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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

273–275

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dietz, Martin Timóteo

Titel/Untertitel:

De libertate et servitute spiritus. Pneumatologie in Luthers Freiheitstraktat.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 305 S. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 146. Geb. EUR 90,00. ISBN 978-3-525-56413-4.

Rezensent:

Christian Danz

Martin Luthers wichtiger reformatorischer Programmschrift Von der Freiheit eines Christenmenschen aus dem Jahre 1520 ist die hier anzuzeigende Untersuchung von Martin Timóteo Dietz gewidmet. Sie geht auf eine im Wintersemester 2011/12 am Fachbereich Theologie der Universität Erlangen eingereichte und angenommene Dissertation zurück, die von Wolfgang Schoberth betreut wurde. D. möchte zeigen, dass »die Pneumatologie in Luthers Freiheitstraktat nicht eines unter vielen Themen ist, das bestenfalls am Rande auftaucht, sondern einen wesentlichen Schlüssel zu seinem Verständnis bildet« (25). Damit rückt D. einen Aspekt des Traktats von 1520 in den Fokus, der, wie er selbst mehrfach betont, im Text Luthers lediglich eine marginale bzw. untergeordnete Rolle spielt (151.239 u. ö.). Während der Begriff »Heiliger Geist« in der deutschen Fassung der Schrift noch stärker in den Hintergrund tritt, wird der Begriff in der lateinischen Fassung an einigen Stellen benutzt, so im Prolog vor Einführung der Doppelthese, wo die Wendung »de libertate et servitute spiritus« steht, die D. als Titel seiner Untersuchung gewählt hat.
D. möchte jedoch nicht nur die von dem Reformator im Text von 1520 nicht ausgeführte Pneumatologie rekonstruieren, sondern deren Schlüsselfunktion für ein angemessenes Verständnis des Textes darlegen. Luther konzipiere die Pneumatologie in einer »kreuzestheologischen« (23) Perspektive. Vor diesem Hintergrund wird der Freiheitstraktat von 1520 insgesamt als eine Erniedrigungsbewegung von Gott her nach unten verstanden, die sich über Christus und dessen Vermittlung durch den Heiligen Geist auf den Christen fortsetzt, der sich gleichsam im unermüdlichen Liebesdienst gegenüber seinem Nächsten erniedrigt. »Die Freiheitsschrift beschreibt die pneumatisch bewirkte Kondeszendenzbewegung Gottes zu den Menschen.« (53)
Die These von D., der Freiheitstraktat sei als pneumatologische theologia crucis zu lesen, wird in elf Kapiteln ausgeführt, die in vier Hauptteile untergliedert sind. Der erste Hauptteil bietet eine Einleitung und erste Annäherung an das Thema (11–52). In den zwei Abschnitten dieses Teils werden zunächst die pneumatologische Debatte im 21. Jh. kurz dargestellt, sodann die Forschungen zu Luthers Anschauung vom Heiligen Geist (16–23) und schließlich die lateinische Fassung des Traktats als Quelle (23 f.), methodische Überlegungen sowie die Interpretationsthese. Den Horizont der Studie bilden die vielfältigen Neuentdeckungen des Gottesgeistes in der akademischen Theologie in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s sowie die zahllosen Pfingstkirchen und deren weltweites rasantes Wachstum. Vor diesem Hintergrund fragt D. nach dem »Verständnis von Wesen und Wirken des Heiligen Geistes« (11) bei dem Reformator, was dessen Pneumatologie zur Überwindung der vielbeschworenen Geistvergessenheit sowie einer pneumatologisch inspirierten Hinwendung zur Welt beiträgt (vgl. 15). Der beklagten Geistvergessenheit, die sich vor allem auf die überlieferte soteriologische Deutung des Gottesgeistes (im Protestantismus) bezieht, stellt D. die Pneumatologie Luthers entgegen. Im zweiten Kapitel des ersten Hauptteils geht D. den Vorstufen des Freiheitstraktats, insbesondere der Römerbriefvorlesung sowie dem Galaterbriefkommentar von 1519, nach (30–52) und arbeitet gleichsam die paulinische Geistlehre als Hintergrund für Luthers eigene Anschauung heraus. Diesem Hintergrund kommt für die Deutung der Abhandlung von 1520 eine hohe Bedeutung zu, da der Reformator den Gottesgeist in seinem Text lediglich implizit berücksichtigt.
