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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

271–272

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bickelhaupt, Jörg

Titel/Untertitel:

Taufe, Glaube, Geist. Ein Beitrag zur neueren innerevangelischen Diskussion.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015. 775 S. m. Abb. = Arbeiten zur Systematischen Theologie, 8. Geb. EUR 88,00. ISBN 978-3-374-04108-4.

Rezensent:

Dagmar Heller

Die Taufe wird in ökumenischen theologischen Dokumenten oft als grundlegendes Band der Einheit zwischen Christen verstanden. Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass im Verständnis der Bedeutung der Taufe keineswegs Einheit besteht und noch grundlegende theologische Fragen zu klären sind, bis alle Kirchen gegenseitig die Taufe anerkennen können. Zum einen bestehen noch erhebliche Schwierigkeiten zwischen Kirchen, die Kinder taufen und Kirchen, die die Kindertaufe ablehnen, zum anderen bestehen auch Probleme innerhalb der Gruppe von Kinder taufenden Kirchen. Die Arbeit, mit der Jörg Bickelhaupt (Referent für interkonfessionelle Fragen am »Zentrum Oeku­mene« der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche von Kurhessen und Waldeck in Frankfurt am Main) bei Friederike Nüssel in Heidelberg promoviert wurde, nimmt die erstgenannte Schwierigkeit unter die Lupe und fokussiert sich dabei auf die Diskussion zwischen den klassischen reformatorischen und den Kirchen, die die Gläubigentaufe praktizieren - speziell die Baptisten.
Damit nimmt er eine in den letzten Jahren im kirchlichen Europa diskutierte Frage auf, von deren Aktualität das auf regionaler Ebene in Bayern zwischen Lutheranern und Baptisten erarbeitete Dokument »Voneinander lernen – miteinander glauben« ge­nauso zeugt wie die Vergebungsbitte, die der Lutherische Weltbund 2010 an die Mennoniten gerichtet hat oder die Diskussion zwischen der Europäischen Baptistischen Union und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), die sich 2010 zu »miteinander kooperierenden Körperschaften« erklärten.
Bickelhaupt konstatiert das Verhältnis von Taufe und Glaube als eine der wichtigsten offenen Fragen und untersucht daher anhand der wichtigsten jüngsten Dialogdokumente bzw. Vereinbarungen zwischen Kirchen beider Typen, ob eine Konvergenz hinsichtlich der Verhältnisbestimmungen von Taufe, Glaube und Heiligem Geist festgestellt werden kann. Nach einer eingehenden Vorstellung und Analyse der Quellentexte (Kap. 1) stellt er zunächst im Neuen Testament eine ekklesiologische Relevanz von Taufe, Glaube und Geist fest, ohne dass eine strikte Vor- oder Nachordnung der drei Elemente besteht (Kap. 2). Der Durchgang durch die Geschichte der frühen Kirche und des Mittelalters (Kap. 3 und 4) zeigt die Veränderungen im Menschenbild auf, die die geistesgeschichtliche Voraussetzung für die Reformation bilden. Die festgestellte Verschiebung von der Gemeinschaft hin zum Individuum als Subjekt des Glaubens macht die Wirksamkeit der Sakramente vom glaubenden Empfang abhängig. Damit ist im 16. Jh. die Säuglingstaufe in ihrer bisherigen Selbstverständlichkeit in Frage gestellt und muss begründet werden. Die unterschiedlichen Antworten in den traditionellen Kirchen und den neu entstehenden Kirchen, die die Kindertaufe ablehnen, hängen mit einem unterschiedlichen Verständnis von Glauben zusammen: als innere Erleuchtung des Individuums oder als transsubjektiv-ekklesiales Phänomen, die wiederum auf Unterschieden in den hermeneutischen und religionsphilosophischen Vorannahmen beruhen.
