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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

251–252

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Steiger, Johann Anselm

Titel/Untertitel:

Das Gebet im Zeitalter der Reformation und des Barock. Ein Beitrag zu Martin Luther und Heinrich Müller sowie zur Bildtradition des armen Lazarus.

Verlag:

Neuendettelsau: Freimund Verlag 2013. 262 S. m. Abb. Geb. EUR 29,80. ISBN 978-3-86540-119-9.

Rezensent:

Andreas Stegmann

Das Buch von Johann Anselm Steiger schlägt einen Bogen von Martin Luthers »Theologie des Gebets« über Heinrich Müllers Auf-fassung vom Gebet zum am Beispiel der Lazarus-Ikonographie erläuterten Zusammenhang von Gebet und Sozialethik in der lutherischen Konfessionskultur. Eine systematische oder gar er­schöpfende Darstellung des Gebets im Zeitalter der Reformation und des Barock bietet der Band nicht, vielmehr geht es letztlich nur um einen einzigen, hier am Beispiel des frühneuzeitlichen Luthertums belegten Aspekt: um das sich im Gebet realisierende Wechselverhältnis von innerlicher Frömmigkeit und äußerlicher Weltverantwortung.
S. macht deutlich, dass das frühneuzeitliche Luthertum an diesem Punkt die von Luther entwickelte Verschränkung von Glaube und Welt fortgesetzt und weiterentwickelt hat. Heinrich Müller ist als einer der einflussreichsten Erbauungsschriftsteller des 17. Jh.s ein gut gewähltes Beispiel für den Aufweis dieser Kontinuitätsli-nie, und die im Anhang abgedruckte Rogate-Predigt aus Müllers »Evangelischer Schluß-Kette« über die Betschule Christi (193–253) unterstreicht das. Allerdings – und das ist ein Problem, das die Lutherrezeption des nachreformatorischen Luthertums überhaupt betrifft – zeigt sich die Aufnahme von Luthers Gebetstheologie im Luthertum weniger in expliziten Bezugnahmen auf Luther oder eindeutigen intertextuellen Bezügen als vielmehr in großen Ähnlichkeiten in Sprache, Sache und Haltung. Um diese Ähnlichkeiten herausarbeiten zu können, hält sich S. in seiner Darstellung Lu­thers (11–33) und Müllers (35–67) nicht mit der Sichtung und Kritik der Quellen und mit der Entwicklung und Entfaltung der Ge­betstheologie der beiden Autoren auf, sondern rekonstruiert knapp die Grundanschauungen vom Gebet und ergänzt einige in der Forschung vielfach übersehene, für die Frage des Verhältnisses Luther und Luthertum aber wichtige Aspekte.
Tatsächlich gelingt es so, die in der neueren Forschung zur lutherischen Konfessionskultur u. a. von S. wieder ins Bewusstsein gerufene und dem Diskontinuitätsmodell der älteren Forschung entgegengestellte enge Verbundenheit des Luthertums mit Luther am Beispiel des Gebets zu belegen. Eine besondere Stärke von Steigers Kontinuitätsthese ist die Ausweitung der Quellenbasis auf religiöse Bilder, kirchliche Räume und soziale Praktiken. Die von S. mit zahlreichen Abbildungen belegte Lazarusikonographie des frühneuzeitlichen Luthertums (69–88, Abbildungsteil: 165–191) macht deutlich, dass die Gebetsunterweisung des Rostocker Marienpastors Heinrich Müller mit der in der Rostocker Marienkirche zu findenden Lazarusdarstellung zusammenhängt und wie sich lutherische Predigt über das Gebet im Umgang der lutherischen Christen miteinander und vor allem mit Hilfsbedürftigen ausgewirkt hat: Gebet und gute Werke gehören für Luther und das frühneuzeitliche Luthertum zusammen und sind beide im christlichen Alltagsleben zu verwirklichen.
Der hier gebotene Überblick über die lutherische Lazarusikonographie und ihre Deutung vor dem Hintergrund des theologischen und erbaulichen Schrifttums der Zeit sind von großem Wert für die frömmigkeitsgeschichtliche Forschung.