Der umfangreiche zweite Hauptteil trägt die Überschrift Der Freiheitstraktat: Glaube und Liebe als Erweis von Gottes Kondeszendenz (53–211) und bietet eine minutiöse und detaillierte Auseinandersetzung mit der lateinischen Fassung des tractatus. In den sechs Unterabschnitten des Teils folgt D. dem Text, wobei die fortlau-fende Kommentierung durch zahlreiche Exkurse zu theologiegeschichtlichen Einzelthemen oder diversen Begriffen und Schriften Luthers unterbrochen wird. Einsetzend mit dem Prolog des Freiheitstraktats (54–97) werden der innere (97–149) und der äußere Mensch (149–189) erörtert. Luther setzt dem mittelalterlichen Verständnis des Glaubens als Virtus-Tugend sein Verständnis als Virtus-Kraft entgegen. Dieses ist das Thema des Traktats, der mit dem Glaubensbegriff das Wesen des Christentums darstellt. Der Glaube als menschlicher Vollzug ist nicht vom Menschen selbst hergestellt. Hervorgebracht wird der Glaube durch den Heiligen Geist, der dem inneren Menschen das Bild Christi einbildet. Da das Chris­tusbild Luthers in der Spannung von Gesetz und Evangelium konstruiert und auf das Kreuz Christi zugespitzt ist, impliziert die Normierung des Geistes durch die Christologie den von D. herausgestellten Kondeszendenzgedanken. Die Erniedrigung Christi wird vom Geist auf den Christen übermittelt, so dass, wie Luther immer wieder mit Rekurs auf Phil 2,5–7 geltend macht, die Chris­tologie gleichsam auf den Christen übertragen wird. Der Glaube verwirklicht sich wie Abschnitt 5 Der äußere Mensch: der in der Liebe tätige Glaube als Zeuge von Gottes Kondeszendenz im Hinblick auf den Christen (Das Verhältnis des Christen zu sich selbst [150–176]) und sein Verhältnis zum Nächsten ausführt, in rastloser, tätiger Nächstenliebe, die nicht mehr dem Erwerb des Heils dient, sondern dem Wohl des Nächsten. Im Hinblick auf das Gottesverhältnis ist der Christ Geist, und in seinem Selbstverhältnis in der Welt ist er Leib (161). Entsprechend der Verlängerung der Erniedrigungsbewegung in die Welt hinein besteht die christliche Existenz in der Spannung von Geist und Fleisch. Dieser »Kampf« entspreche »der inneren Struktur von Luthers Beschreibung des Selbstverhältnisses des Christen in der Freiheitsschrift« (175).
Nach dem Durchgang durch den Text des Freiheitstraktates, in dem die implizite Pneumatologie als Schlüssel herausgearbeitet wurde, wendet sich der dritte Hauptabschnitt explizit in zwei Kapiteln der Geistauffassung Luthers unter der Überschrift Der Heilige Geist im Freiheitstraktat: kreuzestheologische Pneumatologie (212–259) zu. Die Darstellung der kreuzestheologischen Geistlehre des Reformators wird hierbei durch den dritten Artikel des Credos strukturiert. Der kurze abschließende vierte Hauptteil bietet einen Ausblick (260–264). Diskutiert werden Anstöße aus Luthers Freiheitstraktat für pneumatologisches Reden in gegenwärtiger Verantwortung (260). D. vermeidet es in diesem abschließenden Abschnitt, Luthers Pneumatologie auf die gegenwärtige Diskussion zu beziehen. Dadurch bleibt allerdings der Eindruck, jene wird dieser einfach nur entgegengesetzt.
Insgesamt bietet die Untersuchung einen aufschlussreichen Beitrag zum Tractatus de libertate christiana und damit zur – aufs Ganze gesehen nur wenig behandelten – Pneumatologie des Reformators. Durch das von D. eingeschlagene kommentierende Verfahren, in der Darstellung dem Text Luthers zu folgen, kommt es insbesondere (aber leider nicht nur) im dritten Hauptteil zu Redundanzen. Die Untersuchung rückt eine Perspektive des Textes in den Vordergrund, die von Luther selbst nicht ausgeführt wird, so dass sich der Leser fragt, worin eigentlich der »Mehrwert« einer pneumatologischen Relektüre der Schrift besteht.
Die These von D., es gehe in dem Traktat von 1520 um eine Kondeszendenzbewegung von oben nach unten, in die der Christ gleichsam mit hineingenommen wird, ergibt sich schon aus dem Text selbst, also ohne die Pneumatologie zum Schlüssel erklären zu müssen. Nun hat Luther jedoch in der Tat an den Stellen seiner Schriften, wo er auf den Heiligen Geist in einem trinitarischen Rahmen zu sprechen kommt, den Gottesgeist gleichsam als die Aneignung des von Christus erwirkten Heils und die Christologie als Normierung des Geistes sowie des Glaubens verstanden. Das von dem Reformator in den Fokus der Geistlehre gerückte Aneignungsproblem des wahren Heils, als menschlicher Vollzug nicht vom Menschen hergestellt zu sein, traktiert auch die vorliegende Arbeit. Es wird jedoch durchweg von D. mit dem Erfahrungsbegriff be­schrieben (vgl. nur 192: die »christliche Freiheit […] ist Erfahrung«; u. ö.). Hier hätte man sich eine genauere Erörterung der Fassung der Aneignung des Heils gewünscht. Der Erfahrungsbegriff, dessen Struktur an keiner Stelle der Arbeit genauer expliziert wird, verdeckt die Probleme in Luthers Text eher, als dass er sie bearbeitet.