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Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1133–1137

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

(1) Disselkamp, Gabriele (2) Letsch-Brunner, Silvia

Titel/Untertitel:

(1) "Christiani Senatus Lumina". Zum Anteil römischer Frauen der Oberschicht im 4. und 5. Jahrhundert an der Christianisierung der römischen Senatsaristokratie.
(2) Marcella - Discipula et Magistra. Auf den Spuren einer römischen Christin des 4. Jahrhunderts.

Verlag:

(1) Bodenheim: Philo 1997. XI, 257 S., 1 Falttab. gr.8 = Theophaneia, 34. Geb. DM 78,-. ISBN 3-8257-0001-1.
(2) Berlin-New York: de Gruyter 1998. XI, 272 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft, 91. Lw. DM 168,-. ISBN 3-11-015808-6.

Rezensent:

Stefan Rebenich

Als Christiani senatus lumina, als "Leuchten des christlichen Senates" bezeichnete der Kirchenvater Hieronymus zu Beginn des fünften nachchristlichen Jahrhunderts die aristokratische Römerin Marcella und ihren Standesgenossen, den Senator Pammachius (Hier. ep. 97,3,1 [CSEL 55, 184]). Diese herausragenden Repräsentanten der stadtrömischen Führungsschicht propagierten die Ideale eines asketisch orientierten Christentums, dem sie sich selbst verschrieben hatten. Mit dem Anteil der Frauen an der Christianisierung der römischen Senatsaristokratie in der Spätantike befassen sich die beiden hier anzuzeigenden kirchengeschichtlichen Dissertationen, die jedoch unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen.

Die Studie von Gabriele Disselkamp, die im Wintersemester 1992/93 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum als Dissertation angenommen wurde, will "die Religionszugehörigkeit der aristokratischen Frauen im Rom des vierten und fünften Jahrhunderts ermitteln, das religiöse Verhalten der Christinnen und Heidinnen miteinander vergleichen und die Rolle christlicher Frauen während der Phase der Bekehrung männlicher Familienangehöriger zum Christentum nach Umfang und Motiven untersuchen" (1); zugleich versteht sie sich als ein "Beitrag zur Erforschung der Frauenfrage" (18), und so nimmt es nicht wunder, daß mehrfach auf die selbstbewußte, ja "emanzipierte" Stellung der christlichen Aristokratinnen hingewiesen wird.

Nach einer Einleitung, die über den Stand der Forschung zu orientieren beabsichtigt (1-18), gibt D. eine ausführliche, durchaus nützliche Prosopographie der heidnischen und christlichen Aristokratinnen stadtrömischer Provenienz vom Anfang des 4. bis zur Mitte des 5. Jh.s (19-105), die auf einer gründlichen Auswertung der maßgeblichen prosopographischen Hilfsmittel beruht. Hier ist allenfalls Charles Pietris prosopographische Appendix zu seinem Standardwerk Roma Christiana nachzutragen (MEFRA 89, 1979, 371-415). Die Reflexion über "Charakter und Aussagequalität" der ausgewerteten heidnischen und christlichen Zeugnisse, die der Leser eigentlich im Zusammenhang mit der Einleitung erwartet hätte, findet sich in einem disparaten zweiten Kapitel (106-139), in dem überdies verschiedene stadtrömische asketische Kreise vorgestellt werden (117-139). Ausgesprochen informativ ist die aus den Quellen geschöpfte Darstellung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche christlicher Aristokratinnen der Spätantike (140-216). Zunächst untersucht D. das literarisch-intellektuelle Leben am Beispiel der christlichen Dichterin Faltonia Betitia Proba und des "bibelexegetischen Kreises" um Marcella (140-170), um sich dann dem sozial-karitativen Engagement reicher Christinnen zu widmen (170-196); schließlich betrachtet sie - unter dem wenig glücklichen Titel "gesellschaftspolitischer Bereich" und mit Hilfe umfangreicher genealogischer Stemmata - die Bedeutung der Frauen für die Bekehrung der männlichen Familienmitglieder zum Christentum (196-216). In der Zusammenfassung der Ergebnisse (217-236) hebt sie auf den vermeintlich höheren intellektuellen Anspruch und das größere emanzipatorische Potential der Christinnen im Vergleich zu ihren heidnischen Standesgenossinnen ab ("die eigentlich emanzipierten Frauen sind offensichtlich die Christinnen" [221]), unterstreicht die Bedeutung der christlichen Frauen für die römische Kirche und die christliche Mission und spürt den Motiven nach, die die Frauen veranlaßten, sich zum Christentum zu bekehren. Hier differenziert D. zwischen einem "äußeren" und einen "inneren Beweggrund" (228-236). Ersterer habe darin bestanden, daß die Entscheidung der Frauen zum Christentum die Möglichkeit impliziert habe, "aus ihrem ,goldenen Käfig’, dessen ,Gold’ allein darin bestand, daß sie der hohen stadtrömischen Aristokratie zugehörten, auszubrechen" (229); das zweite Motiv sieht D. in einer "regional-spezifischen Rezeption des Römerbriefschlusses" begründet, der die Frauen zu Schriftexegese und Lehrtätigkeit ermutigt habe (229-236). Diese Hypothese wird zum ersten Mal in der Zusammenfassung geäußert, nur kurz ausgeführt und steht quellenkritisch auf tönernen Füßen.

