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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

269–270

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wagner, Falk

Titel/Untertitel:

Zur Revolutionierung des Gottesgedankens. Texte zu einer modernen philosophischen Theologie. Aus dem Nachlass ediert v. Ch. Danz u. M. Murrmann-Kahl.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. VIII, 660 S. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-153204-7.

Rezensent:

Dietrich Korsch

Als Schlüsselaufsatz dieses umfangreichen und lesenswerten Bandes mit unveröffentlichten Materialien zur Entwicklung der Theologie Falk Wagners kann seine Münchner Abschiedsvorlesung aus dem Jahr 1988 unter dem Titel »… zwischen …« angesehen werden (462-477). W. hat mit ihr seine insgesamt achtzehnjährige Lehrtätigkeit an der LMU abgeschlossen und sie dann bis zu seinem frühen Tod – mit noch nicht einmal sechzig Jahren – im Jahr 1999 in Wien fortgesetzt.
Die Eigenart der W.schen Theologie besteht darin, dass sie sich immer von dem Gedanken bestimmt weiß, den sie mit großer Bestimmtheit, ja auch mit unnachsichtiger Konsequenz, verfolgt. Darum ergibt sich auch ihre Geschichte aus der Logik des Gedankens. Insofern können die Beiträge dieses Buches als Dokumente der Entfaltung des theologischen Zentralgedankens von Gott verstanden und studiert werden. Gerade aus diesem Grund aber markiert das Wörtlein »zwischen« nicht nur eine biographisch kontingente Zäsur, sondern eine markante Stelle im Lauf des Gottesgedankens. W.s erhebliche Resonanz unter jüngeren Kollegen in München beruhte nicht zuletzt darauf, durch den philologisch strengen, aber spekulativ freien Anschluss an Hegel (insbesondere den Hegel der »Logik«) ein theologisches Selbstbewusstsein zu vermitteln, das keinen Vergleich scheut. Diese durchaus soziale Wirkung des Hegel’schen Gedankens schreibt sich von seinem Inhalt her: dass das Absolute in seinem inneren Leben sich zugleich am Anderen seiner selbst artikuliert. »Selbstexplikation an der Stelle des Andersseins« lautet die Systemformel W.s in der Münchner Zei t– und die »Stelle des Andersseins« ist nichts anderes als die Subjektivität, die sich des Gehaltes des Absoluten vergewissert. Die spannende Frage ist natürlich die nach dem Übergang, der aus dem Absoluten selbst begriffen werden soll, der aber seinerseits gegenüber den Versuchungen, diesen Übergang als nur zwangsläufig zu verstehen, bewahrt werden muss. Es muss nämlich, soll die Freiheit im Innersten des Zentralgedankens nicht verspielt werden, das V erhältnis des Absoluten zu seiner Selbstexplikation nach dem Muster einer logisch verständlichen, aber gleichwohl unvorhersehbaren Entsprechung gedacht werden. Ebendas ist das »Zwischen«, man könnte auch sagen: der Geist.
Die Münchner Phase hatte diesen zentralen Gedanken in verschiedener Hinsicht durchdekliniert. Erstens – und nicht unwichtig – als Kritik der Nachkriegstheologie, sei es in der Nachfolge Rudolf Bultmanns, sei es in der Schule Karl Barths. Noch anders als sein akademischer Förderer Wolfhart Pannenberg nahm W. selbst die Spitzen der Hegel’schen Spekulation auf und wendete diese im Sinne einer kritischen Destruktion gegen den seinerzeitigen Mainstream. Dabei geriet insbesondere Barth ins Visier, weil dessen theologische Spekulation sich für W. als illegitime Imitation des Hegel’schen Verfahrens darstellte ( Die Bedeutung der Theologie für die inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichts, 15–120 – der Titel allein lässt diesen Inhalt nicht vermuten!). Zweitens ist es dem W. dieser Jahre um eine authentische Hegel-Interpretation zu tun (Der Anfang der Hegelschen Logik des Wesens: Das Wesen als Reflexion, 399–434). Hegels Philosophie soll aller Anschein einer positiven Er­mäßigung, sei es im Sinne der Positiven