischen Anthropologie und einer zugleich sakramentalen und missionarischen Ek­klesiologie.
Bemerkenswerterweise endigt das Buch mit einem Kommentar des Apostolischen Schreibens Evangelii Gaudium von Papst Franziskus. Der Vf. entlehnt ihm die Gegenüberstellung zweier geometrischer Figuren: Sphäre und Polyeder. Seines Erachtens lässt sich die zukünftige Gestalt der systematischen Theologie nicht mehr als runde Geschlossenheit, sondern nur noch anhand des Paradigmas des Vielflächners entfalten, dessen Kanten und Bruchflächen unübersehbar sind und als solche zu denken geben. J. S. Dreys Konzept eines »katholischen Systems« wird auf diese Weise in ein » ökumenisches« System aufgehoben, »das sich dem unerschöpflichen Reichtum des Evangeliums öffnet und innerhalb der Kirchen und der Kirche ein neues Gespür für dessen innere Vielgestaltigkeit und seine Fähigkeit, eine unendliche Vielfalt von Hörern zu erreichen, auslöst« (493).
»Voll Verdienst, doch dichterisch wohnet / der Mensch auf dieser Erde …« lautet ein vielzitierter Vers in Hölderlins Hymne »In lieblicher Bläue«. »Bewohnbarkeit« ist eine der Grundmetaphern, die diese Untersuchung durchzieht und um die sich eine ganze Reihe anderer Metaphern gruppieren. Auch der christliche Glaube ist eine Weise des »dichterischen Wohnens«, das in diesem Fall freilich als ein »gnadenhaftes« Wohnen im Vorblick auf das kommende Reich Gottes verstanden werden muss. Die Fundamentaltheologie steht im Dienst eines solchen Wohnens und erhält ihre innere (»systematische«) Schlüssigkeit durch die Selbstübereinstimmung Christi.