Die Darstellung hätte übersichtlicher aufgebaut, die Argumentation stringenter vorgetragen werden können; Wiederholungen und Versehen (wie z. B. die Verwechslung der Graphiken auf 105 und 139) verstärken den Eindruck, daß die Dissertation vor der Drucklegung nur einer ungenügenden Revision unterzogen wurde. Hinzu treten methodische Schwächen und handwerkliche Mängel.

So ist die statistische Auswertung des durch die Zufälligkeiten der Überlieferung beeinträchtigten Quellenbestandes zum Anteil der Christinnen in der spätantiken römischen Gesellschaft (101-103; vgl. auch 196) kaum überzeugend. Zudem wurde das epigraphische Material nicht konsequent erschlossen; bezeichnend ist, daß offenbar die maßgebliche christliche Inschriftensammlung für Rom, die Inscriptiones Christianae urbis Romae, nicht ausgewertet wurde. Gänzlich vernachlässigt ist der Einfluß der Aristokratinnen auf die Kirchenpolitik und ihre Rolle in der klerikalen Ämterpatronage (vgl. Hier. Comm. in Is. 2,3,12 [CChr.SL 73, 52] und Theodoret. hist.eccl. 2,17,1-7 [GCS 44, 136 f.]).

Grundsätzlich ist festzustellen, daß D. nur sehr unzureichend mit der Forschungslage vertraut ist. Zum einen bleibt unverständlich, warum sie die Literatur, die in den gut fünf Jahren zwischen Abschluß des Manuskriptes und Drucklegung des Bandes erschienen ist, völlig ignoriert hat; auf einem von den Altertumswissenschaften so intensiv traktierten Gebiet wie der Spätantike hat dies zur Folge, daß das Buch bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in weiten Teilen obsolet ist. Offensichtlich hat sich jedoch nicht nur die Autorin, sondern auch der Herausgeber der Reihe an diesem Manko nicht gestört. Damit nicht genug. Auch die ältere wissenschaftliche Diskussion ist, um es vorsichtig zu formulieren, nur sehr selektiv nachvollzogen worden. D. verweist einleitend auf die grundlegende Untersuchung von Raban von Haehling über die "Religionszugehörigkeit der hohen Amtsträger des römischen Reiches" im 4. und 5. Jh., hat aber offenbar die durch das Buch ausgelöste Debatte nicht zur Kenntnis genommen (dazu jetzt T. D. Barnes in JRS 85, 1995, 135-137).