Philosophie des späten Schelling, sei es der Dialektik Schleiermachers, ausgetrieben werden. Darum erfährt auch die Hegel-Deutung Michael Theunissens eine überaus kritische Besprechung (Hegel als verkannter Theoretiker von Unmittelbarkeit? Zu Michael Theunissens »Sein und Schein«, 239–306). Schließlich geht es W. um den Aufbau einer theo-logischen Theologie, die aus dieser Selbstentfaltung im Modus der Freiheit die dogmatischen Gehalte, die christologischen zumal, zum Verstehen bringt. Darin erweist sich die W.sche Theologie als durchaus interessiert am religiösen Individuum (Theorie des christlichen Gottesgedankens, 134–163; Einleitung in die theo-logische Theologie, 319–398; Der dreieinige Gott als Grund des Evangeliums, 441–454).
Genau an dieser Stelle aber setzt der Übergang in die Wiener Zeit an. Denn muss man, wenn man den Gedanken der subjektiven Freiheit ernst nimmt, ihn nicht auch von seinem Begreifen aus der Logik des Absoluten befreien? Nicht, dass es dabei zu einem gedankenlos-unbestimmten »Anderen« käme, das nur abstrakt behauptet werden könnte, wie es der weltanschauliche Empirismus tut. Nein, gerade aufgrund seines Vollgesogenseins mit dem Absoluten, als Ausdruck seiner »Selbstexplikation«, ist das individuelle Leben und Bewusstsein von einer eigentümlichen Selbstheit – die sich als Gestalt des Absoluten verstehen kann, aber nicht verstehen muss. Daher ist auch die dialektisch-logische Rekonstruktion des Platzes dieser individuellen Eigenheit nicht die einzige Artikulationsgestalt ihrer selbst. Hier liegt der Grund dafür, dass sich W. in Wien sehr viel stärker einer strukturell-soziologischen Betrachtung des (religiösen) Bewusstseins zuwandte, wie er sie im Werk von Günter Dux fand. Die Münchner Abschiedsvorlesung lässt verstehen, wie es zu dieser Wende kam, die für W. doch keine Wende, sondern eine Konsequenz darstellte.
Freilich hatte W. auch schon vorher die sozialtheoretischen Folgerungen seiner theo-logischen Theologie ausformuliert. Davon zeugen die Beiträge, die der vorliegende Band in seinem zweiten, kürzeren Teil versammelt und die sich ethischen Theorien ebenso wie exemplarischen Anwendungsfällen widmen. Von besonderem Interesse dürfte dabei der Aufsatz über Geld und Schuld sein, der Thesen des Buches über Geld oder Gott? vorstellt (552–581). Denn sofern Geld als universales Tauschmittel verstanden wird, tritt es in nachahmende Konkurrenz zu Gott – von dem es sich aber gerade dadurch unterscheidet, dass es dieses »Zwischen«, den Ort des Geistes und der Freiheit, ausschaltet und damit individuelle und gesellschaftliche Entfaltung verhindert.
Christian Danz und Michael Murrmann-Kahl als Herausgeber des Bandes haben nicht nur die Auswahl der Texte einsichtig be­gründet, sie geben auch über die historischen Kontexte und die Editionsprinzipien plausible Auskunft. Dass es für solche Projekte immer auch anderer Menschen bedarf, die (bis zum Register) mittun, weiß jeder, der sich einmal daran versucht hat; dafür danken nicht nur die Herausgeber, sondern auch der Rezensent.
Ein letztes Wort zum Titel. Wer sich mit W. beschäftigt, kommt um Radikalisierungen nicht herum. Insofern entspricht der Titel »Zur Revolutionierung des Gottesgedankens« einem W.schen Im­puls. Doch was bedeutet es, diese Formulierung als Gedanke ernst zu nehmen? Wer kann das Subjekt einer solchen »Revolution« sein? Doch wohl kaum Menschen, die sich zur Revolution des Gottes-gedankens provozieren lassen – in wessen Namen sollte das auch geschehen? Daher bleibt nichts anderes übrig als zu sagen: Es ist Gott selbst, der sich gegen den Missbrauch seines Gedankens durchsetzt. Damit aber kommt eine kritische Instanz ins Spiel, die sich nur im sorgfältigen selbstkritischen Nach-Denken bewährt. Zu einem solchen eigenen Denken aufzurufen, das hätte W. vermutlich gefallen.