Im fünften Kapitel geht es schließlich um die neuzeitlichen Herausforderungen an beide Kirchentypen, die vor allem damit zusammenhängen, dass Sünde stärker transpersonal verstanden wird. Als eine der Hauptdifferenzen zwischen beiden Auffassungen zeigt sich die Grundfrage: Gründet sich die Wirksamkeit der Taufe auf das Wort Gottes oder auf den Glauben des Menschen?
Abschließend bietet der Autor Thesen zu den innerreformatorischen ökumenischen Diskursen um die Taufe (Kap. 6), die dann auf den gegenwärtigen ökumenischen Diskurs angewandt werden (Kap. 7).
Mit seinem theologiegeschichtlichen Ansatz gelingt es Bickelhaupt eindrucksvoll und schlüssig die Frage zu beantworten, weshalb es ausgerechnet im 16. Jahrhundert zu einer Infragestellung der über 1000-jährigen Praxis der Kindertaufe kommen kann. Seine zweite Leitfrage, ob die innerprotestantischen Kontroversen um die Taufe wirklich kirchentrennend sind, ist hingegen schwieriger eindeutig zu beantworten, da hier bestimmte, in den verschiedenen christlichen Traditionen unterschiedlich gefällte Vorentscheidungen nötig sind. Bickelhaupts Antwort darauf lautet »Anerkennung (der Taufe, DH) bedarf keines vollständigen tauftheologischen Konsenses, auch keiner identischen Taufpraxis, jedoch der Bereitschaft, die in der Dialektik von Wahrheit und Barmherzigkeit liegende Spannung auszuhalten« (693). Dass dies jedoch nicht notwendigerweise in allen Kirchen gesehen wird, sieht auch der Autor, wenn er schreibt:
»Die Erkenntnis der anthropologischen, hermeneutischen und religions-philosophischen Bedingtheit der eigenen Position wie auch der tauftheologischen Differenzen, verbunden mit dem Bekenntnis zur Begründung von Taufe und Glaube in der geistlich repräsentierten Wirklichkeit des dreieinigen Gottes, kann (Hervorhebung DH) zur Anerkenntnis dessen führen, dass sich auch in einer mir zutiefst fremden und fragwürdig erscheinenden Praxis der Taufe diese trinitarische Wirklichkeit zu vergegenwärtigen vermag.« (692)
Die Stärke dieser Arbeit liegt darin, dass sie die Kontextgebundenheit der Unterschiede zwischen den Kirchen deutlich macht. Allerdings bleibt dabei immer noch fraglich, wieso z.B. in der Reformationszeit mit derselben Fragestellung, die sich durch die an­thropologische Wende stellt, unterschiedlich umgegangen wird. D. h. der unterschiedliche Kontext kann zwar die Unterschiede erklären, jedoch nicht ihre Notwendigkeit.
Bickelhaupt konstatiert außerdem als »fundamentale taufekkle­siologische Frage« die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Israel, die allerdings zwar in ihrer Spannung dargestellt wird, aber deren Bedeutung für die Diskussion zwischen Kirchen, die die Gläubigentaufe verteidigen und denen, die Kinder taufen, nicht deutlich wird (682).
Das Buch stellt durch seine detailgenauen Untersuchungen eine regelrechte Fundgrube für Studierende und Lehrende dar, die sich den aktuellen ökumenischen Fragen stellen wollen. Leser und Leserinnen sollten sich durch den Umfang nicht abschrecken, sondern eher anregen lassen. Eine ausführliche und gegliederte Bibliographie sowie Personenregister und Bibelstellenregister, ein Sachregister und ein ›Unterregister‹ sind wertvolle Hilfsmittel.
Insgesamt ist dieses Werk aber nicht nur als ein Instrumentarium zu würdigen, sondern vor allem als ein wichtiger Impuls für die weitere Diskussion zwischen kindertaufenden Reformationskirchen und den Kirchen der täuferischen Tradition. Bickelhaupt gelingt es, die Fortschritte und Lösungsansätze jüngster Dialoge zu vertiefen und vor allem zu verdeutlichen, dass die Kirchen sich ihre unterschiedlichen hermeneutischen Grundannahmen bewusst machen sollten. Es ist daher nicht nur den Hauptakteuren in ökumenischen Dialogen zur Lektüre zu empfehlen, sondern allen Theologen und Theologinnen, denen die Einheit der Kirchen und das gegenseitige Verständnis ein Anliegen sind.