Des weiteren verweist sie auf die "Vorarbeiten" von Peter Brown und Anne Yarbrough (10-12), um sodann festzustellen, daß "die historisch-theologische Forschung zum Thema ,Frau’ die Spätantike bisher ausgeklammert hat" (18; vgl. 1). Nun, die Christianisierung der stadtrömischen Aristokratie ist seit mehreren Dezennien Gegenstand wissenschaftlicher Studien, und die Rolle der Frauen an diesem Prozeß ist seit dem bahnbrechenden Aufsatz von P. Brown über "Aspects of the Christianization of the Roman Aristocracy" von 1961 in zahlreichen Abhandlungen thematisiert worden. Vergeblich sucht man bei D. eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen Arbeiten von A. Chastagnol, E. A. Clark, F. E. Consolino, K. Cooper, J. Fontaine, A. E. Hickey, R. Ruether, M. Salzman, K. Thraede u. a.; mancher Titel taucht zwar in der Bibliographie (245-257) auf, doch werden die für die vorliegende Untersuchung wichtigen Thesen weder referiert noch diskutiert. Dies mag bei der quellenorientierten Dokumentation des literarisch-intellektuellen und des sozial-karitativen Engagements noch angehen, nicht jedoch bei einer so zentralen Frage wie der nach den Motiven der Hinwendung aristokratischer Frauen zum Christentum. Über die spannende wissenschaftliche Kontroverse, in welchem Maße die Askesebewegung zur "Befreiung" der aristokratischen Frau beigetragen habe, erfährt der Leser aus D.s Arbeit nur wenig. Die Autorin hat es versäumt, ihre den wichtigsten Quellen und einzelnen Darstellungen entnommenen Beobachtungen zu einem zentralen Thema der altertums-kundlichen Forschung im internationalen wissenschaftlichen Diskurs zu verorten.

Eben dies geschieht in der Arbeit von Silvia Letsch-Brunner auf vorbildliche Weise. Die Untersuchung, die im Wintersemester 1996/97 von der Theologischen Fakultät der Universität Zürich als Dissertation angenommen wurde, verfolgt ein bescheideneres Ziel: Sie will eine Biographie der römischen Aristokratin Marcella vorlegen, die nach ihrer frühen Verwitwung gegen den Widerstand in ihrer Familie den Entschluß durchsetzte, asketisch zu leben, und in ihrem Haus auf dem Aventin einen Kreis gleichgesinnter christlicher Frauen um sich scharte (41 f.). Übergeordnete sozial-, theologie- oder frauengeschichtliche Fragen werden nicht aufgeworfen.

L.-B. ist vorzüglich mit den einschlägigen Quellen - v. a. den Schriften des Kirchenvaters Hieronymus - vertraut und verfügt über eine detaillierte Kenntnis der umfangreichen Sekundärliteratur, deren Positionen sie ausführlich referiert und oft kenntnisreich kommentiert. Nach der forschungsgeschichtlichen Einleitung (5-15) und der Erörterung eines der zentralen Texte, des hieronymianischen Nekrologes (16-22), trägt L.-B. im ersten Teil der Arbeit die spärlichen Zeugnisse zu Marcellas Leben zusammen, die wir für die Zeit bis zur Ankunft des Hieronymus in Rom i. J. 382 besitzen (23-83). In diesem Abschnitt informiert sie über die Anfänge asketisch-monastischen Lebens in Rom, über andere jungfräuliche Gemeinschaften und über das christliche sowie pagane Umfeld Marcellas. Sie weist nach, "daß es in Rom schon um die Mitte des vierten Jahrhunderts Frauengemeinschaften gegeben hat, die vor allem für Aristokratinnen außerordentlich anziehend" (244) waren. Der zweite Teil ist der Beziehung zwischen Marcella und Hieronymus während seines Aufenthaltes in der Urbs von 382 bis 385 gewidmet.

Ausführlich, bisweilen zu ausführlich (vgl. 245!) paraphrasiert L.-B. die Briefe, die der gebildete und ambitionierte Theologe an die römische Aristokratin schrieb, und hebt zu Recht das hohe intellektuelle Niveau der exegetisch-theologischen Korrespondenz zum Alten und Neuen Testament hervor. "Hieronymus hat Marcella als ebenbürtige Partnerin betrachtet und gefördert" (241). Der dritte Teil behandelt Marcellas Kontakte zu Hieronymus von 386, als sich dieser endgültig in Bethlehem niederließ, bis 410, als Marcella einige Monate nach der Plünderung Roms durch Alarich starb; dabei findet auch ihre Rolle in den schnell eskalierenden Auseinandersetzungen um die Auffassungen des Origenes, die in den neunziger Jahren des vierten Jahrhunderts weite Teile des Imperiums erschütterten, Berücksichtigung (172-236).

Ein Nachwort (237-246) und ein Literaturverzeichnis (258-272) beschließen die Arbeit. Hier wie in der Untersuchung von D. ist zu bemängeln, daß ein Stellen- und Sach- resp. Personenindex fehlen. Ausdrücklich zu begrüßen sind die von L.-B. selbst angefertigten, meist wortgetreuen Übersetzungen; u. a. hat sie eine wahrscheinlich von Pelagius verfaßte Epistel ad Marcellam (225-234) und Hieronymus’ 127. Brief de vita sanctae Marcellae vollständig übertragen (247-256).

L.-B. entwirft kein neues Marcella-Bild. Aber sie hat zuverlässig Quellen und Sekundärliteratur ausgewertet und auf dieser Grundlage in mancher Frage durchaus Erkenntnisfort-schritte erzielt. Überzeugend weist sie so Pierre Nautins These von einem zeitweiligen Zerwürfnis zwischen Marcella und Hieronymus zurück (172-174), hegt aus guten Gründen Zweifel an der lectio Hieronymiana, Marcella habe an der Verurteilung des Origenes und seiner Anhänger maßgeblichen Anteil gehabt (212-217; 246), wirft neues Licht auf ihre Beziehungen zu Pelagius (217-223) und räumt mit dem wohlfeilen Klischee des misogynen Kirchenvaters auf (241-243). Nicht überzeugt haben den Rez. indes die Vorbehalte, die L.-B. gegen die These äußert, Hieronymus habe in Rom Karriere machen wollen und sich als Nachfolger des römischen Bischofs ins Gespräch gebracht (173 f.).

Die Quellenlage führt notwendigerweise dazu, daß wir Marcella primär aus der Perspektive des Hieronymus wahrnehmen. L.-B. ist sich zwar durchaus bewußt, daß "nicht alles, was Hieronymus in seinem Nekrolog über Marcella berichtet, wortwörtlich genommen werden darf" (246), aber dennoch ist sie in ihrer Darstellung ausgesprochen ,hieronymuszentriert’, wie bereits die fast durchgehende Untergliederung der Kapitel nach Werken des Hieronymus, die an Marcella adressiert sind oder in denen sie Erwähnung findet, zeigt. Vielleicht, so ist zu fragen, war Marcella noch viel ,emanzipierter’, als Hieronymus der Nachwelt Glauben machen wollte. Jedenfalls ist offenkundig, daß sie die Werke zeitgenössischer Kirchenschriftsteller las, sich selbständig in theologischen und kirchenpolitischen Angelegenheiten eine Meinung bildete und mit zahlreichen prominenten Theologen ihrer Zeit korrespondierte. Unter diesen befand sich auch Hieronymus, aber er war beileibe nicht der einzige, der intellektuell und finanziell von dieser bemerkenswerten römischen Aristokratin profitierte.

L.-B. hat nicht nur eine informative Biographie der sancta et inlustris femina Marcella vorgelegt, sondern an ihrem Beispiel auch die Christianisierung (und Asketisierung) der römischen Senatsaristokratie in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts veranschaulicht. Sie hat damit ein solides Fundament für weitere sozial- und kirchengeschichtliche Untersuchungen zu den aristokratischen Frauen in der spätantiken römischen Gesellschaft gelegt. Aber auch die althistorische und patristische Forschung zu Hieronymus wird von dieser Studie profitieren.